![]() Unterwegs mit dem anderen Zauberer - Eine Reise zur Heilung
Der Regen hörte endlich auf, und sie verließen die Festung mit Freuden, als wären sie entlassene Gefangene. Die Sonne kam heraus, und binnen eines Tages war der Boden wieder trocken; aber die alten Flussbetten waren bis zum Überlaufen gefüllt, und das Wasser strömte hoch und rasch dahin. „Jetzt werden wir sehen, was von all dem, was wir gepflanzt haben, aufgegangen ist,“ sagte Radagast zu Lash, während sie gingen. Der Ork nickte und blies in seine Flöte, wobei er den wilden Schrei der Gänse hervorbrachte, die für den Winter nach Süden flogen. In diesen Tagen sprach er mehr mit Vogelstimmen als auf andere Weise, und Radagast grinste. Lash wiederholte den Schrei, und plötzlich fand er ein Echo vom Himmel, und zwar von so hoch oben, dass sie ihre Augen anstrengen mussten, um den Schwarm zu sehen, der weit über ihnen vorüberzog, schwarz gegen die Wolken. Lash war so verblüfft, dass er in ein raues Gelächter ausbrach; er schaute mit geweiteten Augen nach oben und beobachtete, wie die Gänse dahinflogen; er setzte die Flöte erneut an die Lippen und folgte ihnen mit einem misstönenden Gequake, das dafür sorgte, dass Radagast und Frodo sich vor Lachen krümmten, während Canohando den Kopf schüttelte, als würde er sich fragen, was für ein Wahnsinn den anderen Ork überkommen hatte. Yarga stakste schweigend ein Stück voraus und ignorierte sie. Sie folgten dem Weg zurück, den sie genommen hatten, ehe der Regen sie eingeholt hatte; sie hofften, ein paar der Stellen zu finden, wo sie Samen ausgestreut hatten. Wie es sich herausstellte, waren diese Stellen leicht auszumachen; der Monat voller Niederschläge hatte ihre Pflanzen sprießen lassen und ihr Wachstum beschleunigt, so dass sie viele kleine Flecken mit Gras und Kräutern fanden, die Frodo bereits bis zu den Knien gingen. Sie sammelten sich um diese Flecken hoffnungsvollen Grüns, keines von ihnen mehr als ein paar Meter breit, sie klopften sich gegenseitig auf den Rücken und lachten laut; sogar Yarga lächelte und schien erfreut darüber zu sein, wie ihre Arbeit belohnt worden war. Das Verlangen, noch mehr zu sehen, lockte sie vorwärts, deshalb stand die Sonne, als sie später am Tag anhielten, schon tief am Himmel. Der Zauberer ging daran, ein Feuer für das Abendessen anzuzünden, und Frodo nahm den Kessel und machte sich auf dem Weg zum Fluss, um ihn zu füllen. Der Sonnenuntergang hatte das Wasser karmesinrot gefärbt, und er blickte entzückt vom flammenden Himmel zum glühenden Wasser, voll Ehrfurcht für die Schönheit dessen, was einst ein verfluchtes Land gewesen war, vor dem Mond der Stürme. Der Strom stand hoch; das rauschende Wasser ertränkte jedes andere Geräusch, und er wollte sich gerade hinknieten und seinen Kessel füllen, als er plötzlich von hinten unter den Armen gepackt wurde. Grausame Klauen gruben sich in seine Rippen, und sein Körper wurde mitten hinaus in den Fluss geschleudert. Er sank und Wasser füllte ihm den Mund; er kämpfte sich nach oben, um einen Luftzug zu erhaschen, bevor das getrübte Wasser ihn wieder in die Tiefe zog, Der Angriff war in Stille geschehen, aber als er das zweite Mal auftauchte, hörte er eine Stimme, ein Aufbrüllen von Wut oder Trauer, und er versuchte in Richtung Ufer zu schauen, um ihren Ursprung zu finden, aber das Wasser zog ihn hinunter. Er würde ertrinken. Er war bereits müde, fast zu müde, um seinen Weg hinauf an die Luft zu erkämpfen, und der Strom schlug ihn gegen sein felsiges Bett und hielt ihn am Boden. Seine Lungen schmerzten von der Anstrengung, den Atem anzuhalten, und er drückte seine Füße gegen den Grund und stieß mit aller Kraft, aber das Wasser warf ihn um und er wurde wieder hinab gegen die Felsen gezwungen, bevor er die Oberfläche erreichen konnte. Dann war da ein fürchterlicher Schmerz in seinem Kopf, und er wurde vom Flussbett nach oben und in die Luft gezerrt; er rang nach Luft und würgte, und jemand hielt ihn an den Haaren. „Atmen, Kümmerling! Atmen!“ Er atmete verzweifelt, und Canohando verschob seinen Griff, legte ihm einen Arm um die Brust und zerrte ihn in Richtung Ufer. Sie waren noch ein paar Fuß davon entfernt, als sie plötzlich beide untergingen, und der Ork stieß Frodo nach oben und aus dem Wasser; er schleuderte ihn an Land, während er selbst versank. Frodo verkrallte sich in Fels und Erde und zog sich selbst heraus; er schrie bereits keuchend um Hilfe, bevor er auch nur auf die Beine kam. Etwas zischte an ihm vorbei ins Wasser, und dann waren Radagast und Lash beide im Strom. Sie hielten sich aneinander fest, damit sie nicht von den Füßen gerissen wurden, und sie zerrten Canohando von Flussboden hinauf und hinaus ans Ufer, durchweicht und bewusstlos; er blutete an der Schläfe. Radagast rollte ihn auf den Bauch und pumpte das Wasser aus ihm heraus, und er atmete, wachte aber nicht auf. Lash und der Zauberer trugen ihn zum Lagerfeuer zurück, das jetzt fröhlich flackerte, und Frodo stolperte mit seinem Wasserkessel hinter ihm her. Er hing ihn über die Hitze und ging dorthin hinüber, wo die beiden dem Ork seine nasse Kleidung abstreiften und ihn in seine Decke wickelten. Er wrang ein Tuch aus und fing an, das Blut wegzutupfen, aber Radagast stieß ihn beiseite, um die Wunde zu untersuchen. Er zog die Lider des Orks nach oben und starrte ihm in die Augen. „Was ist geschehen, Esel?“ fragte er. „Frodo hielt Canohandos kalte Hand zwischen seinen warmen; wieder spürte er den unerbittlichen Griff in seinen Haaren, der ihn vom Tod zurückzerrte. „Jemand hat mich hineingeworfen. Ich war dabei, zu ertrinken, und er kam mir nach.“ „Yarga hat dich hineingeworfen. Wir verfolgten ihn, aber wir waren nicht nahe genug. Er war sehr schnell.“ Das war Lash, der seine Decke brachte und sie über Canohandos eigener ausbreitete. Er kauerte sich neben Frodo, die Augen auf dem Gesicht seines Kameraden. Canohandos Atem ging flach, und seine Haut, die normalerweise die Farbe von Schiefer hatte, war aschfahl. „Kannst du ihn retten, Heiler?“ „Esel, hol etwas Athelas aus meinem Sack, und bring mir heißes Wasser. Ich werde ihn retten, wenn ich kann, Lash. Er hat sich den Kopf an den Felsen gestoßen.“ „Yarga ist weggelaufen.“ „Wie er es vorher schon getan hat, vom Dunklen Turm. Geh ihm nach, Lash. Bring ihn zurück.“ Lasst ihn laufen, dachte Frodo, aber er sagte nichts. „Umso mehr Gefahr, wenn wir nicht wissen, wo er ist,“ sagte Radagast, als hätte Frodo laut gesprochen. „Er wurde sowohl von Liebe als auch von Hass getrieben, weißt du?“ „Liebe!“ Der Zauberer wusch Canohando das Gesicht mit einem Tuch, das er mit Athelas-Wasser befeuchtet hatte. Er zog die Arme des Orks unter der Decke hervor, einen nach dem anderen, und rieb sie von oben bis unten mit der süßduftenden Kräuterlösung ab, bevor er die Decke wieder um ihn herum feststeckte. „Erinnere dich Yarga liebt Canohando, obwohl er selbst es nicht auf diese Weise ausdrücken würde. Liebe ist ein Ding, das er nie gekannt hat, und er spürt sie als das Verlangen, den anderen ganz für sich zu behalten. Er duldet Lash, weil der ein anderer Ork ist und ihm selbst das Leben gerettet hat, aber er hasst dich aus vielen Gründen du bist kein Ork, du hast den Ring und Saurons Herrschaft vernichtet, und am allermeisten deswegen, weil Canohando deine Gesellschaft sucht. Yarga kann sich nicht vorstellen, dass Canohando euch alle beide lieben könnte, dich und ihn.“ Der Zauberer lächelte über Frodos ungläubigen Gesichtsausdruck. „Wieso sonst ist er wohl deinetwegen in die Fluten gestiegen, Esel? Hast du nicht gewusst, dass Orks das Wasser fürchten?“ „Aber Lash ist hinein gegangen, mit dir -“ „Um Canohando zu retten. Du hast heute drei Taten der Liebe gesehen, Frodo, obwohl eine davon betrüblich verdreht war, und vielleicht noch ein tragisches Ende haben könnte.“ Dunkelheit war herabgesunken, und die Nacht wurde kalt. Lash kam nicht zurück, und Canohando bebte unter seinen Decken. „Wir müssen ihn warm bekommen. Hol ein paar Gesteinsbrocken, Esel, und leg sie dicht ans Feuer wir werden sie rings um ihn aufschichten, wenn sie erhitzt sind.“ Frodo tat, worum er gebeten worden war, und dann brachte er seine eigene Decke herbei, um sie die zu häufen, die Canohando bereits einhüllten. Der Ork schlotterte unkontrolliert, und Frodo empfand schmerzhaftes Mitleid. „Radagast, könnte ich ihn wärmen…?“ „Die Liebe ist nicht so ganz einseitig, was, Esel? Ja, kriech nur zu ihm und leih ihm deine Wärme, und ich werde die Steine bringen, wenn sie durch und durch erhitzt sind.“ Frodo legte sich neben Canohando und zog den Deckenstapel über sie beide. Der Orkgestank war stark unter all den Hüllen, und er entschied, sich nicht darum zu kümmern. Seine Lungen waren in dieser Nacht mit Luft gefüllt anstatt mit Wasser, nur weil dieser Orks sich seinetwegen tapfer in die Fluten gewagt hatte, und er legte den Arm um den kalten Brustkorb und spürte den langsamen Schlag des Orkherzens. „Du darfst nicht sterben,“ flüsterte er. „Canohando! Ich werde dich nicht sterben lassen!“ Nach einer Weile schlief er ein, den vernarbten Rücken des Orks als Kissen für seine Wange. Radagast wickelte die erhitzten Steine in ein Tuch und steckte sie auf der anderen Seite unter die Decken. Er füllte eine Schüssel mit heißem Wasser und warf ein paar Athelasblätter hinein; er hielt sie dorthin, wo der Ork den Dampf einatmen konnte. Der Himmel fing an, heller zu werden, als Lash zurückkam; er hielt das Messer gezogen und stieß Yarga vor sich her. Yargas Augen wandten sich geradewegs dem deckenbedeckten Hügel zu und suchten dann fragend den Zauberer. „Er lebt noch, Yarga, Komm und setzt dich zu ihm. Lash, kannst du Tee für uns machen? Du hast uns oft genug dabei zugesehen.“ Der Ork betrachtete ihn zweifelnd. „Steck dein Messer weg; du wirst es nicht brauchen.“ Sie saßen schweigend da, beobachteten die Dämmerung und tranken ihren Tee. Canohando begann wieder zu schlottern, und Radagast langte unter die Decken und zog die Steine hervor. „Tu die da um das Feuer, damit sie heiß werden,“ sagte er Lash. „Yarga, wirst du ihm deine Wärme leihen, während die Steine sich erhitzen?“ Der Ork nickte dumpf und legte sich hin, den Rücken an Canohandos Brust, und Radagast zog die Decken über ihn. Auf der anderen Seite entstand etwas Unruhe, und Frodo steckte den Kopf heraus. „Ist es Morgen? Wie geht es ihm, Radagast?“ Yarga fuhr hoch, starrte ihn an und zog die Decken herunter. „Leg dich hin!“ sagte der Zauberer scharf. „Wenn du willst, dass er lebt, dann lass ihn nicht kalt werden!“ Yarga fügte sich, drückte seinen Rücken an Canohando und Radagast steckte die Decken rings um sie beide fest. „Bleib noch ein bisschen länger da, Esel“, sagte er. „Wir machen die Steine noch einmal heiß, und dann kannst du herauskommen und frühstücken.“
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