Das Vermächtnis (The Legacy)
von Anglachel, übersetzt von Cúthalion

9. Kapitel
Begehrlichkeiten

Sterntag, am 17. Tag des Halimath, abends

Bilbo stellte zwei Sessel vor das Feuer und dachte darüber nach, wie er Esmies Netz auseinander schneiden sollte. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Sara, Mac und Rory waren allesamt zum Alten Obstgarten zurückgegangen, um die letzte Pressung zu überwachen und die Schuppen für den Winter zu packen. Sie würden auch das Tor in den Alten Wald überprüfen und sich die Hecke in der Nähe des Alten Obstgartens genau ansehen. Gilda war im Bett und ruhte sich von den Ernteriten aus und Esmie spielte die Herrin.

Sie hatte Frodo den ganzen Tag ziemlich nahe bei sich behalten. Bilbo war erstaunt darüber, wie offen sie mit dem Jungen tändelte, obwohl er Frodo sicher keinen Vorwurf daraus machen konnte, dass er die Aufmerksamkeit genoss. Nach dem, was er im Wald gesehen hatte, musste Bilbo zugeben, dass er es vorzog, seinen Jungen erröten und kichern zu sehen, während er sich so offensichtlich freute. Dass die Aufmerksamkeiten von einer Frau kamen, die alt genug war, die Mutter des Jungen zu sein, gab ihm ein leicht mulmiges Gefühl. Dass die Frau Esmie war, machte es ihm fast unmöglich, sich das Ganze mit anzusehen. Sie wusste, dass er zusah, und sie warf kleine, verstohlene Blicke in seine Richtung.

Frodo sah ihn nicht an. Der Junge hielt seine Augen gesenkt und warf ihm rasch einen Blick zu, wenn er dachte, dass Bilbo nicht hinschaute. Bilbo wurde des Beobachtens müde und nutzte die Möglichkeit, mit Hilfe des Ringes ein paar Untersuchungen in Saras und Esmies Quartier anzustellen. Schnell fand er die letzten Schmetterlinge, die feinsten von Prims Hochzeitsleinen, und jetzt waren sie sicher in der Truhe verstaut. Er fragte sich nur, wann Esmie sie zu ihrem Eigentum erklärt hatte.

Bilbo setzte sich in einen der Sessel und fing an, ihre Pfeifen vorzubereiten. Soviel Zusammenraffen von Dingen. Esmies Aneignung von Prims Laken, von Prims Kind. Saras grabschende Hände vom Abend zuvor, die versuchten, Frodo die Pfeife zu entreißen und die dann den Jungen selbst packten. Er erinnerte sich daran, wie Frodo Sara herausgefordert hatte, nach all seinen Beleidigungen, wie heftig und stolz sein Junge gewesen war, als er seinen Peiniger nieder starrte.

Der erste Schritt, um der Spinne auszuweichen, der einzige Schritt, der zählt, ist, dass Frodo einverstanden sein muss zu gehen. Bilbo war sich dessen sicher, nach der Auftritt mit Sara. Du kannst den Jungen nicht herumstoßen. Er wird dir grollen und dich hassen, wenn du das tust. Er ist nicht etwas, das man packt und sich nimmt. Bilbo drückte den Pfeifentabak in den Kopf seiner eigenen Pfeife hinunter. Was wird ihn überzeugen? Hat auch er einen Hauch von einem Drachenherzen, nachdem er hier mit Esmie und Sara lebt? Wieder fragte sich Bilbo, ob die anderen Jungen Frodo bezahlt hatten. Seine Handlungen waren so nachlässig gewesen, ganz und gar nicht unähnlich wie die jener Jungen, die man in gewissen Gasthäusern buchen konnte, wenn man wusste wie, und wen man fragen musste. Bilbo begann sich mit Frodos Pfeife zu beschäftigen, froh darüber, dass seine Hände nicht zitterten.

Esmies Worte drehten sich weiter in seinem Hinterkopf. Sei allerdings nicht so schnell bereit, deinen Schatz loszuwerden, Vetter. Die Zuneigung des Jungen mag sich nicht so leicht erweitern lassen, wenn er nichts anderes als Zuneigung zurück bekommt. Bilbo fragte sich, ob das stimmte. Er hatte dem Jungen immer Geschenke gegeben, das war wahr; er genoss das sehr, obwohl der Junge nie um etwas bat, abgesehen von den Süßigkeiten, die sich alle Kinder wünschten. War es das, was Frodo an ihm wichtig war? Würde Frodo sich von ihm abwenden, wenn die Geschenke aufhörten? Mein Junge hat kein Zwergenherz, es sei denn eines wie das von Balin und Glóin. Er ist so großzügig, dass er sich selbst damit schadet. Er ist wie Rory, nicht wie Sara. Man kann ihn nicht kaufen. Bilbo weigerte sich, an Jungen in Gasthäusern zu denken.

Das war ohnehin ein fragwürdiger Punkt – Esmie wollte seine Besitztümer nicht im Austausch für Frodo nehmen; sie ließ sie Bilbo, der damit machen konnte, was er wollte. Sie zählte schlichtweg darauf, dass er starb, bevor Frodo seine Volljährigkeit erreicht hatte, damit sie das Vermögen nutzen konnte. Und damit sie großzügig sein konnte zu seinem Jungen, bis diese Zeit käme. Sie würde es nicht einfach nehmen, sie ist zu vorsichtig, zu feinfühlig für deutliche Gier. Ihre Pläne gingen tiefer, Bilbo konnte das sehen. Die Frau des Herrn, die Schwester des Thain, die Schwiegermutter des möglichen Bürgermeisters – dass Frodo eines Tages Bürgermeister sein würde, dessen war Bilbo sich sicher, vor allem nach dem gestrigen Tag. Frodo würde darauf warten, dass Merle groß wurde, wenn er in der Zwischenzeit Esmie hatte. Bilbo hatte jetzt keinen Zweifel mehr, dass sie ein Kind zu empfangen beabsichtigte, um Frodo noch enger an sich zu binden. Lobelias Pläne für Beutelsend verblassten neben Esmies Griff nach dem größeren Teil des Auenlandes selbst. Er musste die geduldige Abgefeimtheit des Ganzen bewundern, obwohl er sich fragte, was sie wohl gedachte mit all dem zu tun, sobald sie es einmal hatte.

Frodo musste mit ihm kommen wollen, und Bilbo war sich nicht sicher, was er tun konnte, damit das geschah. Der Junge schaute ihn mit Misstrauen an, was immer er auch tat, und Esmie hatte eine ganze Menge anzubieten, das zu erleben ein junger Zwanziger eifrig bereit wäre. Vor allem einer, der schon die „nackten Tatsachen“ eines anderen gesehen hat. Ich kann nicht gegen sie argumentieren, ich kann überhaupt nichts sagen. Wenn ich versuche, sie in Misskredit zu bringen, dann wird er mir nicht glauben. Er wird zu ihrer Verteidigung antreten. Er wird einen Trick vermuten. Bilbo legte die vorbereitete Pfeife auf den kleinen Tisch, hob seine eigene auf und bewegte sich zu dem anderen Sessel. Er hielt den Stiel der unangezündeten Pfeife zwischen seinen Zähnen und versuchte zwischen den Fäden und Windungen einen Weg zu sehen.

In den Flammen unter dem Rost formte sich eine Antwort. Es war nicht viel, und nicht etwa ein Plan. Es war einfach eine Erkenntnis dessen, was sein musste. Frodo war umgeben von Gerüchten, Lügen, Irreführung und falschen Vorspiegelungen. Das muss weggebrannt werden. Bilbo musste die Wahrheit sagen und nach der Wahrheit fragen. Wenn Frodo nach Beutelsend kam, würde es ohne Illusionen geschehen, ohne Falschheiten. Wie kann die Wahrheit ankommen gegen Hände auf der Haut, gegen das Flüstern von Begehren und Zuneigung und das rasche Keuchen der Liebe? Die Spinne hatte viele Arme, die sie um den Jungen schlingen konnte, angenehme Fäden, um ihn einzuwickeln und auf der Stelle zu halten. Die stechende Fliege hatte nur ihren Biss.

Ein sanftes Klopfen brachte ihn zurück. Die runde Tür öffnete sich und Frodo trat vorsichtig ein.

„Setz dich, Frodo. Ich habe unsere Pfeifen vorbereitet.“ Bilbo wartete, bis Frodo sich in dem anderen Sessel niedergelassen hatte, die angezündete Pfeife in der Hand, die Augen fest auf das Feuer gerichtet. Zeit für die Wahrheit.

„Nun, Frodo... es tut mir leid, dass wir dieses Jahr unseren Geburtstag nicht zusammen feiern werden.“ Der Junge fuhr überrascht herum. Es ist ziemlich nett, wieder einmal deine Augen zu sehen.

„Was meinst du damit? Gehst du weg? Du hast versprochen, dass du da bleibst!“

Gebrochene Versprechen... Bilbo hatte ein anderes Ziel für seine Klinge. Er blickte Frodo verblüfft an. „Nein, ich gehe nicht weg. Ich bleibe, wie versprochen. Du bist derjenige, der weggehen wird, nicht ich.“

Frodo warf ihm einen verwirrten Blick zu. „Was meinst du damit? Ich gehe nirgendwohin. Noch nicht.“

„Nun, Esmie sagt, sie würde dich am kommenden Himmelstag in die Groß-Smials bringen, und dass du deinen Geburtstag dort feierst. Ich werde hier sein mit Rory und Gilda, obwohl ich wahrscheinlich am nächsten Tag nach Beutelsend aufbrechen werde.“

Frodo war sehr aufgebracht. „Wieso? Wieso jetzt? Was ist passiert? Ich dachte, ich würde noch ein paar Wochen nicht fortgehen!“

Bilbo studierte das besorgte Gesicht des Jungen und sah etwas anderes. Schuld? Zeit, nach etwas mehr Wahrheit zu fragen. „Also, Frodo, was ist denn passiert, dass Esmie möchte, dass du sofort gehst?“

Frodo sank in seinen Sessel zurück; er zog an seiner Pfeife und starrte ins Feuer. Einen Moment später nahm er die Pfeife in beide Hände und studierte sie. Er warf Bilbo einen Seitenblick zu, dann zuckte er die Achseln. „Ich würde sagen, sie hatte einen Krach mit Sara. Sara hat ihr wahrscheinlich von unserer Rangelei um die Pfeife erzählt, gestern,“ noch ein Blick, „und dann hat er sich beschwert. Sie will wahrscheinlich nicht, dass wir uns noch mal begegnen, wenn Sara so gemein sein kann.“

„Ich glaube ganz und gar nicht, dass es das ist. Frodo.“ Der Junge sah ihn alarmiert an, aber er sagte nichts. Bilbo wartete und zog an seiner Pfeife, bis deutlich wurde, dass Frodo nicht reden würde. „Siehst du, Esmie hat mir das am Meerstag gesagt. Ich war ziemlich verärgert und habe versucht, sie davon abzubringen, dass sie dich wegbringt, ich wollte, dass sie warten soll bis nach unserem Geburtstag, aber sie war ziemlich unerbittlich. Sie will, dass du gehst.“ Er bemerkte den erleichterten Ausdruck, der sich über das Gesicht seines Jungen legte. Also, wieso das jetzt? Ah – dass die Änderung nicht durch das ausgelöst wurde, was gestern passiert ist. „Wie auch immer, Frodo, du scheinst zu denken, dass gestern etwas vorgefallen ist, das ihre Meinung geändert hat. Was ist bei der Ernte geschehen?“

Frodo schaute entschlossen ins Feuer. „Der Streit mit Sara natürlich. Du warst dabei. Du hast zugehört.“

„Ja, das war ich. Und es wurden auch ein paar Dinge gesagt, von denen ich wünschte, dass ich sie nicht hätte hören müssen, während andere Dinge gesagt wurden, die ich nicht verstanden habe.“ Der Junge zuckte die Achseln, aber er wollte nicht vom Feuer aufschauen. „Da war auch eine Kleinigkeit, die ich gesehen und nicht verstanden habe.“ Seitenblick, Achselzucken. „Und da war noch etwas mehr als bloß der Streit mit Sara, nicht wahr?“

Endlich drehte sich Frodo um und sah ihn an. Sein Gesicht war ziemlich ausdruckslos, seine Augen so wie beim Freudenfeuer am Abend zuvor. „Was meinst du, Onkel? Gestern sind eine Menge Dinge passiert.“

„Ich habe gestern etwas gesehen, Frodo, und ich bin ehrlich nicht ganz sicher, was es war. Ich dachte, ich hätte dich auf den Knien gesehen, wie du drei Jungs hintereinander ,bedient’ hast, im Wald hinter dem mittleren, nördlichen Schuppen.“ Bilbo lehnte sich in seinem Sessel nach hinten und beobachtete.

Frodo starrte ihn eine ganze Weile an; sein Gesicht wurde erst weiß, dann rot und dann wieder bleich. „Du hast mir nachgeschnüffelt.“ erwiderte er in flachem Tonfall.

„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich sah, wie du mit drei viel älteren, größeren Jungs zu einem abgelegenen Platz gingst, und ich bin dir gefolgt.“

„Das hättest du nicht tun können! Ich hätte dich gesehen... oder dich gehört. Die haben Wache gehalten und niemanden gesehen! Sara hat’s dir gesagt!“ antwortete Frodo hitzig.

Sara hat es mir gesagt? Das hörte sich auch nicht richtig an. „Frodo, erinnere dich daran, mit wem du redest. Ich habe einen Drachen ausspioniert, Spinnen ausmanövriert, die so groß waren wie die meisten Auenlandponys und einen Elbenkönig hereingelegt. Ich kann sicher hinter ein paar achtlosen Burschen herschleichen, die mit lüsternem Tun beschäftigt sind.“ bemerkte Bilbo trocken, und Frodo errötete noch tiefer als zuvor. „Obwohl ich jetzt neugierig bin, was du mit dem Gerede über Sara meinst. Ich hab diese Burschen hinterher in seiner Gesellschaft gesehen. Hat er sie hinter dir hergeschickt, weil du in dem Streit einen Narren aus ihm gemacht hast? Was du, nebenbei gesagt, ziemlich geschickt angestellt hast. Sehr beeindruckend.“ Bilbo zog an seiner Pfeife.

Frodo wandte sich ab und starrte mürrisch ins Feuer. „Nein. Ich weiß nicht. Vielleicht hat er das. Es war nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.“

„Sara hat sie nicht geschickt, um dir eine Tracht Prügel zu verpassen?“

„Ich weiß es nicht... ich glaube nicht. Ich bin nicht verletzt worden. Die sind nicht da gewesen, um mir wehzutun.“

„Also hast du das nicht getan, um einer Tracht Prügel zu entgehen? Du hast nicht mit ihnen verhandelt?“ Frodo schüttelte den Kopf. „War das etwas, das du tun wolltest... war es deine Idee?“

Achselzucken. „Es ist mir egal. Es macht nichts, es macht mir nichts aus.“ Der Junge starrte ins Feuer, die Zähne zusammengebissen.

Bilbo ertastete sich behutsam seinen Weg. „Du hast nicht sehr gezögert.“ Frodo warf ihm einen Blick zu. Ja, ich habe zugesehen, Kind. „Machst du das oft?“ Augen auf das Feuer gerichtet, Achselzucken. „Das sind die selben, oder ein paar von den selben, die Saras Pfeife weggeworfen haben, nicht wahr?“

„Ja.“

„Haben sie die Pfeife weggeworfen, weil du ihnen nicht zu Diensten sein wolltest?“

Frodo betrachtete eine Zeitlang das Feuer und drehte seine eigene Pfeife zwischen den Fingern, Bilbo saß schweigend und hielt sich sehr still. Die Stimme des Jungen war knapp, aber leise. „Sie haben sie genommen und gesagt, sie würden sie wegwerfen, wenn ich es nicht täte, und sie würden sie gefüllt zurückgeben, wenn ich es täte. Also hab ich es getan, aber sie haben sie trotzdem weggeworfen.“

Bilbo legte seine eigene Pfeife unter seinen Sessel. Er wollte sie jetzt nicht anfassen. „Also wussten sie, dass sie so etwas von dir verlangen konnten.“ Frodo nickte. „Wie hat das alles angefangen?“

Frodo runzelte die Stirn, dann schaute er ein wenig verwirrt drein. „Ich bin... ich bin nicht sicher. Es war bloß etwas, was ein paar von uns einmal getan haben, vor einer Weile. Wir haben bloß herumgealbert. Und irgendwann haben sie mich gefragt. Es ist nicht viel. Sie waren nicht gerade furchtbar scharf darauf, jemanden um sich zu haben, der so jung ist wie ich, aber dann waren sie’s, und sie mögen mich dafür, dass ich’s mache.“ Er war einen Moment lang still, dann wandte er langsam den Kopf und sah Bilbo in die Augen. Es war ein wissender Blick, der selbe wie im Wald. „Ich bin gut darin.“

„Das würde ich auch sagen.“

Frodo errötete tiefer als je zuvor und wandte sein Gesicht hastig zum Kamin zurück. Sie saßen schweigend. Bilbo brütete über der Information und seufzte in sich hinein. Ein kleiner Junge mit größeren Rüpeln, aber er wollte dazugehören. Oh Frodo, warum hat bloß niemand auf dich Acht gegeben? Nun, wenn man ihn von den Rüpeln wegbrachte, würde sich das ,ungezogene’ Benehmen wahrscheinlich von selbst erledigen. Er bezweifelte stark, dass Frodo so etwas tun würde, wenn er nicht dazu gedrängt wurde. Vielleicht machst du besseren Gebrauch von deinen Lippen mit einer Person, die es mehr zu schätzen weiß. Dann fiel Bilbo ein, wer Pläne hatte für Frodos Lippen, und er konnte einen Schauder gerade noch unterdrücken. Ist mit Esmie ins Bett zu gehen so viel schlimmer als das, was du gesehen hast? Ist es irgend besser?

„Wirst du es Onkel Rory sagen?“ frage Frodo still. Er hielt noch immer seine Pfeife fest. „Ich werde wahrscheinlich gleich morgen weggeschickt, wenn du das tust. Aber ich nehme an, du musst wohl.“

Bilbo lauschte sorgfältig auf Arglist in den Worten des Jungen, aber er hörte nur Kummer und einen Hauch von Niedergeschlagenheit.

„Ich würde vorziehen, dass du es Rory selbst erzählst, genau wie du es mir erzählt hast, Frodo. Ich denke, er würde es von dir hören wollen.“ Der Junge schaute ihn mit einem Ausdruck des Unglaubens an. „Ich möchte diese Geschichte niemandem erzählen, hauptsächlich deswegen, weil ich denke, dass du derjenige sein musst, der sie erzählt. Ich meine nicht nur das von gestern, oder nur das von gestern. Du hättest schon eher mit deinem Onkel Rory reden sollen, als die anderen Jungs angefangen haben, dich zu ärgern!“ mahnte er.

Wie Bilbo es erwartet hatte, verdrehte Frodo die Augen und tat einen tiefen Seufzer über die unsinnige Idee, einem Erwachsenen zu sagen, dass man von anderen Kindern geärgert worden war. „Oder wenn nicht Rory, dann hättest du zu Gilda gehen sollen.“ Er lachte beinahe über den Ausdruck des Entsetzens, der über das Gesicht des Jungen huschte. „Ja, das meine ich ernst! Sie liebt dich Frodo, so sehr, wie sie Merry und Merle liebt, und vertrau mir, wenn ich sage, dass sie wahrscheinlich schwerer zu schockieren ist als Rory. Eine Heilerin bekommt eine ganze Menge zu sehen und weiß Dinge, über die die meisten gewöhnlichen Leute nicht nachdenken wollen. Sie kümmert sich um Dinge, von denen man nicht will, dass sie bekannt werden, vor allem Dinge, die passieren, weil man mit jemandem schläft, mit dem man es besser gelassen hätte.“

Bilbo verspürte ein Gefühl der Erleichterung darüber, dass er zum Grund der Gerüchte und Sorgen vorgedrungen war. Die Neuigkeiten waren hässlich, aber unaussprechlich waren sie nicht. Frodo hatte sich an einem schlechten Ort gefangen, der sich gut anfühlte, und er hatte sich zu sehr geschämt, dass er um Hilfe gebeten hätte, um sich daraus zu befreien. Ich sollte dafür sorgen, dass er morgen mit Rory redet. Gilda wäre besser, obwohl Frodo sich wahrscheinlich lieber die Zunge abbeißen würde, als seiner Oma gegenüber solche Dinge zuzugeben. Bilbo stellte sicher, dass sein Ton freundlich und beruhigend war, als er fortfuhr.

„So oder so, du hättest mit jemandem reden sollen. Das solltest du immer noch. Diese älteren Jungs benutzen dich zu ihrem Vorteil, wenn sie dir auch nicht wirklich wehtun. Und dass du fortgeschickt wirst, nun, das ist entschieden“, obwohl ich mein Bestes tun werde, diese Entscheidung umzukehren, „und Rory wird dir nichts zuleide tun, wenn er die ganze Geschichte hört. Frodo, es mag jetzt nur ein kleiner Trost sein, aber ich glaube, du hättest mit jedem der Erwachsenen reden können, die für dich verantwortlich sind, und den Belästigungen hätte ein Ende gemacht werden können. Nun... mit jedem außer Sara.“

Frodos Gesicht verzerrte sich vor Hohn. „Nicht nötig, ihm irgendwas zu sagen!“ Er starrte in das Feuer.

Bilbo erstarrte. All die Andeutungen, die unbedachten Kommentare, all die Blicke. Er zählte die Dinge zusammen, rechnete noch einmal nach, und noch immer stand am Ende etwas, dass sein Blut gefrieren ließ. „Meinst du, dass er es nicht wissen sollte, oder dass er es nur allzu gut weiß?“

„Er weiß es nur allzu gut.“ Bittere Stimme, bitteres Lächeln.

Bilbo wollte so etwas nicht von Sara denken. Er mochte den Kerl hassen, er mochte wissen, dass er ein Trunkenbold und ein Verschwender war, dass er Frodo schikanierte, aber Bilbo wollte nicht denken, dass der Mann ein Kind missbrauchte. Er ist mit einer Frau verheiratet, die es tun würde. „Das ist es, was er mit dir gemacht hat, als er das mit der Pfeife herausfand, nicht wahr? So bestraft er dich, oder?“ Frodo sah nicht so aus, als würde er zuhören. „Entweder du ,bedienst’ ihn, oder er schlägt dich? Lässt er dir die Wahl?“ Frodo starrte ohne jedes Zeichen von Aufmerksamkeit ins Feuer.

„Jetzt nicht mehr.“

Bilbo drehte sich um und starrte seinerseits ins Feuer. Es fühlte sich an, als hätte er versucht, einen Text zu übersetzen, irgendetwas Abseitiges, und er hätte geglaubt, auf der Suche nach einer bestimmten Bedeutung zu sein, nur um jetzt festzustellen, dass sich ihm etwas nahezu Unbeschreibliches präsentierte, das selbe Thema, aber viel größer, viel schrecklicher. Er hatte Saras Eifersucht richtig gelesen, aber nicht die Grausamkeit dieses Mannes. Seine eigenen Kinder liebt er so sehr, wie konnte er nur? In der Rückschau war es offensichtlich – die Ausflüchte, die merkwürdigen Blicke, das Schweigen, Saras wissendes Grinsen. Esmie weiß Bescheid, Sie muss es wissen. Weiß Sara, dass sie es weiß? Bilbo hatte ziemliche Zweifel, denn er wusste, Esmie würde dieses Wissen unweigerlich für sich behalten, um es zu ihrem Vorteil zu nutzen. Bilbo stählte sich für Fragen, deren Antworten er wirklich nicht wissen wollte. Er musste diesen entsetzlichen Text vollständig lesen und begreifen.

„Und wann hat das angefangen... dass er dich auf diese Weise benutzt?“

„Vor einem Jahr, vielleicht ein bisschen eher. Es war, nachdem Oma sehr krank wurde und anfangen musste, ihren Gehstock zu benutzen. Er hat mich erwischt so wie du, aber wir haben ihn gesehen. Er hat die anderen weggeschickt, und er sagte, er würde mich verraten, er würde es Onkel Rory sagen und Gilda, und Esmie. Er sagte, er täte es nicht, wenn ich...“ Frodo zuckte die Achseln.

„Passiert das nur, wenn er dich bestraft?“ Frodo nickte, die Augen auf irgendeinen Punkt vor sich gerichtet. „Wie oft?“

Frodo runzelte leicht die Stirn und dachte nach. Zu seiner Bestürzung sah Bilbo, wie er mit dem Zeigefinger der einen an den Fingerspitzen der anderen Hand abzählte. Nach zu vielen Tupfern zuckte Frodo nur noch die Schultern. „Ich weiß nicht. Wann immer er wütend genug war wegen etwas, das ich getan hatte.“

„Wie zum Beispiel, als du die Pfeife verloren hast.“

„So was, ja. Wenn ich einen ordentlichen Klaps verdiene, nehme ich an.“

„Dann hätte er dir auch einen Klaps geben und dir nicht befehlen sollen, das zu tun!“

Frodo warf Bilbo einen neugierigen, wachsamen Blick zu, dann zuckte er wieder mit den Schultern. „Du hast noch nie Prügel von ihm bezogen. Wie auch immer, es macht nichts. Es tut nicht weh, und es kümmert mich nicht.“

„Mich kümmert es, und mir bedeutet es eine ganze Menge!“ grollte Bilbo. „Er hat kein Recht, auf diese Weise Hand an dich zu legen, ob es dir wehtut oder nicht!“ Frodo beobachtete ihn jetzt ganz genau, ohne sich abzuwenden; Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. Bilbo zwang sich, tief durchzuatmen und sich zu beruhigen. Verängstige den Jungen nicht mit deinem eigenen Zorn, Beutlin. Es gibt noch mehr zu wissen. Das Lesen dieser hässlichen Absätze hatte seinen Mund trocken und seine Brust eng gemacht. Er wollte die Hände zu Fäusten ballen und Sara finden. Oder auch... sie öffnen, die Hände ausstrecken und Frodo an sich ziehen und ihn wiegen, wie er es getan hatte, als er noch ein Kind gewesen war, und ihn so behutsam halten wie er die Hauptarchivistin in Bruchtal eine Seite aus dem großen Buch der Gedichte hatte nehmen und umwenden sehen, um ihm einen neuen Absatz zu zeigen. Er durfte keines von beidem tun. Bilbo faltete die Hände sorgfältig im Schoß und formulierte eine Frage.

„Hast du jemals mit eigenen Augen gesehen, wie Sara solche Dinge irgend einem anderen Jungen angetan hat? Denen, die er mit dir erwischt hat?“

Frodo schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, hat er nie.“ erwiderte er. „Das hab ich Sara nie tun sehen, und ich hab auch nichts darüber gehört. Und ich hätte es gehört, wenn er das gemacht hätte.“

Bilbo war seltsam beruhigt von der Gewissheit in Frodos Tonfall. Der Junge hatte ihm geradewegs in die Augen gesehen und ohne jedes Zögern gesprochen. Saras Gemeinheit hat ein paar Grenzen, wie es scheint. Das machte es irgendwie leichter, die nächste Frage zu stellen.

„Also glaubst du nicht, er würde...“, Bilbo musste schlucken und tief Luft holen, bevor er die Frage beenden konnte, „... er würde Merle oder Merry irgendetwas... Unpassendes... antun, oder?“

Frodo starrte ihn voller Entsetzen an. Nach einem langen Moment entgeisterten Schweigens schüttelte er langsam den Kopf; er schaute Bilbo an, als hätte sein Onkel sich in einen Ork verwandelt.

„Nein.“ Wenn Frodo sicher geklungen hatte, als er über Sara und die Jungs sprach, dann war dies die Wahrheit, in Stein gemeißelt. „Nein. Absolut nicht. Das sind seine Kinder. Er liebt sie! Wie kannst du so was bloß denken!“

„Ich hätte auch nicht geglaubt, dass er dir so etwas antun könnte, wenn du es mir nicht erzählt hättest, Frodo.“ antwortete Bilbo ruhig. „Jemand, der ein Kind so missbraucht, wie du missbraucht worden bist, könnte auch keine Skrupel haben, andere auf die gleiche Weise zu missbrauchen. Deshalb muss ich wissen, was ich von Sara glauben soll und was nicht.“

„Glaubst du mir?“ fragte Frodo im selben Tonfall.

„Nun ja, natürlich tue ich das.“ erwiderte Bilbo verwirrt. „Wieso fragst du?“

Wieder fing Frodo an, die Pfeife zwischen den Händen hin- und herzudrehen. Sie saßen lange genug schweigend da, dass Bilbo sich fragte, ob der Junge überhaupt antworten würde. „Weil es gemein ist, so etwas aber jemanden zu sagen.“ fing Frodo an, „und es ist Sara, wer würde es also glauben?“

„Sogar dein Onkel Rory weiß, dass Sara nicht gerade eine große Liebe für dich hegt, Junge.“

„Aber er würde das hier nicht glauben“, sagte Frodo mit einiger Traurigkeit, „und Sara würde sagen, dass ich lüge, und wer würde mir glauben? Vor allem, wenn sie von den anderen Jungs wüssten.“ Als er den Satz beendete, war Frodos Stimme nur noch ein Flüstern.

Bilbo zählte im Geist zusammen, wer Frodos Wort über das von Sara stellen würde und musste der Schlussfolgerung des Jungen zustimmen. Gilda – sie würde es glauben. Esmie auch, aber sie würde wahrscheinlich lügen oder es gegen dich verwenden. Da war wirklich niemand sonst, der Frodos Worte schlicht als Wahrheit akzeptieren würde. Sie mochten überzeugt werden können, aber sie würden es nicht einfach glauben.

Bilbo lächelte und sprach mit Festigkeit. „Ich, zum einen, und das ist alles, was im Augenblick zählt.“ Der alte Hobbit mimte Strenge. „Obwohl, wenn du versuchst, mich davon zu überzeugen, dass du nichts über ein paar fehlende Pilze von einer gewissen Farm in den Marschen weißt...“ Er ließ den Satz ins Leere auslaufen und zuckte mit den Augenbrauen, dann blinzelte er Frodo zu. Wie er gehofft hatte, fing der Junge an zu lachen, obwohl Frodo ein bisschen errötete, als er an seine Überfälle auf Bauer Maggots Pilzbeete erinnert wurde.

Bilbo dachte, dies sei ein guter Zeitpunkt, dieses elende Gespräch zu beenden. Er hatte die Wahrheit über die Gerüchte bezüglich der anderen Jungen aufgedeckt. Er verstand so viel darüber, wie Sara Frodo gequält hatte, wie er aushalten konnte. Er vertraute größtenteils darauf, dass Sara niemandem sonst Schaden zufügte. Das ist mehr als genug, Beutlin. Beruhige ihn, und dann schick ihn weg, damit er sich ein bisschen ausruhen kann.

„Wie ich sagte, Frodo, ich werde niemandem gegenüber wiederholen, was du mir erzählt hast. Du hast nichts Beschämendes getan. Närrisch vielleicht, aber deine Jugend entschuldigt das meiste davon. Ich denke, dass ich dich vielleicht ein bisschen erschreckt habe, weil ich über ein paar Dinge, die du gesagt hast, wütend gewesen bin. Auf dich bin ich in keiner Weise wütend. Andere haben dir beschämende Dinge angetan, und das ist es, was mich aufregt. Ich glaube allerdings, dass wir beide morgen zu deinem Onkel Rory gehen und ihm sagen müssen, wie du benutzt worden bist. Er ist dein Vormund, und er muss wissen, wo er versagt hat. Er muss von den anderen Jungs hören, und er muss von Sara wissen.“

Frodos Humor verschwand so schnell wie das erste Frühstück. „Nein, tu das nicht! Ich will nicht, dass Onkel Rory solche Sachen weiß!“

Bilbo schüttelte den Kopf, stand auf, hob seine Pfeife vom Boden auf und legte sie auf den Kaminsims. Ehrlichkeit, Beutlin, sei ehrlich zu dem Jungen. Bilbo drehte sich um und stand dicht neben dem Kamin, den Ellbogen auf dem Sims. Frodo war ebenfalls aufgestanden und beobachtete ihn voller Bestürzung.

„Frodo, es ist nicht so ein großes Geheimnis, wie du denkst. Das von den anderen Jungs meine ich, nicht das mit Sara. Rory hat eine ziemlich genaue Ahnung davon, was du getrieben hast, und er ist nicht sehr glücklich darüber. Als ich mit ihm gesprochen habe, gleich nachdem ich herkam, da sagte er, er wäre besorgt. Das ist einer der Gründe, weshalb er glaubt, dass du Bockland verlassen solltest – um wegzukommen von den Jungs, die dich schikaniert haben. Er muss die Wahrheit kennen, nicht nur die Gerüchte. Und er muss über Sara Bescheid wissen. Vor allem deswegen denke ich, dass es irgendeinen Weg gibt für dich, hier zu bleiben. Es ist einfach nicht sicher. Ich sehe keinen Grund, es ihm nicht zu erzählen. Ich will nicht, dass Sara dich anfasst.“ Sogar Pal wäre im Vergleich zu Sara eine Verbesserung. Ich denke, man kann ihm soweit trauen, dass er die Finger aus deiner Hose lässt, und dass er deine aus seiner heraushält. Es spielte keine Rolle, er musste Frodo so schnell hier wegholen wie er konnte und sich später darum sorgen, wie er den Jungen nach Beutelsend bekam. Nicht, dass Esmie ihn unbeaufsichtigt zu Pal bringt, oh nein!

Bilbo starrte zu Boden, die Zähne zusammengebissen; er fühlte messerscharfe Wut in sich aufsteigen, als der erste Schock nachließ und er wahrhaftig begriff, was Sara Frodo angetan hatte. Und wenn ich Frodo in Sicherheit habe, Sara, dann jage ich dich und nehme Rache an dir, einen Schlag für jedes Mal, das Frodo an seinen Fingern abgezählt hat. Und dann schleppe ich dich vor deinen Vater und zeige Rory, wie eine perverse Kreatur wirklich aussieht. Und dann werde ich... Bilbo wurde von Frodos Stimmen aus seinen Rachegedanken gerissen.

„Bitte. Tu’s nicht. Erzähl es ihm nicht.“ Zu Bilbos Bestürzung hatte sich Frodos Verhalten geändert. Es war so, wie Bilbo es am ersten Abend gesehen hatte, an dem er hier war, aber viel stärker. Das bezaubernde Tuk-Lächeln, eine gewisse Haltung von Kinn und Schultern, Honig in seiner Stimme. Es war nicht ganz so offensichtlich verführerisch, wie er es im Wald gesehen hatte, und keineswegs die schreckliche Schönheit vom Sonnenuntergang. Aber die Kerzen waren nieder gebrannt, und das Feuer warf eine warme Glut und weiche Schatten auf Frodos Gesicht und Hals, und er war reizvoll.

Frodo kam langsam herüber und blieb dichter vor ihm stehen als er sollte. „Das ist es nicht wert, Onkel Rory aufzuregen, oder irgendjemand anderen. Verrate auch Sara nicht, bitte.“ Bilbo setzte ein nachdenkliches Gesicht auf, während sein Herz schneller schlug. Frodo lächelte. „Aber vielleicht gibt es ja auch gar nichts, über das Onkel Rory sich Sorgen machen muss, wenn es bloß die Rüpel sind, die ihn bekümmern. Ich treibe mich nicht mehr mit denen herum.“ Er glitt näher heran. Bilbo zwang sein Gesicht in einen milden Ausdruck; er musste sich zwingen, vor Frodos Annäherung nicht zurückzuzucken. „Du hast Recht, wir sollten wahrscheinlich etwas über die Rüpel sagen, damit er sich keine Sorgen mehr machen muss. Der Grund, ihm nichts zu sagen, ist der, dass ich nicht fortgeschickt werde, siehst du das nicht? Nichts über Sara, meine ich.“

Bilbo ließ sich sorgfältig auf die Fersen sinken, damit zwischen ihnen etwas mehr Abstand war. „Nicht fortgeschickt werden? Aber ich denke nicht, dass du hier in Saras Nähe bleiben solltest. Ich mag den Gedanken nicht, dass er dich missbraucht, selbst wenn du dabei nicht verletzt wirst.“ Nein, Frodo, bitte, tu das nicht.

„Aber wenn ich zu Pal gehe, dann wird er nicht zulassen, dass du mich siehst. Du hast es selbst gesagt. Ich glaube nicht, dass ich das ertragen könnte, Bilbo.“ sagte Frodo leise. „Aber hier kannst du mich immer sehen. Willst du mich denn nicht – sehen?“ Frodo richtete seine großen, erddunklen Augen auf Bilbo und legte ihm eine Hand auf den Arm.

„Fass. Mich. Nicht. An.“ Frodo sprang zurück, verängstigt von der Heftigkeit in Bilbos Worten. Bilbo starrte ihn durchbohrend an, bis der Junge sich noch ein paar Schritte weiter zurückzog, dann legte er seinen Kopf schief und lächelte. „Ein Ausdruck, den einzuüben du gut beraten wärst. Was glaubst du eigentlich, was du hier machst?“

„Was du willst.“ schoss Frodo zurück. „Ist es nicht das, was du willst?“ Bilbo schüttelte den Kopf. „Was willst du denn dann von mir?“ wollte der Junge wissen.

„Das hier offensichtlich nicht.“ Bilbo hatte das Gefühl, dass er wieder atmen konnte.

„Irgendwas willst du jedenfalls von mir.“ schnappte Frodo. „Ich hab gesehen, wie du mich anstarrst, wie du mich beobachtest. Bin ich nicht das, was du willst? Das ist es, was man sagt.“

„Du hast Sara zu oft zugehört, Frodo; etwas, wovon ich gehofft hatte, dass du klug genug wärst, es nicht zu tun.“ erwiderte Bilbo mit einiger Schärfe. „Was glaubst du denn, was ich von dir will?“

„Du magst Jungs wie mich, oder nicht?“

„Sagt wer? Die einzigen Meinungen im Brandyschloss, auf die du hören solltest, sind die von Rory und Gilda. Ist es das, was sie gesagt haben?“ Frodo antwortete nicht. „Ich denke nicht. Ich will überhaupt nichts von dir, Frodo. Ich bin nicht Sara.“

„Doch, das willst du! Irgendwas willst du von mir, oder du würdest kein solches Gewese um mich machen, wie du es tust. Du würdest mich nicht so beobachten, wie ein Fuchs auf der Jagd. Hör auf zu lügen! Du willst irgendetwas!“

Er hat Recht, ich will etwas von ihm. Das war nicht die Wahrheit, Beutlin. Er kennt den Geruch der Unehrlichkeit. „Ja, du hast Recht, Frodo, obwohl du nicht verstehst, was es ist. Meine Absichten sind viel – komplizierter – als das, was dir bisher begegnet ist.“ Frodo grinste und hob eine Augenbraue. „Allerdings bin ich neugierig. Du hast die ganze Zeit, seit ich hier bin, nie diese Art von Interesse an mir gezeigt. Wieso jetzt? Es kann nicht sein, weil du dich von mir angezogen fühlst. Du begehrst mich nicht. Ich kann kein Zeichen davon an dir sehen. Das bedeutet, dass du auch etwas von mir willst. Du willst etwas eintauschen. Lass mich sehen, ob ich es recht verstehe. Du willst deinen sehr hübschen Körper und deinen ziemlich geübten Mund für etwas einsetzen, das ich dir geben kann. Weißt du, wie man so etwas nennt? Man nennt es Hurenarbeit.“

Frodos Gesicht war wieder ziemlich bleich geworden; so wie in dem Moment, als er zum ersten Mal herausfand, dass er beobachtet worden war. Die Aufgebrachtheit hatte ihn bei Bilbos Worten erneut überkommen und er starrte ihn durchbohrend an. Gandalf hatte Bilbo einmal von seiner ersten Begegnung mit Gerontius Took erzählt, und Bilbo konnte sich ziemlich gut vorstellen, dass der Alte Tuk so dreingeschaut hatte, wie Frodo es jetzt tat. Das passte besser zu ihm als die rehäugige Süßlichkeit von gerade eben. Es passte wie aus einem Guss zu seiner Abwehr von Sara und zu der Selbstbeherrschung, die er gezeigt hatte, als er an der Schuppenwand lehnte und dem anderen Jungen zusah, wie er an seiner Kleidung herumfummelte.

„Du bist so klug und weit gereist, Herr Beutlin“, schnappte Frodo, „Warum sagst du mir nicht, was ich sonst noch zu bieten habe?“

„Warum fangen wir nicht mit einer intelligenteren Frage an, junger Herr Beutlin? Was ist es, das du haben willst? Es ist das Beste, zu wissen, was du erhandeln möchtest, bevor du dem Geschäft zustimmst.“

„Ich will zuhause bleiben, hier im Brandyschloss.“ antwortete Frodo und kam zu Bilbo zurück. „Ich will nicht fortgeschickt werden, und du bist der einzige, den ich kenne, der nicht will, dass man mich fortschickt.“ Er blieb sehr dicht vor ihm stehen, aber er berührte ihn nicht. Da war weder Flehen noch Trug in seinem Betragen. „Ich werde tun, was immer du willst, so gut ich es kann, alles für dich. Nur darfst du Sara nicht verraten, lass nicht zu, dass man mich fortschickt. Ich werde die anderen Jungs in Ruhe lassen, ich werde nur für dich da sein, wenn du mir hilfst, hier zu bleiben. Du magst den Gedanken nicht, dass Sara mich anfasst? Gut, ich werde ihn das nicht mehr tun lassen. Nur dich. Das ist alles, was ich habe. Ich kann dich nichts anderes geben.“

Bilbo streckte die Hand aus und liebkoste langsam Frodos Wange. „Du würdest tun, was immer ich möchte, nicht wahr? Alles, worum ich dich bitte.“

Frodo presste seine Wange in die Handfläche des alten Hobbits, obwohl er seine Augen weiter auf Bilbo gerichtet hielt. „Ja.“

„Dann bringst du mich in eine schwierige Lage, Frodo.“ Bilbo ließ die Hand sinken und verschränkte die Arme. „Was ich am meisten von dir will, das Einzige, was ich von dir will, ist, dass du das Brandyschloss verlässt und mitkommst, um bei mir in Beutelsend zu leben. Das ist es, was ich will.“ Bilbo ließ die Worte einsinken und ging zu seinem Sessel zurück. „Setz dich jetzt hin.“ Frodo bklieb ein paar Herzschläge lang stehen, Bilbo den Rücken zugewandt, dann gehorchte er.

Bilbo sah zu, wie Frodo sich hinsetzte und ins Feuer starrte, beschämt, aufgebracht und zornig. Er wusste, dass Frodo jedes Wort ernst gemeint hatte und alles getan haben würde, worum er ihn bat. Das war knochenweißes Verlangen, ein direktes und vollkommenes Versprechen, so, wie nur ein Kind es hätte sagen können. Es entsetzte ihn, wie schwer es gewesen war, den Jungen abzuweisen, als er dastand mit der Hand auf seiner Wange. Es hatte einen flüchtigen Moment gegeben, da wusste Bilbo, dass einTeil von ihm die Liebkosung erweitern, Frodo umarmen und ihn besitzen wollte. Wie könnte man jemanden nicht wollen, der so schön ist? Wieder hatte er einen Hauch der Sonnenuntergangs-Maske gesehen, hatte in diesem kostbaren Buch weit voraus gelesen und den Linien nachgespürt, die den Mann beschrieben, der dort sein würde, wo jetzt das Kind war, und Bilbo kannte sich selbst gut genug, um zu begehren, was einst käme. Er war gezwungen gewesen, sich selbst gegenüber zuzugeben, dass in ihm dieses Begehren existierte... diesen geliebten Text zu nehmen und ihn seine eigene Schönheit und seinen Wert zu lehren. Und dann hatte er dieses Übersetzungswerk sorgfätig geschlossen, denn es war nicht an ihm, dies zu tun, und er hatte das Buch zurück ins Regal gestellt, damit ein anderer es fände und kennen lernte.

Bilbo raffte seine Gedanken zusammen und sagte: „Frodo, es gibt keine Möglichkeit, dass man dir gestattet, um Brandyschloss zu bleiben. Du kannst nicht bleiben. Rory und Gilda haben eine Menge Jungs aufwachsen sehen, und sie wissen über die Dinge Bescheid, die Jungs tun, wenn man sie unbeaufsichtigt lässt. Sie haben die Gerüchte gehört, die sich um dich drehen. Sie wissen, dass Sara immer grober mit dir umspringt, und sie sind deshalb besorgt, um eurer beider willen. Sie werden dich nicht bleiben lassen. Es gibt nichts, was ich sagen kann, dass die Meinung deines Onkels zu diesem Punkt ändert. Er war schon vor beinahe zehn Tagen entschlossen, dass du gehen solltest. Und nach dem, was du mir gerade über Sara gesagt hast, stimme ich zu. Du wirst nicht bleiben. Du musst allerdings eine Wahl treffen.“

Frodo drehte sich um und sah ihn abwartend an. Es war immer noch der Blick des Alten Tuk, und Bilbo wusste, dass er mit Vorsicht sprechen musste. Es würde seine einzige Chance sein, die Pläne der Spinne zu durchkreuzen.

„Du musst wählen, wohin du gehst. Du musst wählen zwischen Beutelsend und den Groß-Smials. Esmie kann ihren Fall selbst vertreten; ich werde nur für mich selbst sprechen. In Beutelsend hättest du keine Gefährten außer mir, aber dafür wirst du auch meine gesamte Aufmerksamkeit haben. Ich habe dir schon gesagt, was ich dir gern beibringen möchte. Du wirst weit weg sein von Gilda und Rory, aber nicht weiter, als wenn du in den Groß-Smials leben würdest, und wir werden in allen Ferien zu Besuch kommen. Ich will dich oder Gilda nicht traurig machen, weil ihr euch nicht sehen könnt. Ich werde niemandem verbieten, dich zu besuchen, und ich werde Esmie ermutigen, dass sie mit Merry und Merle zu uns kommt – es gibt jede Menge Platz für sie.“ Vor allem, weil es wahrscheinlich keinen anständigen Weg gibt, die Spinne von dem Versuch abzuhalten, ihre Netze um dich zu weben. „Du wirst nicht mehr die Erlaubnis haben, so viel herumzustromern wie hier, aber ich denke, es wird mir möglich sein, dir ein paar interessantere Dinge zu tun zu geben. Und du bereitest dich besser darauf vor, viel zu laufen, weil ich fast genauso viel Zeit damit verbringe, das Auenland zu drchstreifen, wie ich im Studierzimmer sitze.“

„Ich werde dich nicht zwingen, mit mir zu gehen. Du musst Beutelsend frei wählen. Ich will nicht, dass du mit mir kommst, es sei denn, dass es das ist was du tief im Herzen willst. So heftig will ich dich nicht haben.“ Nein, ich will dich so viel stärker, dass es mich umbringen wird, wenn ich dich verliere. „Du kannst die Groß-Smials wählen, wenn du willst. Da wirst du enden, wenn du überhaupt keine Wahl triffst. Aber denk nicht, dass du dem Klatsch entkommen kannst. Die Gerüchte über deinen Geschmack und deine Handlungen folgen dir überallhin. Die Leute werden nicht über dich schweigen, Frodo. Sie werden sich das Maul zerreißen, was auch immer du gegen sie oder für sie unternimmst. Denn obwohl du alles tust, was Sara von dir verlangt, sagt er immer noch üble Dinge über dich, wie du wohl weißt.“

Die beiden saßen für ein paar Minuten schweigend da. Frodo schaute nicht weg. Bilbo ertrug die Überprüfung durch den Jungen mit Geduld.

„Ich weiß nicht, was ich wählen soll.“ sagte Frodo ruhig. „Auf welche Weise willst du mich haben?“

„Ich bin nicht sicher, wie du das meinst, Frodo. Sei etwas präziser, und sei ruhig brutal, wenn es nötig ist.“

Frodo bückte sich und hob die Pfeife vom Fußboden auf, wo er sie hatte fallen lassen. Er starrte darauf herunter und drehte sie in seinen Händen, während er nachdachte. Er nickte kurz und scharf und fing Bilbos Augen noch einmal mit dem forschenden Blick des Alten Tuk ein. „Ich möchte etwas wissen. Wenn wir einmal dort sind und kein anderer mehr in der Nähe, hast du dann die Absicht, mit mir zu schlafen? Ist das der Grund, weshalb du willst, dass ich mit dir komme?“

Bilbo dachte, dass er lieber wieder Gollum mit seinen gezischten Rätseln gegenüberträte als Frodo mit seinen unverblümten Fragen. Wenn er bei Gollum verloren hätte, dann hätte er nur sein eigenes Leben riskiert. Bei Frodo zu verlieren, würde bedeuten, dass Frodo fortgebracht und missbraucht würde, und er wäre zu hilflos, um etwas anderes zu tun als dabei zuzuschauen. Aber das konnte er nicht als Argument benutzen. Frodo musste bereits zwischen allzu vielen Übeln wählen.

„Ich gehe nicht mit Kindern ins Bett, weder mit Jungen noch mit Mädchen, Frodo. Die bloße Idee ist für mich abstoßend. Erinnerst du dich daran, wie du dich gefühlt hast, als ich dich nach Sara und seinen Kindern fragte? So fühle ich mich bei dieser Frage. Du bist kein kleines Kind mehr, aber für mich bist du trotzdem noch ein Kind. Ich habe nicht die Absicht, mit dir zu schlafen, dich anzufassen oder von dir angefasst zu werden, wie ich es dich habe mit diesem Jungs tun sehen, oder auf irgendeine ähnliche Art und Weise.“

„Schläfst du mit Männern?“ Scharfer Ton, noch schärferer Blick.

„Es ist erfrischend, gefragt zu werden anstatt dass man es einfach unterstellt, aber es ist immer noch eine naseweise Frage. Wieso willst du so etwas von mir wissen?“

„Ich möchte wissen, wo ich da hineingerate. Ich werde nicht immer ein Kind sein.“

Bilbo dachte darüber nach, dann nickte er. „Das wirst du tatsächlich. Ich will dir meine Geschichte erzählen, obwohl ich keine Namen nennen werde; ich möchte keine andere Person beschämen. Ich war ein wenig jünger als du, als ich Freundschaft geschlossen habe mit einem Jungen etwa in deinem Alter. Wir waren immer zusammen und wir haben einander auf jede erdenkliche Weise genossen. Das war meine erste Liebe, und er starb im Grausamen Winter. In meinen Zwanzigern habe ich verschiedenen Mädchen den Hof gemacht, und ich habe wenigstens mit einer davon geschlafen. Mehr zu behaupten wäre Prahlerei. And Ende haben sie sich anderen zugewandt, und ich habe keines ihrer Herzen festgehalten.“

Frodo hatte sich in seinem Sessel umgedreht; er hatte ein Knie angezogen und stützte das Kinn darauf. Die Heftigkeit war aus seinem Gesicht gewichen, und er sah aus wie an dem Abend, als Bilbo ihm Geschichten über seine Eltern erzählte, während Frodo die Leintücher zusammenfaltete und verstaute. „Seit ich jährig geworden bin, habe ich mein Bett mit verschiedenen anderen geteilt, Männern und Frauen. Ich habe mir keinen Liebhaber genommen, der unwillig oder nicht erwachsen gewesen wäre, ich habe nie jemanden dafür bezahlt, dass er mit mir schläft, noch habe ich mich dafür bezahlen lassen, mit jemandem zu schlafen. Ich habe auch nie bei der Frau eines anderen Mannes gelegen.“

„Hast du mit einem verheirateten Mann geschlafen?“ fragte Frodo.

„Ja.“ Bilbo ließ den Jungen eine Weile darüber nachdenken.„Ich beanspruche nicht für mich, so zu leben, wie man sollte. Es hat viele Zeiten gegeben, in denen gern ich so gewählt und das Gleiche getan hätte wie dein Onkel Rory. Vielleicht hätte ich auf meine Manieren achten und so leben sollen, wie man es von einem alten Hagestolz erwartet. Manchmal möchte man aber einfach das Gewicht eines anderen auf sich spüren, wissen, was den anderen vor Entzücken nach Luft schnappen lässt, wie derjenige riecht, wie er schmeckt. Vielleicht ist das, was ich getan habe, falsch und böse, aber ich habe nie viele Gedanken daran verschwendet, was ich tat... ob derjenige, der mit mir zusammen war, nun ein Mann war oder eine Frau. In den Jahren nach dem Grausamen Winter lagen die Dinge anders als jetzt, und ich war immer noch ein respektabler Beutlin. Niemand glaubte wirklich, ich hätte all die üblen Dinge getan, die die Gerüchte mir nachsagten. Dann bin ich mit einem Zauberer und einem Rudel Zwerge fortgerannt in die Wildnis, und seit dem bin ich nie wieder respektabel gewesen.“

Bilbo hielt inne und fragte sich, ob er zuviel gesagt hatte. Frodo wartete einfach auf den nächsten Teil der Geschichte, ruhig, aber neugierig. „Und als ich von meinen Abenteuern zurückgekommen war, stellte ich fest, dass mir nur noch wenig Geschmack an Dingen wie Liebe und Lust geblieben war. Ich hatte ein paar Liebschaften, aber nichts, das länger andauerte. Ich schaute mich ein bisschen um und dachte darüber nach, mir eine Frau zu suchen, aber ich konnte nie eine finden, die entweder eine viel größere Liebe für meinen Schatz empfand als für mich, oder die versuchte, mich wieder zu einem respektablen Hobbit zu machen. Siehst du, ich wollte herumwandern und mit Zwergen reden! Ich fürchte, die Kupplerinnen von Hobbingen haben das als persönliche Beleidigung aufgefasst und ein paar ziemlich unappetitliche Schlüsse über meine romantischen Aktivitäten gezogen. Und da ist immer diese kleine warnende Stimme gewesen, die ich nicht richtig erklären kann, und die mir sagte, dass ich für mich bleiben soll.“

Frodo saß da und dachte nach. Bilbo sah zu, wie das ersterbende Licht des Feuers über sein Gesicht spielte. Der Junge hatte weder verstört noch abgestoßen gewirkt von dieser Beschreibung seines Lebens. Für ihn ist es nicht wirklich. Es ist bloß eine weitere von Onkel Bilbos wilden Geschichten. „Und jetzt?“ Frodo betrachtete ihn mit neugierigen Augen, wieder ein Kind, das nach dem „Und wenn sie nicht gestorben sind...“-Teil der Erzählung fragte.

„Niemand. Ich habe seit Jahren mein Bett nicht mehr mit jemandem geteilt, und ich habe kein Interesse daran, es wieder zu tun. Und scheinbar will niemand mit mir zusammen sein, also geht doch alles sauber auf.“

„Wieso nicht? Warum sollte niemand wollen?“

Bilbo gluckste ein bisschen. „Nun, vielleicht weil ich eigenartig und alt bin! Warum sollte jemand mich haben wollen?“

„Weil du lustig bist und klug und nett und weil du gut aussiehst und alles weißt!“ erwiderte Frodo mit unschuldiger Ernsthaftigkeit. „Wer würde dich nicht mögen?“

„Eine ganze Menge Leute, darunter viele Verwandte. Ich glaube, ein paar davon hast du getroffen.“

„Na, dann sind sie eben alle dumm.“

„Erlaube ihnen ihren Geschmack, so wie ich mir wünschen würde, dass sie mir den meinen erlauben.“

Frodo grummelte ein wenig vor sich hin und wandte sich zum Feuer zurück. Bilbo dachte kurz nach und wusste, dass es eines gab, was er noch sagen musste: „Frodo, du hast mich gefragt, auf welche Weise ich dich haben will. Ich will, was ich niemals hatte: einen Sohn. Das ist es, was mein Herz verlangt. Das ist es, was ich von dir will, warum ich dich so aufmerksam beobachte. Und es kümmert mich ganz sicher nicht, ob du respektabel bist. Ich bin nicht sicher, dass du weißt, was du willst, Frodo. Ich denke, es gibt Dinge, die du nicht brauchst; niemanden, der Dinge von dir verlangt, niemand, der dich so anfasst, wie man ein Kind nicht anfassen sollte. Du brauchst ein bisschen Zeit, zu überlegen, was du willst.“

„Also, das ist es worum ich dich bitte; das ist es, was ich dir anbiete. Es ist alles, was ich habe. Etwas anderes kann ich dir nicht geben. Du musst die Wahl treffen: Ich selbst und Beutelsend, oder Esmie und Pal und die Groß-Smials. Du hast Zeit bis zum nächsten Himmelstag; dann wird dir die Wahl abgenommen.“

Frodo nickte langsam und starrte wieder in den Kamin. So saßen sie eine Viertelstunde, während das Feuer herunterbrannte. Die stechende Fliege hat zugebissen, die Fäden des Netzes sind gelöst. Jetzt ist es an Frodo, heraus zu steigen. Er beobachtete seinen Jungen und hoffte, sein Herz würde nicht gebrochen werden.

„Onkel Bilbo?“

„Ja, Frodo?“

„Bist du wütend auf mich?“

„Warum sollte ich wütend auf dich sein?“

„Wegen dem, was ich gesagt und getan habe.“

Das war eine ganze Menge Reden und Tun. dachte Bilbo, aber er erwiderte: „Natürlich nicht, mein Junge. Und ich werde zu niemand anderem darüber reden.“

„Du würdest mich nicht auf diese Art anfassen.“

„Nein, würde ich nicht.“

„Nicht einmal, wenn ich dich darum bitte?“

Bilbo wartete, bis Frodo sich ihm zuwandte und ihm in die Augen sah. „Nein, das würde ich nicht. Selbst wenn du mich darum bitten solltest. Selbst wenn es wirklich das wäre, was du willst. Nein.“

Frodo nickte, als hätte Bilbo ihm gerade die Bedeutung eines elbischen Wortes erklärt, und er dachte ein wenig nach. „Was, wenn es das ist, was ich will – aber von jemand anderem? Was, wenn ich es mag?“

Bilbo musste tatsächlich darüber nachdenken. Ehrlich, sei ehrlich. „Ich würde jeden Erwachsenen hassen, Mann oder Frau, der lüstern Hand an dich legt, egal wie willig du bist. Ich möchte nicht, dass du so was tust. Ich möchte nicht, dass du missbraucht wirst. Und wenn es darum geht, was du mit anderen Jungen oder Mädchen anstellst... ich kann nur sagen, ich hoffe, das du wartest, bis du älter bist und besser beurteilen kannst, was du machst. Erlaube keinem anderen Jungen, dich so zu benutzen, wie es der Fall gewesen ist. Nach dem, was ich über mich selbst gesagt habe, kann ich dir ja wohl keinen anderen Rat geben, ohne als Heuchler dazustehen, oder?“

„Hmmm“, war alles was Frodo gedankenvoll sagte. Dann waren seine Augen wieder scharf. „Du würdest jemanden wie Sara das nicht mehr mit mir tun lassen?“

„Wenn er es versucht, kastriere ich ihn.“ Bilbo wusste, dass er nicht übertrieb. Wenn ich ihn sehen würde, ich täte es gleich jetzt. Wenn er mein Kind je wieder anfasst, reiße ich ihn in Stücke. Ich würde das mit jedem machen, der es versucht. Ich will, dass er leidet wie Frodo, nur viel schlimmer....

„Wie bald kann ich gehen?“

Wieder wurde Bilbo von Frodos Stimme aus seinen Gedanken gerissen. „Oh, wann immer du möchtest. Du kannst gehen, wann immer du willst, Frodo. Und du kannst bleiben, so lange du noch Fragen hast.“

„Nein – wie bald können wir abreisen und nach Beutelsend gehen?“ Frodo setzte sich in seinem Sessel gerade hin und schaute Bilbo erwartungsvoll an.

Bilbo starrte Frodo einen Moment lang dümmlich an. Er hat gewählt. Er hat mich gewählt. Er ist mein. „Ich glaube, du solltest ins Bett gehen und dich ein bisschen ausruhen. Wir können morgen darüber reden, und sicher gehen, dass...“ brachte er stammelnd heraus.

„Nein. Ich muss nicht mehr überlegen. Ich bin bereit, jetzt gleich zu gehen!“ drängte Frodo, aber dann umwölkte sich sein Gesicht. „Außer, Onkel Bilbo... was ist mit Esmie? Sie wird es nicht erlauben. Sie wird darauf bestehen, dass ich in die Groß-Smials gehe. Das wird alles umwerfen, was sie geplant hat.“

Du magst nicht das ganze Muster kennen, aber du weißt, dass sie ein Netz spinnt. „Ich brauche Rorys Erlaubnis, Frodo, nicht die von Esmie.“ versicherte Bilbo ihm rasch. „Dein Onkel Rory ist dein Vormund. Ja oder nein ist vollständig seine Entscheidung. Und er wird uns die Erlaubnis geben.“ Ich werde ihm keine Wahl lassen. Ich werde so störrisch sein wie Thorin, denn etwas Wertvolleres als der Arkenjuwel steht auf dem Spiel. Und ich weiß, wie ich ihn überzeuge. Er hatte ein wenig über diesen Punkt nachgedacht, und er war sich sicher, dass er endlich ein Argument hatte, das Rory ins Schwanken bringen würde.

Bilbos Gesicht hellte sich auf. „Mein Junge, ich glaube, wir gehen eher auf ein Abenteuer, als wir gedacht haben!“ Er kam auf die Füße und grinste auf Frodo hinunter, der ihm ein Lächeln zurückgab. „Jetzt ab ins Bett mit dir! Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns und mit etwas Glück eine lange Wanderung.“

Frodo stand auf, kam zu ihm herüber und streckte zögernd die Hände für eine Gute-Nacht-Umarmung aus, aber dann zog er sich unsicher zurück. Bilbo lächelte und öffnete die Arme. Frodo schlang seine um Bilbos Hals und legte den Kopf an die Brust seines Onkels; Bilbo umarmte ihn herzhaft und drückte ihn fest an sich, umarmte seinen Jungen so, wie er es an jedem Tag seines Besuches hatte tun wollen. Frodo fing an zu weinen; bald schluchzte das Kind heftig und Bilbo endete auf dem Fußboden sitzend, wo er ihn festhielt, während Frodo seinem Schmerz, seiner Angst und seiner Einsamkeit freien Lauf ließ.

„Schsch, wilwarin, schsch... noch ein bisschen länger, und du wirst zu Hause sein. Dann bist du in Sicherheit.“


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