Ein wirklich gutes Jahr (Pretty Good Year)
von Mary Borsellino, übersetzt von Cúthalion
Kapitel 25
Alltägliche Geschichte
Oft stellte Rosie fest, dass sie zwei Personen vor sich sah, wenn sie an Frodo dachte. Eine der beiden war zerbrechlich, aber freundlich, mit unvollkommenen, aber nichtsdestotrotz geschickten Fingern und einem Lachen, so reich und voll wie das eines jeden Hobbits. Der andere, der Schatten-Frodo, war still und traurig und reglos und ertrug es nicht, wenn man ihn berührte. In seltenen und erschreckenden Augenblicken konnte diese Stimmung damit enden, dass er sich mit solcher Gewalt in sie und Sam verkrallte, dass er Blutergüsse auf ihrer Haut hinterließ. Danach wich er vor ihnen zurück und duckte sich, bis er wieder zu sich kam und begriff, was er getan hatte.
Zuerst hatte sie sich gewünscht, es gäbe nur den einen Frodo, ohne diesen anderen. Genauso wie sie wünschte, Sams Augen hätten nicht schon so früh im Leben so viele Sorgenfalten, und es gäbe nicht all diese Narben von Stichen, Kratzern und Bissen auf ihrer Haut. Aber mit der Zeit erkannte sie, dass das eine nicht ohne das andere existieren konnte, und dass es so etwas wie heiß ohne kalt nicht gab.
Er war wieder dabei, Elanor vorzulesen, wie er es immer tat, wenn er die Zeit und die Kraft aufbrachte. Sam hatte bei mehr als einer Gelegenheit gescherzt, Frodo würde so viele Geschichten erzählen, wie er nur konnte, bevor Elanor alt genug war, um ihn zu unterbrechen. ,Kaspian, mein Lieber, sagte Lucy, , du weißt, dass wir früher oder später in unsere eigene Welt zurückgehen müssen.-,Ja, sagte Kaspian mit einem Schluchzen, , aber dies ist doch früher.
Ich kenne die Geschichte, seit ich ein Mädchen bin. sagte Rosie, stellte sich hinter Frodo und rieb seine Schultern. Er saß mit dem Baby auf seinem Schoß im Schaukelstuhl, eine Decke über den Füßen. Warum kannst du ihr nichts Fröhlicheres vorlesen? Das hier ist einfach zu traurig.
Es gibt ganz viele verschiedene Versionen davon, wusstest du das? Es ist eine ganz alltägliche Geschichte. Ein Mädchen oder ein Junge geht zusammen mit seltsamen Gefährten auf eine magische Reise, und dann, am Ende, müssen sie einander Lebwohl sagen und in ihr gewöhnliches Leben zurückkehren.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass du irgendwas von dir selbst in diesen Jungen und Mädchen findest. Rosies Stimme klang gereizt. Und alltäglich oder nicht, traurig ist es immer noch. Lucy und Edmund werden Kaspian in ihrem gewöhnlichen Leben schrecklich vermissen.
Hast du alle Geschichten aus der Sammlung gehört? Möglicherweise sehen sie ihn doch noch wieder.
Frodo legte das Buch neben den Stuhl und sprach flüsternd, denn Elanors Augen fielen zu. Rosie schnaubte.
Ja, nachdem sie sterben. Wenn die Geschichten alle so sind, dann bleibe ich bei meinen Märchen, wo der jüngste Sohn den Drachen erschlägt und die Prinzessin am Ende den Namen von Rumpelstilzchen errät. Viel besser als Wiedervereinigungen nach dem Tod, meiner Meinung nach.
Nicht für Rumpelstilzchen und den Drachen. grinste Frodo. Jetzt hilf mir aufstehen, ohne Elanor aufzuwecken, und dann gehen wir nachsehen, ob Sam für heute fertig ist. Sein Gesicht war so sonnig und froh wie das eines jeden Hobbits, und Rosie glaubte endlich zu verstehen, warum Geschichten so oft ein glückliches Ende hatten. Das war das Beste, was es auf der Welt gab.
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