Ein wirklich gutes Jahr (Pretty Good Year)
von Mary Borsellino, übersetzt von Cúthalion

Kapitel 23
Manchmal

Wenn er nicht schlafen konnte, ging Frodo oft in sein Studierzimmer und schrieb. Der Tisch war immer noch voller Kratzer, Sterne und Wirbel, die er mit seinem Federmesser hineingeritzt hatte, als er noch ein Kind war – an langen Nachmittagen, wenn das Lernen ihn langweilte und er nichts lieber wollte, als hinaus in den Garten zu entkommen und mit dem niedlichen kleinen Sam zu spielen, dem Sohn des Gärtners.
Er fuhr mit den Fingern über die Spuren im Holz und lächelte, während er sich an die Stunden erinnerte, als Rechnen die schlimmste Folter zu sein schien, die das Leben zu bieten hatte. Über den Tisch waren lose Papierstapel verstreut, außerdem zwei dicke Bücher zum Hineinschreiben, ein paar Tintenfässer in unterschiedlichen Stadien der Austrocknung, und eine dicke weiße Kerze für das Licht. Es war eine von denen, die Rosie gemacht hatte, mit einem feinen Vanilleduft im Rauch, und mit heller, stetiger Flamme.
Eines der Bücher war die Geschichte, die für die Welt niedergeschrieben werden musste, der dunkelrote Einband an den Ecken abgenutzt, die Seiten knisternd und sauber. Das andere, kleiner und dünner, weniger ordentlich und stilistisch weit stärker zusammengewürfelt, gab dem langen Abenteuer erst seinen Sinn. In diesem Buch zeichnete Frodo die Feste des Auenlandes auf, mit Feuerwerken, die explodierenden Sternen glichen und mit Spielen für die Kinder; zum Beispiel dem Papieresel voller Zuckerwerk, den man mit verbundenen Augen mit einem Stock treffen musste. Auf den Seiten dieses Buches hatten sie Elanors Hand- und Fußabdrücke verewigt, mit der selben blauen Farbe, die an ihrem Malnachmittag überall herumgespritzt war.
Er schrieb es für sie. Er wusste nicht, ob er es ihr jemals selbst geben würde, wenn sie alt genug war, um es zu würdigen, oder ob es Sam und Rosie überlassen blieb, das an seiner Stelle zu tun. Wie auch immer, sie musste es bekommen, sie musste verstehen.
Sam macht sich Sorgen, schrieb er. Er hört, wie die Leute über mich reden, und wie unbehaglich sie sich in meiner Gegenwart fühlen. Manchmal könnte ich genauso gut unsichtbar sein, aber das macht mir nichts aus. Besser sie lehnen einen verwundeten Hobbit ab, als dass sie einem dunklen Herrscher dienen müssen.
Manchmal merke ich, wie ich dem Auenland Lebewohl sage und mich genauso wehmütig umschaue, wie ich es tat, bevor ich das erste Mal fortging. Das scheint jetzt sehr lange her zu sein. Aber zu anderen Zeiten habe ich das Gefühl, dass ich nie wieder fortgehe; ich werde hier sein, um dir Zahlen und Buchstaben beizubringen; der seltsame Onkel Frodo mit seinen Geschichten und seinen Liedern.
Er hatte Alpträume, von toten Gesichtern im Wasser und eisigen Fingern um seinen Hals. Danach schreckte er hoch und merkte, dass sie Wirklichkeit waren; seine eigene verräterische Hand griff gierig nach einem kostbaren Preis und fand statt dessen nur einen silbrigweißen Edelstein. Manchmal fürchtete er sich davor, Sam, Rosie und Elanor zu berühren, denn vielleicht würde er sie mit der Krankheit anstecken, die ihn ausgehöhlt hatte und die ihn scheinbar innerlich verfaulen ließ. Natürlich überließen sie ihn niemals lange diesen Stimmungen. Wenn sich seine Hände öffneten und schlossen und vor Begierde nach dem verlorenen Ring zitterten, dann war Rosie zur Stelle mit Gemüse zum Schneiden, mit Windeln, die gefaltet und Knoten, die entwirrt werden mussten.
Wenn er sich in Gedanken verlor, berührte Sam ihn Stirn an Stirn, als wortlose Erinnerung daran, dass Frodos Einsamkeit ein Ende hatte, wo immer er auch gewesen war oder je sein würde.
Heute hast du deine Rassel gegen die Ofentür gehauen. Frodo lächelte, während er schrieb. Das gab ein schreckliches Getöse, und als dein Vater dich ausschimpfte, hast du ihn nur angelächelt und die Rassel so vorsichtig gegen seine Nase gestupst, dass du ihn kaum berührt hast.
Ich habe ihm neue Pfannen gekauft, als er deine Mutter geheiratet hat. Sein altes Kochgeschirr hat er auf unseren Reisen verloren; er hat es in eine Felsspalte geworfen, damit Gollum kein Schindluder damit treiben konnte. Das erste, was er mit dem neuen Geschirr gemacht hat, war ein Rosinenkuchen für die Kattuns.
Er sagt, dass er die alten Pfannen trotz allem immer noch vermisst, obwohl die neuen so hübsch glänzen. Dein Vater hat ein so großes Herz, dass er nichts und niemanden daraus verlieren möchte, und wenn es doch einmal sein muss, zerreißt es ihn beinahe. Es ist ein Segen, dass wir mitsamt unserem glücklichen Leben so wunderbar in dieses Herz hineinpassen, findest du nicht?

Frodo gähnte und hielt sich den Mund mit dem Handrücken zu, die Augen schwer von Müdigkeit. Die Kerze war so weit heruntergebrannt, dass sie fast auslief. Wenn sie noch ein wenig länger leuchtete, hatte er genug Helligkeit, um ins Bett zu finden, bevor sie erlosch. Statt dessen pustete er sie aus, ließ genug Docht übrig, damit man sie noch einmal anzünden konnte und machte sich vorsichtig auf den Weg durch die Dunkelheit.


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