Ein wirklich gutes Jahr (Pretty Good Year)
von Mary Borsellino, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 24
Spiel

Hobbits können sich, wenn sie wollen, so leise wie ein Lufthauch bewegen, die kräftigen Sohlen so leicht auf dem Boden wie Elbenfüße. Versteckspiele dauern unter Umständen den ganzen Tag, denn ebenso wie Schweigen haben Hobbits die Reglosigkeit im Blut, und selbst der Lebhafteste kann wie zu einer Steinfigur erstarren, wenn er es darauf anlegt.
Rosie hatte die Arme bis zu den Ellbogen im Seifenwasser, das Geschirr glitschig und warm wie frischer Ton zwischen den Fingern… ein Rest der Wärme von dem dampfend heißen Eintopf, den es gegeben hatte. Als sie klein war, hatte sie eine kleine Drahtschlinge von ihrem Vater bekommen, die man in die seifige Brühe tauchen konnte, um dann große, irisierende Blasen hindurchzupusten. Sie musste daran denken, etwas ähnliches für Elanor zu machen, wenn das Mädchen älter war.
Sam und Frodo, beide so reglos und leise, wie das nur Hobbits fertig brachten, standen nahe der Tür und stahlen sich abwechselnd hinter Rosie. Sie fädelten das glatte Band, das die Rückseite ihres Kleides oben zusammenhielt, aus den Ösen – eine Aufgabe, die sie überaus langsam und sorgfältig erledigten.
Rosie pfiff schwach vor sich hin, bewegte den Kopf mit der Melodie und ließ ihre vom Spüldampf feuchten Locken tanzen. Inzwischen war Frodo wieder an der Reihe, über den Küchenboden zu schleichen und an dem Band zu ziehen, das mittlerweile mitten auf ihrem Rücken baumelte.
Frodo war auf halbem Weg zurück zu der Stelle, wo Sam leise vor sich hingluckste, als Elanor in ihrem Korb einen kleinen Schrei von sich gab und die Rassel gegen die Wand aus Weide schlug. Rosie drehte sich herum, um zu sehen, was los war, und der Ausschnitt ihres Kleides rutschte geradewegs über eine Schulter hinunter. Frodo fror ein, wo er stand, zeigte ein schafsähnliches Grinsen und verließ dann gemeinsam mit Sam fluchtartig den Ort des Geschehens, bevor Rosie mehr tun konnte, als verblüfft dreinzuschauen über ihren plötzlichen Zustand halber Entblößung.
„Du hast alberne Papas, nicht?“ fragte sie Elanor, hob das Baby hoch und tat so, als wollte sie es in die Luft werfen. „Ich wette, bevor allzu viele Jahre vorbei sind, wirst du erwachsener sein als die beiden zusammen. Also, wie sollen wir ihnen diesen Streich heimzahlen?“
Rosie beschloss, dieses Mal gar nichts zu tun. Denn es war gut, Frodo und Sam lachen zu hören wie Kinder, während die beiden sich in einem der hinteren Lagerräume versteckten und hofften, sie würde sie nicht finden. Rosie beendete den Abwasch und spielte Backe-backe-Kuchen mit Elanor; es war schwer, nicht zu lächeln, als das Gekicher verstummte und einem gelegentlichem dumpfen Rumsen wich. Wenn sie wie Zwanziger im Staub herumschleichen wollten, dann würde Rosie sie halt lassen. Es hatte keinen Sinn, sich Strafen für Leute auszudenken, die sich selbst in die Bredouille brachten.
Sie deckte den Tisch mit heiß gebuttertem Gebäck, das die Küche und die Diele mit einem lieblichen Duft erfüllte, und mit süßem Tee. Dann ließ sie sich nieder und wartete darauf, wie viele Sekunden es brauchte, bis sie aufgeben und aus ihrem Versteck kommen würden.
Die Uhr tickte genau einhundertdreißig Mal, bevor ein staubiges Niesen und das Knarren einer Tür ertönten, und zwei verlegene Hobbits draußen vor der Küche standen.
„Hallo, Rose.“ sagte Frodo und versuchte, sich das Lächeln zu verkneifen. Sam verschränkte die Arme mit der Absicht, ernsthaft und würdevoll auszusehen und versagte völlig, was vor allem dem Schmutz auf seiner Nase und seinen zerrauften Haaren zuzuschreiben war.
„Irgendwas Interessantes im Lagerraum gefunden?“ erkundigte sie sich, brachte ihr eigenes, aufsteigendes Gelächter unter Kontrolle und hob eine Augenbraue. „Ich dachte, dass sich da unten noch ein paar Flaschen verstecken, und jetzt überlege ich, ob ihr sie wohl bemerkt habt.“
„Kann nicht sagen, ich hätte welche gesehen. Vielleicht möchtest du das nächste Mal selber kommen und einen Blick drauf werfen?“ schlug Sam vor. Plötzlich kam Rosie die blitzartige Erinnerung an einen Sommer, als sie und Sam noch klein gewesen waren. Sie hatten sich während eines Festes hinter dem Musikboden verborgen und den Erwachsenen beim Tanzen zugeschaut. Frodo war von einem Rudel zum Tändeln aufgelegter Hobbitmädchen in die Ecke gedrängt worden, und er hatte Rosie sehr leid getan – derart in einer langweiligen Sache festzustecken, wenn es so viele Abenteuer gab, die man auf einem Fest erleben konnte! Sie stieß Sam in den Bauch und sauste davon, gerade schnell genug, dass er sie nicht erwischen konnte, aber langsam genug, dass er die Hoffnung nicht verlor.
Was sie damals nicht gewusst hatte, und auch jetzt, Jahre später in der hellen Küche immer noch nicht wusste, war dies: Frodo hatte die beiden damals aus seinem Weibergefängnis heraus spielen sehen. Seine Augen hatten gezwinkert und beim Anblick ihres Vergnügens verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. Er hatte gehofft, genau das eines Tages wiederzuentdecken: die simple Freude an den kleinen Dingen.


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