Ein wirklich gutes Jahr (Pretty Good Year)
von Mary Borsellino, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 26
Immer Musik

Sam und Rosie sprachen von Zeit zu Zeit über Frodo, ihre Sorgen und Gedanken miteinander vergleichend. Er war nicht alles, worüber sie redeten, wenn sie allein waren, aber sie liebten ihn, wie sie ihre Herzen liebten, und sie wussten, es war ihre Aufgabe, ihn zu heilen.
Als Sam seiner Frau mitteilte, Frodo hätte beschlossen, Stricken zu lernen, kaute sie an der Ecke ihrer Lippe, bis sie rissig und gerötet war, während ein halb vergessener Schmerz in ihrem Magen rumorte. Sie erzählte Sam von dem Buch voll von zärtlichen Ratschlägen und zufälligen Begebenheiten, das Frodo für Elanor aufbewahrte.
Frodos Träume erörterten sie nie, weil sie nichts darüber wussten. Dass er Alpträume hatte, war so klar wie der Sonnenaufgang… die Art, wie er um sich schlug und wortlos aufschrie aus der Tiefe seiner ureigenen dunklen Welt heraus. Aber die anderen Träume, über Kindernachmittage mit häuslichen Spielen im alten Hühnerstall und Rindenbooten, die auf dem Fluss fuhren… diese Träume waren noch immer sein Geheimnis.
Er schrieb darüber an Elanor, so, als richte er seinen Brief an eine Zukunft, die noch weit in der Ferne lag.
Liebe Elanorelle,
heute ist der letzte Tag im Juli. Streite dich nicht so sehr mit Sams Ohm herum, und sei nicht so unbarmherzig mit ihm. Er weiß nicht, wie er auf ein Kind wie dich reagieren soll. Lern von ihm, soviel du kannst, und vergib ihm die Dinge, die er nicht versteht. Ich weiß, er macht dich wütend, aber versuch einmal, die Dinge durch seine Augen zu sehen.
Versuch auch, ein gutes Beispiel zu sein. Goldie schaut zu dir auf, als wärest du ihre Heldin. Du bist das einzige Hobbitmädchen, das sie kennt, das genauso helle Haare und Augen hat wie sie. Mein Onkel Bilbo pflegte zu sagen, dass Babys mit blauen Augen bei jedem Wetter die Sonne sehen können.

Wenn er es mit dem Schreiben übertrieb, begann Frodos Kopf zu schmerzen und seine Hände zuckten qualvoll. Sam küsste die Schwielen und die abgebissenen Nägel mit sanften Lippen und massierte das Zittern mit langen, sicheren Bewegungen fort. Rosie strich dann mit den Handflächen durch seine Locken, die längst nicht mehr so voll und glänzend waren wie zu früheren Zeiten. Rosie hielt sie nichtsdestoweniger immer noch für genauso schön wie Sams windzerzaustes Haar und Elanors babyfeine Strähnen, die sich hell und weich auf ihrer Stirn kräuselten.
Es war Abend. Die Lichter von Hobbingen sprenkelten die dunklen Hügel, die man von Beutelsend aus sehen konnte; Kerzen flackerten in der milden Brise. Die Luft roch nach Pfeifenkraut und feuchter Erde.
„Es ist so eine schöne Nacht. Ihr beide solltet tanzen.“ entschied Frodo.
„Entweder mein Gehör ist hin oder dein Gehirn.“ antwortete Sam lachend. „Es gibt doch gar keine Musik, zu der man tanzen könnte.“
„Oh, es gibt immer Musik, du musst nur richtig hinhören. Los, Rose, bring ihn dazu, mit dir zu tanzen.“
„Nur, wenn du mitmachst. Ich spiele doch nicht vor Zuschauern verrückt! Komm schon…“
Sie zog Sam und Frodo auf die Füße und nahm sie mit in einen Ringelreihen, schneller und schneller, bis es ganz danach aussah, dass sie alle drei auf dem Boden landen würden. Aber sie taten es nicht. Statt dessen fielen sie einander zu einem Walzer für drei in die Arme, zum Klang einer Melodie, die außer ihnen niemand hören konnte.


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