Ein wirklich gutes Jahr (Pretty Good Year)
von Mary Borsellino, übersetzt von Cúthalion
Kapitel 11
Eine Entschuldigung zum Feiern
Sam träumte häufig von einem Ozean kurz vor Beginn der Dämmerung, wenn die Wellen nicht mehr waren als ein Schatten in der Nacht und das kühle Grau der Sterne am Himmel verblasste. In seinen Träumen fühlte er sich, als wäre ein Teil von ihm für immer verloren gegangen und hätte ihn in einer farblosen Welt ohne Morgen zurückgelassen. Das letzte Mal, als er solch einen Traum gehabt hatte, wachte er auf und fand sein Gesicht gegen Frodos bloße Brust gedrückt, liebevolle Hände in seinem Haar.
Ruhig, Sam, du hast im Schlaf geweint. flüsterte Frodo. Wovon hast du geträumt?
Ich hatte irgendwas Wichtiges verloren und konnte mich nicht mal daran erinnern, was es war. Ich wusste nur, ich würde es nie wieder finden. gestand Sam. Er war froh, dass er seine Arme um Frodo legen und sich so versichern konnte, dass die Welt noch bestand. Aber in letzter Zeit waren Umarmungen eine mühsame Sache; Frodo zuckte oft zurück, als würde schon die leichteste Berührung seine spröden Knochen schmerzen.
Es war nur ein Traum. Rosie schläft neben dir und Elanor ist in ihrer Wiege. Alles ist sicher und ganz in deiner Nähe. Die Worte waren leise und beruhigend. Jetzt schlaf wieder ein.
Mmmh. Ich fühle mich wohl und gut behütet mit dir in der Nähe. Sams Hand streckte sich aus und fand Frodos Locken. Wir sollten einander gegenseitig beim Träumen beschützen.
Ja.
Sie lagen beide stundenlang wach, und jeder dachte vom anderen, er sei eingeschlafen.
Nach solchen Nächten kommt man schwer aus dem Bett, deshalb war Rosie längst auf den Beinen, als sie endlich auftauchten. Sie war gerade dabei, einen Kuchen zu backen und mischte blassen Zitronenzuckerguss in einer Schüssel, die doppelt so groß war wie eigentlich nötig. Auf diese Weise konnte sie noch ein bisschen mehr davon machen, wenn sie Lust dazu hatte (nach Ansicht von Rosie war zuviel Zitronenzuckerguss etwas, das es nicht gab). Elanor lag in ihrem Korb auf dem Tisch, neben ihrer Mutter.
Hier sind dein Papa und dein Frodo, Elanor, endlich munter geworden. Ich wollte gerade hinübergehen und sie auch mit kaltem Wasser begießen. Rosie tippte dem Baby mit dem Finger auf die Nase und bedachte Sam und Frodo mit einem Grinsen. Ich back hier gerade einen Viermonats-Geburtstagskuchen, auch wenn der Geburtstag eigentlich gestern war. Wir müssen unbedingt damit anfangen, uns mehr Entschuldigungen zum Feiern zu suchen.
Möchtest du, dass ich noch was anderes koche? Wir könnten ein Fest veranstalten. bot Sam an.
Gerne, zu Hilfe in der Küche sag ich nicht nein. Es gibt viel zu viele Risse und Winkel, in denen alles mögliche verschwindet, wenn du mich fragst. Viel zu leicht, die Sachen zu verlieren, die man am meisten braucht, bei so vielen Löchern und all den unübersichtlichen Ecken. Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich das sage, Herr Frodo: du solltest darüber nachdenken, die meisten Regale und Geschirrschränke hier zu ersetzen.
Hört sich an wie eine gute Idee. sagte Frodo mit einem Nicken, während Sam sich auf die Suche nach einer weiteren Rührschüssel machte.
Ein bisschen Zuckerguss? fragte Rosie und hielt ihm den großen, hölzernen Löffel hin. Frodo lächelte und schüttelte den Kopf, und mit einer plötzlichen Bewegung tupfte Rosie ihm schwungvoll einen großen Klecks auf die Nasenspitze. Elanor kicherte und klatschte in die Hände. Sam stellte die zweite Schüssel auf den Tisch und lächelte über die Szene vor seinen Augen. Er lehnte sich vor, streckte die Zunge heraus und holte sich den Zuckerguss direkt von Frodos Haut. Dann zuckte er zurück, als könnte er kaum glauben, was er gerade getan hatte.
Jetzt schau nicht so verlegen drein, Samweis. Wenns nach mir geht, braucht ihr viel weniger Schutz und Trost und statt dessen viel mehr von diesen Albernheiten. Rosie hörte auf zu rühren. Also, wie schmeckts?
Ich hatte nicht genug, um das wirklich zu wissen. Sams Lächeln wurde breiter und ein bisschen hinterlistig. Besser du gibst mir den Löffel, damit ich sichergehen kann, Rose. Sie reichte den Löffel hinüber, nur um sich eine Zitronenverzierung auf ihrer Wange einzuhandeln, als Sam den Löffel wie ein Schwert schwang. Frodo lachte, sprang zu ihr herüber und leckte die süße Spur ab, worauf sie sich loswand.
Aach, deine Zunge kitzelt, nicht doch! und sie flüchtete auf die andere Seite des Tisches. Frodo hatte inzwischen Zuckergusskleckse auf Kinn und Stirn, die er Sam zu verdanken hatte, der mit seiner improvisierten Waffe herumfuchtelte. Rosie packte den Rand der Schüssel und brachte sie sorgfältig in Sicherheit, um den Rest zu retten. Dann rannte sie zurück, stürzte sich auf Sam, riss ihn zu Boden und Frodo gleich mit.
Lass das bleiben, du ruinierst dir das Hemd! Guck mal, jetzt hast du das Zeug überall!
Dann wird es wohl am besten sein, wenn ich mein Hemd ausziehe.
Na, das bringt jetzt auch nichts mehr, es ist sowieso voll damit.
Du meinst, ich soll es nicht ausziehen?
Das habe ich nicht gesagt...
Elanor rollte sich in ihrem Korb auf die Seite und beschloss, noch ein wenig zu schlafen. Manchmal konnte Erwachsene schrecklich albern sein.
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