Das Vermächtnis (The Legacy)
von Anglachel, übersetzt von Cúthalion

10. Kapitel
Skandal

Sonntagmorgen, der 18. Tag im Halimath

Es war spät geworden, bis Frodo sich beruhigt hatte. Obwohl Bilbo versucht war, den Jungen bei sich zu behalten, wäre es nicht weise gewesen, nicht, wenn er am nächsten Tag Rory gegenübertrat. Es reicht schon ein Gerücht, dass er die Nacht in meinem Bett verbracht hat... Bilbo hatte Prims Steppdecke wieder aus der Kiste gezogen, damit Frodo sie mit ins Bett nehmen konnte, hatte den Jungen zärtlich auf die Wange geküsst und ihn gebeten, zum ersten Frühstück nicht zu spät zu kommen. Frodo hatte den Kuss mit einer kräftigen Umarmung erwidert und war hinaus geschlüpft.

Bilbo hatte lediglich ein ganz klein wenig Schlaf bekommen, denn er hatte viel zu bedenken. Die Sterne waren bereits verblasst, bevor er seinen Sessel vor dem Feuer verließ. Was sage ich Rory über Sara? Er dachte über den Schaden nach, den er Sara gern zufügen wollte. Es wäre so einfach... Er konnte den Ring tragen, aber nein, er wollte, dass Sara wusste, wer ihm das antat... Stich von Beutelsend holen und zurückkommen, um die Klinge für diese finstere Kreatur zu benutzen. Er rief sich ins Gedächtnis, wie es sich anfühlte, als Stich in die Spinnen biss; das Knacken des starren Panzers, dann die eigenartig nasse, samtige Empfindung, wenn die Klinge in ihren fetten Leibern versank. Wie sie zuckten und sich verkrampften; sie fielen nicht sofort um wie eine Ziege beim Herbstschlachten. Wie sie zischten. Wie ihr grünes, eitergleiches Blut schäumte, während es aus dem Wunden lief. Auf diese Weise wollte er Sara treffen. Er wollte, dass Sara heulte und vor Schmerz schrie, genau so lange wie Frodo in seinen Armen gesessen und geweint hatte.

Aber wie mit Rory reden? Bilbo dachte, dass sie beide wahrscheinlich mit Rory über die anderen Jungs sprechen konnten, und dass Rory unglücklich sein würde, aber nicht furchtbar schockiert. Was er tun würde, wenn er von Saras Handlungen erfuhr, konnte Bilbo nicht sagen. Würde er mir glauben? Es ist eine Sache, wenn man einem erzählt, sein Sohn sei ein Narr und ein Trunkenbold, sogar, wenn man ihm erzählt, er sei ein Schläger, aber das... Sogar ich wollte so etwas von Sara nicht glauben. Wieso sollte es sein eigener Vater? Würde Rory nicht glauben, ich denke mir das aus, um ihn zum Handeln zu zwingen? Wenn er es behauptete, dann würde er zulassen müssen, dass Rory Frodo befragte.

„Bitte – ich will nicht, dass Onkel Rory solche Sachen weiß!“ Der Aufschrei des Jungen verfolgte Bilbo. Er konnte nicht anders als sich Frodo vorzustellen, wie er vor Rory stand und versuchte, von solchen Dingen zu sprechen. Rory würde nicht zulassen, dass er ihm beistand; er würde Frodo für sich selbst sprechen lassen. Frodo hat Recht. Rory wird ihm nicht glauben wollen.

Bilbo machte sich darüber Sorgen, bis er die Augen nicht mehr offen halten konnte, und er beschloss, dass es nichts gab, was er über Sara sagen konnte, ehe Frodo nicht in Sicherheit war. Er wagte es nicht, zu riskieren, dass er Rory mit Geschichten über Sara in Wut versetzte, egal, wie wahr sie waren, und er konnte seinen Jungen nicht noch mehr Verhöre durchleiden lassen, nicht jetzt. Frodo brauchte nichts weniger als noch mehr Kummer. Er würde allein mit Rory sprechen. Das machte den meisten Sinn. Mit was auch immer ich argumentieren werde, damit Rory mir Frodo überlässt, Frodo sollte nicht dabei sein.

Nach ein paar flüchtigen Stunden stand Bilbo auf und machte sich für den Tag fertig. Er wusch sich gründlich und wusste dabei, dass er sich nicht von der Beschmutzung der Halle reinigen konnte – sie saß im Herzen, nicht auf der Haut. Er kleidete sich langsam und mit großer Sorgfalt an; er fragte sich, ob Frodo schon aufgewacht war. Er nahm keine Kerze mit, als er sich auf den Weg durch die dunklen Tunnel zum kleinen Esszimmer machte. Bilbo ging nicht auf direktem Weg dorthin, sondern wanderte durch die Korridore, die er aus Instinkt und durch die Erinnerungen seiner Kindheit kannte. Er rief sich seine vergangenen Fluchten von finsteren Orten unter der Erde ins Gedächntis.

„Beim Bart von Durin! Ich wünschte, Gandalf wäre hier! Verflucht soll er sein, warum hat er Euch bloß ausgewählt. Möge sein Bart verdorren! Und was Euch angeht: In die Klippen werde ich Euch schmettern!“

„Aber jetzt will ich Deine Herrlichkeit nicht länger stören und dich deines viel benötigten Schlafs nicht länger berauben. Ich glaube, das Ponys schwer zu fangen sind, wenn sie einen großen Vorsprung haben, und bei Meisterdieben ist das ebenso!“

Rasch den schnellen Strom und weit
Heim, wie ihr gekommen seid...

„Dieb, Dieb, Dieb! Beutlin! Wir hassen ihn, wir hassen ihn, wir hassen ihn immerdar!“

Die Stimmen seiner Abenteuer hallten in seinen Gedanken wider. Ring, Pokal und Arkenjuwel habe ich gestohlen, dreizehn Zwerge habe ich von den Elben befreit, die sie gefangen genommen haben. Ich bin auf dies hier wohl vorbereitet. Es würde sein größter Diebstahl sein, denn er würde bei Licht geschehen, ohne den Ring, während sie ihn alle beobachteten. Er hatte die Rätsel gelöst, das Netz zerteilt. Alles was blieb, war den kostbaren Text einzusammeln, aber sein Schatz würde von üblen Geschöpfen bewacht. Zeit, ihre Aufmerksamkeit abzulenken.

Bilbo war von sich selbst überrascht, wie leicht er alle anlächeln konnte, die um den Tisch saßen, sogar Sara... obwohl er das Schicksal nicht herausforderte, in dem er dem Mann zu nahe kam. Rory saß an einem Ende, Gilda am anderen. Keines der Kinder war zu sehen, obwohl eine allgemeines Chaos auf dem Tisch zu beiden Seiten Saras anzeigte, dass Merle und Merry bereits gegessen hatten und wieder gegangen waren. Sie liebt er so, wie konnte er nur? Frodo hatte sich nicht gezeigt. Bilbo blieb lange genug bei Gildas Stuhl stehen, um sie zu begrüßen und ihr einen Guten-Morgen-Kuss zu geben, dann fand er einen Platz direkt neben Esmie.

Bilbo zwinkerte Maddie zu, die heute morgen selbst bei Tisch bediente, und spaßte mit ihr. Gilda hatte sie gebeten, sich hinzusetzen und den Zustand der tiefen Keller mit ihr durchzugehen, aber Maddie wollte nicht Platz nehmen, bevor die gesamte Familie des Herrn nicht bedient und umgluckt worden war, Bilbo wusste, dass Maddie seinen Teller in der selben Sekunde, in der er ihn geleert hatte, wieder auffüllen würde – sie konnte den Anblick eines leeren Gedecks nicht ertragen. Er beobachtete sie und Gilda, dunkler Kopf und silberner, robuste Gesundheit und zerbrechliche Krankheit, wie sie über die Vorratsräume für den kommenden Winter berieten, während Maddie der Herrin ganz selbstverständlich das Fleisch schnitt und ihr das Röstbrot butterte. Bilbo verspürte Erleichterung, dass Gilda Maddies Umsorgung annahm. Andererseits aber würde Maddie ihr vielleicht gar keine andere Wahl lassen. Die Köchin hüpfte von ihrem Stuhl herunter, als Frodo endlich hereinkam, schalt ihn, weil er zu spät kam, manövrierte den Jungen in einen Sessel, steckte ihm eine Serviette in den Kragen und stellte einen vollen Teller (Bilbo war sich nicht sicher, wann sie den vorbereitet hatte) vor den Burschen hin, alles im selben Moment. Frodo blickte ein wenig überrascht drein, dass man ihn so rasch mit der Gabel in der Hand hingesetzt hatte, aber er verschwendete keine Zeit und nahm sein Frühstück in Angriff.

Bilbo studierte seinen Jungen verstohlen. Da waren dunkle Ringe unter Frodos Augen, und sie waren vom Weinen noch ziemlich geschwollen. Aber sein Appetit war gut. Frodo vernichtete das Essen auf seinem Teller, während Maddie strahlte, und noch als er sich den letzten Bissen rasch in den Mund schob, bat er um mehr. Bevor er ihn heruntergeschluckt hatte, stand ein weiterer Teller vor ihm. Wenn er aufgebracht wäre, würde er nicht so gut essen. beschwichtigte Bilbo sich selbst. Eine kleine Stimme war an diesem Morgen gemeinsam mit ihm erwacht, die ihm sagte, dass alles zerfallen würde, dass Frodo seine Meinung ändern, die Spinne betrachten und wieder in ihr Netz zurückgezogen werden würde. Bilbo wusste, dass er den Griff der Spinne um den Jungen nicht unterschätzen durfte.

Die Spinne ihrerseits beobachtete Frodo ziemlich sorgfältig. Angst, dass die kleine Fliege entwischt, stimmt’s? Esmie drehte sich um, um Bilbo noch etwas mehr Tee einzugießen und begegnete seinen Blick. Ihre Augen suchten und prüften. Du weißt, irgendetwas hat sich geändert, Atterkopp, aber du hast nicht die Augen, es zu sehen, so viele du auch besitzen magst. Bilbo warf ihr einen säuerlichen Blick zu und erhob seine Teetasse in ihre Richtung, als wollte er einem Sieg salutieren. Esmie warf sich in die Brust und lächelte; sie langte weit über den Tisch, um die Teekanne zurückzustellen, wobei sie ihren Busen kunstvoll vor Sara und Frodo zur Schau stellte. Bilbo entschied, es sei an der Zeit, dass die stechende Fliege zubiss.

„Esmie, mein liebes Mädchen,“ er lächelte sie an, ganz der charmante, verrückte Onkel, „ich muss dich um einen Gefallen bitten. Ich weiß, du verlässt dich so sehr auf den lieben Kerl und kannst ihn kaum entbehren, aber ich bestehe darauf, mir unseren Jungen für einen Tag auszuleihen. Ich habe eine Kiste abzuschicken, eine Übersetzung zu beenden und ich dachte, heute Nachmittag eine Wanderung zu machen, in Richtung Steingrube.“ Er strahlte in die gesamte Runde und nippte höflich an seinem Tee.

Frodo hatte sorgsam zugehört, ohne von seinem Frühstück aufzublicken, aber Bilbo dachte, dass er ein kleines Lächeln um die Mundwinkel des Jungen geistern sah. Esmie lächelte anmutig, ihre Augen ganz Misstrauen. Sara starrte nun Frodo an und warf Esmie fragende Blicke zu. Bilbo zwang sich sehr entschieden, sein Messer auf den Tisch zu legen. Niemand sonst schien Acht zu geben; Bilbo konnte einem weiteren Kniff in die Spinnenbeine nicht widerstehen.

„Nebenbei, Base, du hattest ihn gestern den ganzen Tag für dich allein, und ich konnte euch beide nirgendwo finden!“ Frodo behielt seinen bemerkenswert farblosen und desinteressierten Gesichtsausdruck bei, obwohl sein Kopf sich ein wenig gesenkt hatte und er überaus beschäftigt schien mit seinen Eiern und seinem Röstbrot. Sara’s Gesicht hatte angefangen, sich einen Hauch rot zu färben, und Rory warf Bilbo einen warnenden Blick zu. Esmies Lächeln war nicht mehr so anmutig. „Warum lässt du mich nicht heute auf den Lümmel Acht geben? Du und Sara, ihr solltet wirklich gehen und diesen schönen Herbsttag genießen. Seit der Ernte habt ihr beide ohne Pause gearbeitet.“

„Bilbo, ich fürchte, ich werde wieder den ganzen Tag beschäftigt sein, weil die Keller meine Aufmerksamkeit erfordern, und ich hatte dabei auf Frodos Hilfe gerechnet.“ sagte sie mit einer sanften, beruhigenden Stimme. Bilbo sah ihr geradewegs in die schlangenkalten Augen und bot sein bestes Tuklächeln auf.

„Esmie, muss ich?“ jammerte Frodo in perfektem Widerstreben. „Ich will mit Onkel Bilbo wandern gehen!“ Er sackte über seinem Frühstück zusammen, wie es nur ein mürrischer, schläfriger Zwanziger fertig brachte. Geräuschvoll schob er das Essen auf seinem Teller herum, während er Esmie grollende Blicke zuwarf. Ich sehe schon, ich werde ein Auge auf dich haben müssen, Wilwarin. Bilbo war sehr stolz auf seinen Jungen.

„Frodo, hör auf mit diesem elenden Benehmen, setz dich gerade hin und nimm deine Ellbogen vom Tisch, bevor ich dir mit meiner Krücke eins überziehe!“ warnte Gilda ihn scharf. Frodo gehorchte rasch, aber er fuhr damit fort, der nun recht verwirrten Esmie bösartige Blicke zuzuwerfen. Dein verzaubertes Netz ist jetzt nicht gar so anziehend, stimmt’s, Atterkopp? Weißt du nicht, dass Zwanziger wetterwendische Geschöpfe sind?

„Esmie, Kind, wirklich... du musst nicht in der Küche angekettet sein,“ schalt Gilda. „Maddie und ich, wir werden uns um die Dinge kümmern.“

„Aber Gilda, ich will nicht, dass du dich übermüdest...“ begann Esmie. Gilda wurde ungehalten.

„Ich habe mich beinahe so lange um diese Keller gekümmert, wie du am Leben bist, Kind, und ich bin wohl ausgeruht genug! Ich denke, ich sollte meine eigene Stärke besser kennen als du es tust!“ Bilbo genoss es ungemein, dabei zuzuschauen, wie Gilda Esmie zurechtstutzte, und lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Teetasse in der Hand, um dem Spektakel zuzusehen. „Noch bin ich nicht auf meinem Totenbett, Mädchen, und selbst wenn ich’s wäre, dann wäre ich lieber in meinen Kellern und würde ehrliche Arbeit tun, anstatt ein perfekt gemachtes Bett zu ruinieren!“ Oh Gilda, du bist fein in Form! Frodo grinste auf seine Pfannkuchen hinunter. „Also, schaff deinen hübschen Hintern zur Tür hinaus und genieß ein hübsches Techtelmechtel unter einem Baum mit meinem nutzlosen Jungen , bevor es diese Jahrezeit zu kalt wird dafür.“ Sogar Sara grinste jetzt, und nun war Rorys warnender Blick auf seine jähzornige Frau gerichtet. Esmie war zu einem lieblichen Rosa errötet, dass sehr hübsch zu ihrem kastanienbraunen Haar passte. „Wirklich, Maddie, du wirst einen Picknickkorb für diese beiden fertig machen und darauf schauen, dass sie zur Tür hinauskommen und den ganzen Tag weg bleiben.“

„Ja, Frau Gilda, genau das mach ich.“ erwiderte Maddie überaus gelassen.

„Frau Gilda,“ warnte Rory, „ich glaube, du gehst ein bisschen weiter als deine Krücke reicht.“ Er wandte sich an Sara und sagte: „Schirr die beiden Roten an den großen Wagen und nimm dich selbst, Esmie und die Kinder. Sammelt Mac, Nassy und Berry auch noch ein, und dann geht und genießt den Tag. Ihr beide habt hart gearbeitet und das Pressen ging schneller, als wir erwartet haben. Maddie, genug Körbe für diese ganze Bande“, Maddie knickste flüchtig und hastete in ihr Reich zurück, „und ich will euch bis Sonnenuntergang nicht in der Halle sehen!“ Rory nahm einen großen Bissen Speck, um zu zeigen, dass die Angelegenheit abgeschlossen war.

„Nun, wir sollten Frodo nicht zurücklassen, wenn wir uns einen Tag frei nehmen“, sagte Esmie und schenkte dem Jungen ihr süßestes, beinahe mütterliches Lächeln. Frodo warf Sara, der jetzt finster dreinschaute, einen raschen Blick zu und machte sich an sein letztes Würstchen. Hartnäckig bist du, Esmie, das muss ich schon zugeben.

Frodo gab ein kleines Jaulen von sich und starrte Gilda ungläubig an, dann langte er nach unten, um sich den Knöchel zu reiben. Sie schüttelte ihre Krücke warnend in seine Richtung. „Komm bloß nicht auf dumme Gedanken, du Lümmel! Du gehst heute nirgendwo hin. Dein Onkel hat sehr höflich um deine Hilfe gebeten, und ich werde dich nicht herumscharwenzeln lassen. Wenn er sich vor der Arbeit drückt, Bilbo, dann schickst du ihn zu mir!“

„Weib, ich werde dir die Krücke wegnehmen und dich alleine herumhumpeln lassen,“ seufzte Rory und hob einen mahnenden Finger in Frodos Richtung. „Tu, was deine Oma dir sagt, Junge, und gehorch deinem Onkel Bilbo. Du hast bei der Ernte viel zu viel Mutwillen getrieben, um jetzt einen freien Tag zu verdienen.“

Bilbo sah, wie Frodos Gesicht ein wenig blass wurde, als er erst Rory einen alarmierten und dann Bilbo einen raschen, fragenden Blick zuwarf. Bilbo schüttelte fast unmerklich den Kopf und Frodo senkte die Augen wieder auf seinen Teller. Nein, Junge, ich habe nichts gesagt. Saras Grinsen war ein wenig hässlich geworden. Rory ließ einen großen Seufzer vom Stapel. „Schlangen auf die Mädchen fallen lassen und Körbe umwerfen. Frodo, was sollen wir bloß mit dir machen?“ Dann blinzelte er Frodo zu und grinste gutmütig. Frodo lächelte schwach zurück. Bilbo stellte fest, dass er wohl besser seinen Griff um die Teetasse lockern sollte, bevor er sie zerbrach.

Rory und Esmie erhoben sich und fingen an, Gilda vom Tisch fort zu helfen, den Gang hinunter und in die Küche, um sie in Maddies fähige Hände zu übergeben. Frodo sprang auf und stapelte geschwind all die schmutzigen Teller in seiner Nähe, wobei er geschickt Saras Versuch verhinderte, sie „aus Versehen“ umzuwerfen, als der ältere Hobbit sich vom Tisch zurückstieß und abwandte, um zu gehen. Frodo und Bilbo kamen gleichzeitig am Buffet an, um ihre Platten abzustellen. Als Bilbo sich umdrehte, war Sara beinahe schon zur Tür hinaus, aber er hatte sich seinerseits umgedreht, um sie beide mit seinem üblichen schmierigen Grinsen anzustarren. Bilbo spürte, wie Frodo ihm die Arme um die Mitte schlang und den Kopf auf seiner Schulter ruhen ließ. Er schaute hinunter und beobachtete, wie der Junge Sara süß anlächelte und dann die Wimpern klimpern ließ. Sara wirbelte herum und stapfte angewidert von dannen. Frodo wandte sein Gesicht hinauf zu Bilbo und wiederholte die Vorführung. Bilbo brach in schallendes Gelächter aus und gab dem frechen Kobold eins auf das Hinterteil.

„Frodo, du bist schrecklich!“ schalt er. Frodo grinste nur und räumte den Tisch fertig ab. Du wirst wirklich mit mir fortgehen. Bilbo musste tief Atem holen, und er hoffte, er würde nicht aus schierer Freude anfangen zu weinen. Aber es war keine Zeit zu verlieren, wenn sie dem Netz entkommen wollten. Der Rest des Morgens wurde damit verbracht, Esmie aus dem Weg zu gehen und Vorbereitungen für ihre eigene Abreise zu treffen.

Eine Stunde nach dem ersten Frühstück schlenderte Bilbo neben Saras Wagen zum Tor hinaus, um zum Abschied für den Tag zu winken. Dann setzte er sich auf die Steinmauer, die den Weg begrenzte und wartete, bis ein Karren vorbeikam, der auf dem Weg zum Treibenden Holzscheit in Froschmoorstetten war. Ein bisschen Klatsch, ein paar Witze und ein Silberpfennig verschafften der Leinentruhe einen Platz auf dem Karren. Bilbo wusste, der Gastwirt würde sie sicher verwahren und nach Beutelsend vorausschicken, und er würde eines Abends ein gutes Geschäft machen, wenn der „Verrückte Beutlin“ eintrat, um außergewöhnliche Geschichten zu erzählen. Bilbo war bei allen Gastwirten im Auenland beliebt.

In Frodos Zimmer war nicht viel zu packen. Die Steppdecke war wieder in der Truhe verstaut worden, bevor sie abfuhr, und Frodo trug das Hemd, das Merle für ihn bestickt hatte. Nichts anderes bedeutete ihm etwas, also pickte Bilbo ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln heraus, die sowohl robust als auch von vernünftiger Qualität waren. Frodo wollte nicht einmal die mitnehmen. Sie griffen sich einen der Rucksäcke, die in einem Vorraum hingen und Bilbo zeigte Frodo, wie man ihn für einen Ausflug packen musste. Sie trugen ihn in Bilbos Zimmer zurück und räumten rasch Bilbos Habseligkeiten zusammen.

Es war jetzt später Vormittag und sie gingen, um die Küchenmädchen für ein zweites Frühstück zu belagern. Bilbo machte sich Sorgen, dass sie in Gilda hineinrennen würden, wenn sie sich in die Küchen wagten. Glücklicherweise war Gilda immer noch mit Maddie in den Kellern. Bilbo bat Frodo, nicht zu trödeln (nicht, dass er sich sehr deswegen sorgte, der Zwanziger inhalierte das Essen, als hätte er seit Tagen nichts mehr zu sich genommen) und hinterließ Anweisungen für zwei reichliche Mittagsmahlzeiten, die vorbereitet werden sollten, um sie später auf ihre Wanderung mitzunehmen. Dann gingen sie in Bilbos Zimmer zurück.

„Frodo“, instruierte ihn Bilbo, „du wirst hier bleiben und mein Zimmer nicht verlassen, bis ich wiederkomme. Lies dein Buch und rauch deine Pfeife. Ich weiß nicht ganz genau, wie lange ich weg bin; nicht lange, hoffe ich.“

„Was machst du denn?“

„Ich gehe und hole mir Rorys Erlaubnis, dich mitzunehmen.“

Frodo schaute besorgt drein. „Was, wenn er sie dir nicht gibt?“

Bilbo zuckte die Achseln. „ Wir gehen in jedem Fall.“

„Warum verschwinden wir denn dann nicht einfach?“ fragte Frodo.

„Ich muss ein paar lose Enden zusammenknüpfen“, war alles, was Bilbo sagte, bevor er den Raum verließ.

Wie er es erwartet hatte, fand Bilbo Rory in seinem Studierzimmer, wo er die Zahlen für die voranschreitende Ernte durchging.

„Rory, hast du etwas Zeit? Ich muss mit dir reden, aber ich will dich nicht unterbrechen.“

Rory warf ihm einen langen Blick zu, dann schüttelte er den Kopf. „Du bist so durchschaubar wie Glas, Bilbo. Ich kann geradewegs durch dich hindurch sehen.“ Wenn du nur wüsstest, Vetter. „Du willst über Frodo reden. In was für Schwierigkeiten ist er jetzt geraten? Das war eine ziemliche Vorstellung, um ihn heute zu Hause zu behalten.“ Sein Ton war angemessen leicht, und er bewegte sich von hinter seinem Schreibtisch zu den Sesseln am Feuer hinüber; unterwegs hielt er an, um ihnen zwei Gläser Branntwein einzugießen.

Bilbo wartete, bis sie sich beide niedergelassen und einen Schluck genommen hatten. „Du kennst mich zu gut, Bruder. Es gibt nichts Neues, Rory, obwohl ich ein paar Dinge aufgedeckt habe.“

„Was hat er denn nun bei der Ernte getan? Er hat Sara direkt vor dem Abendessen in einen ganz schönen Zustand versetzt.“

„Ich schlage vor, du fragst Sara, was ihn so aufgebracht hat, Rory“, war Bilbos kühle Erwiderung. Rory warf ihm einen harten Blick zu, dann zuckte er die Achseln und bedeutete Bilbo, fortzufahren. „Ich hatte letzte nach ein langes Gespräch mit dem Jungen, Vetter. Ich hatte es schließlich und endlich satt, dass jedermann um die Frage herumtänzelt, was Frodo eigentlich tat und was Euch alle so aufgeregt hat. Jedermann argwöhnte etwas, aber niemand wusste etwas. Also fragte ich ihm ganz direkt, was er trieb und warum.“

„Du bist tapferer als ich, Bilbo. Ich bin nicht sicher, ob ich es wirklich wissen wollte.“

„Nun, es wäre vielleicht besser für jedermann gewesen, wenn du das selbe getan hättest, als diese Gerüchte zuerst angefangen haben, Rory“, erwiderte Bilbo ein wenig giftig, „Es hätte allen eine ganze Menge Sorgen erspart und wäre Frodo von Nutzen gewesen, als er es am nötigsten hatte.“ Komm schon, frag. Frag, damit ich dir erzählen kann, was dein Bastard meinem Jungen angetan hat.

Rory ließ sich nicht ködern. „Also, was hat er gesagt? War es wahr?“

„Ich habe ihm versprochen, dass ich dir nicht erzähle, was er gesagt hat, obwohl ich gemeint habe, dass er kommen und selbst mit dir reden soll. Ihr würdet euch beide besser fühlen, wenn ihr ein paar Dinge geklärt habt. Was ich sagen kann, ist, dass ich den Gerüchten auf den Grund gegangen bin, und dem Unfug ebenfalls. Den Gerüchten kann nur die Zeit beikommen, aber der Unfug ist vorbei. Für immer.“ Und wenn ich jemals die Möglichkeit habe, Hand an Sara zu legen, dann wird es zurückgezahlt. In Fleisch. Und er wird mit dem Unfug aufhören. Für immer.

Rory ließ einen Seufzer der Erleichterung heraus und lächelte leicht. „Gut! Also hattest du Recht und er hat sich bloß ein bisschen aufgelehnt?“

Bilbo lächelte knapp. „Tatsächlich kaum etwas davon. Die Gerüchte waren viel schlimmer als die Wahrheit.“ Nachdem sie jeden davon abgehalten haben, die Wahrheit aufzudecken und sich um meinen Jungen zu kümmern, waren sie noch viel schlimmer. Bilbo wollte Rory die Wahrheit so sehr vor die Füße schleudern. Möchte ich dir wehtun? Soll ich dich so leiden lassen wie meinen Jungen? Soll ich dir das Herz herausschneiden und es dir in die Hand drücken? Frodo... denk an Frodo. Er würde nichts sagen, was ihn daran hinderte, seinen Jungen mitzunehmen. Er studierte Rorys Gesicht.

Rory lächelte breit. „Na, dann dankesehr, Vetter, dass du mit ihm gesprochen hast. Dann hört er also jetzt auf, Schwierigkeiten zu machen?“

„Er hat aufgehört“, sagte Bilbo still und starrte in seinen Branntwein, „er hat aufgehört. Er versteht – jetzt – was er getan hat und warum er das nicht sollte. Er brauchte auch keine Kopfnuss.“

Er warf Rory einen strengen Blick zu, „Tatsächlich, Rory, ist es mehr ein Fall von Brutalität als etwas, woran er Geschmack hat oder das zu tun er neugierig wäre. Er steckte bis über den Kopf im Ärger mit ein paar älteren und gemeineren Jungs , die danach bösartige Dinge über ihn erzählt haben. Er weiß jetzt, dass er sich von ihnen fernhalten und um Hilfe bitten soll, wenn man ihn zu Dingen drängt, von denen er weiß, dass er sie besser nicht täte. Was diesen Punkt angeht, glaube ich allerdings, dass es keinen Weg gibt, die anderen von ihren schlechten Gewohnheiten abzubringen. Frodo wird gehen müssen, zu seinem eigenen Besten.“

„Ich bin froh, dass du endlich Vernunft annimmst, Bilbo.“ erwiderte Rory.

„Und ich nehme ihn mit mir nach Beutelsend. Heute.“ Und einmal mehr werde ich den Herzstein eines Reiches stehlen. Rory betrachtete ihn zuerst mit Verwirrung, nicht sicher, dass er verstanden hatte. Als er begriff, dass Bilbo nicht scherzte, nahm er einen großen Schluck aus seinem Glas und starrte ihn an.

„Bilbo, Bruder... ich weiß, dass du ihn liebst, aber denk an den Jungen!“

„Ich denke an ihn.“ antwortete Bilbo vollkommen ruhig. „Ich habe nichts anderes getan seit ich vor zehn Tagen hier angekommen bin. Ich denke nur an ihn. Er weiß, dass er nicht bleiben kann. Ich habe ihm das gestern Abend verständlich gemacht, obwohl es für ihn schrecklich war, es zu akzeptieren. Er weiß auch, dass er nicht zu Pal gehen will.“

„Du hast ihm mit Geschichten Angst gemacht!“ sagte Rory anklagend. „Du hast ihm erzählt, dass er schlecht behandelt wird und dass man lieblos mit ihm umgeht. Du hast ihm von Rum erzählt!“

„Im Gegenteil, Rory. Ich habe Pal nicht angetan, was er and andere mir so leichten Herzens antun. Ich habe Frodo gesagt, dass Pal ein hart arbeitender, verantwortungsvoller, nüchterner Mann ist, streng aber gerecht, der dir nur dann eine Tracht verpasst, wenn du sie verdienst, nicht aber sonst. Ich sagte ihm, Eglantine sei eine süße Frau, die Kinder liebt. Und ich habe überhaupt nichts von Rum gesagt! Glaubst du, ich würde ihm so beängstigende Dinge erzählen, wie er sie über mich gehört hat? Ich habe mehr Respekt für meinen Jungen, als dass ich so etwas täte. Frodo ist ein verdammtes Stück tapferer und klüger als ihr hier in Bockland ihm zutraut.“ Bilbo wusste, dass seine Stimme bitter war, aber es kümmerte ihn nicht. „Ich habe kein Wort gegen Pal gesagt, noch nicht einmal gegen Esmie! Aber ich habe ihm gegeben, was ihm niemand sonst gegeben hat – eine Wahl. Ich habe ihn wissen lassen, dass er wählen kann, wohin er gehen will, und er hat Beutelsend gewählt. Er hat mich gewählt. Es ist besser für ihn.“

„Bilbo! Verdammt noch mal! Du denkst nicht nach! Seine Reputation...“

„...liegt in deinen Händen.“ Bilbo sah Rory’s wütenden Gesichtsausdruck und lächelte. „Du verstehst nicht, Rory. Frodo kommt mit mir, heute. Ich werde ihn nicht einen Tag länger hier bei Sara und Esmie lassen. Ob an der Sache ein Skandal hängt oder nicht, musst du kontrollieren, und du kannst ihn gering halten, indem du erlaubst, dass Frodo mit mir kommt. Du kannst sogar noch mehr helfen, in dem du deinem Säufer von einem Sohn und seinem drachenherzigen Weib rätst, ihre Verleumdungen für sich zu behalten. Sie sind die Quelle der meisten Gerüchte über Frodo, Rory, und sie sind die jenigen, die zu dem Jungen übel und böse über mich geredet haben.“

Bilbo stellte sein Glas ab und stand auf, um hin- und herzugehen; es war ihm nicht möglich, ruhig zu bleiben. „Rory, weißt du, was Frodo mich gestern abend gefragt hat? Er wollte wissen, ob ich ihn von dir und Gilda forthole, damit ich mit ihm schlafen kann. Wieso weiß ein Kind von solchen Dingen, um danach zu fragen? Das ist die Bösartigkeit, die diese zwei ihm in die Ohren geträufelt haben. Wer weiß, ob das, was sie gesagt haben, ihn zu seinem eigenen Unfug nicht erst ermutigt hat, oder ob es ihn nicht unwillig gemacht hat, mit dir zu reden, aus Angst, du hältst ihn für genau so eine unnatürliche Kreatur wie seinen Onkel Bilbo!“ Er biss die Zähne zusammen, um nicht noch mehr zu sagen und alles auszuspucken. Warum sollte Frodo diese Geschichten auch nicht glauben? Wieso sollte er nicht glauben, dass ich ihn benutze wie Sara es tut? Bilbo wünschte sich, er könnte den Griff von Stich in seiner Hand spüren.

„Er wird nur noch mehr solcher Sachen hören, wenn er mit dir geht, Bilbo, und in Beutelsend mit dir alleine ist. Esmie und Sara mögen böse reden, aber sie sind nicht die einzigen, die solche Sachen sagen. Du weißt, was ich von dir halte, Bilbo, Bruder! Du weißt, dass ich so etwas Übles von dir nicht denke! Ich würde dir vertrauen, wenn du unbewacht neben meiner Frau schläfst oder für meine Enkel sorgst. Aber andere tun es nicht! Es mag mir möglich sein, Esmie und Sara zum Schweigen zu bringen, aber ich kann nicht jede Tratschbase in Bockland knebeln, geschweige denn im Auenland.“

Bilbo sah Rory unverwandt an und hielt seinen Blick fest. „Du erlaubst anderen sogar jetzt in deinem eigenen Smial, solch bösartige Dinge zu sagen, Rory. Du hast anderen Jungen gestattet, meinen Jungen übel zu benutzen und dann seinen Namen dafür zu beschmutzen, dass sie ihn gezwungen haben. Es hat dich nicht einmal genügend gekümmert, um dir Frodo vorzuknöpfen und die Wahrheit aus ihm herauszuholen! Mit mir hat er gestern Abend leicht genug gesprochen! Du sitzt da und schaust zu, wie Esmie versucht, ihn zu verführen. Ist es nicht das, was sie tut? Du lässt zu, dass die ihn benutzen!“

Rory rutschte unbehaglich herum, aber er schaute nicht weg. Er nahm einen Schluck Branntwein, dann zuckte er die Achseln. Was weißt du, Rory? Wie viel hast du vermutet? Genug, dass du wusstest, dass du es nicht wissen wolltest, darauf wette ich. „Was du erlaubt hast und immer noch erlaubst, dass es Frodo geschieht, ist falsch, ,Bruder’. Ich bin geduldig genug gewesen. Ich habe versucht, vorsichtig und diskret zu sein. Ich habe jedem den Vorteil des Zweifels gelassen, auch als ich den nicht bekam. Nach dem, was ich gestern Abend gehört habe, kann ich nicht länger schweigen.“

Bilbo holte tief Atem und log, was das Zeug hielt. „Du wirst mir geben, was mein ist, Rory. Ich beanspruche meinen Jungen. Es hängt von dir ab, wie skandalös dieser Anspruch ausfallen wird.“

Rory sah aus, als hätte man ihm eine Streitaxt über den Kopf gezogen. „Deinen?“ würgte er hervor.

„Meinen. Muss ich es für dich buchstabieren?“

Rory starrte; das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Er schnappte nach Luft, schüttelte den Kopf und goss den Rest seines Branntweins mit einem einzigen Schluck hinunter. Bilbo nahm das leere Glas und füllte es nach. Er kehrte zu seinem Sessel zurück, goss sich selbst etwas ein und wartete darauf, dass Rory die Arbeit für ihn übernahm.

Rory hatte noch mehr tiefe Schlucke von seinem Branntwein genommen. „Deiner. Dein Junge. Ich hab mich das immer gefragt.“ Er schaute zu Bilbo auf, ein wenig zornig, sehr verwirrt.

Wie soll ich jetzt handeln? Keine direkten Behauptungen, lass ihn die Worte liefern. „Ich weiß, dass du dich gefragt hast, aber du hast nichts gesagt, wofür ich dir danke.“ Zum Teil wahr. „Wir alle lieben den Sohn vom Prim.“ Nun, ein paar von uns jedenfalls. „Rory, du und Gilda, Drogo und Primula, ihr seid es immer für mich gewesen. Ihr habt euch um micht gekümmert, mich in Euer Heim gelassen, Eure Zuneigung einem alten, seltsamen Hobbit geschenkt.“ Sehr wahr, deshalb liebe ich euch so sehr. „Ich würde alles für dich tun, Rory, für sie. Worum auch immer sie mich bitten.“ Bilbo schauderte ein wenig, als Frodos Worte von gestern Abend in ihm widerhallte, er wusste, wie tief sie gemeint gewesen waren, wie ernst Frodo sie gemeint hatte, er wusste, welch schreckliche Macht die Liebe über ihre Herzen besaß. „Alles was zählt, ist, dass Prim Drogo einen wunderschönen Jungen geschenkt hat, oder nicht?“

„Aber wenn Frodo dein...“

„Halt!“ befahl Bilbo. „Sag es nicht! Mach das nicht so, Rory, bitte. Frodo ist der Sohn von Drodo und Primula Beutlin.“ Rory nickte, und wieder leerte er sein Glas. Bilbo füllte es nach und drückte es Rory in die rechte Hand. Er hielt die andere fest und nahm sie zwischen seine beiden Hände. „Ich habe ihnen einen Eid geschworen“, allzu wahr, „immer nach dem Jungen zu sehen, wenn ihnen etwas zustoßen sollte. Und ich habe immer versucht, an den Jungen zu denken, nicht an mich selbst. An Prim zu denken.“

Er beobachtete, wie es ein wenig im Gesicht des anderen Hobbits arbeitete, als der mit dem konfrontiert war, was er für die bewiesene Wahrheit hielt. Beutlin, du verlogener Bastard! - Aber ich habe es versprochen! Ich sagte, ich würde immer nach Frodo sehen, und das ist es, was ich tue. Die Spinne, die Drachenkönigin, sie hat mir die Ritzen in ihrer Rüstung gezeigt und sie hat mir erzählt, wo die Speere und Pfeile liegen, die sie durchbohren. Vielleicht kann ich dich nicht töten, Königin der Unglücke, aber ich werde dich verwunden und davon abhalten, meinen Jungen an dich zu reißen. Ich werde nicht zulassen, dass du ihm wehtust. Wenn du Gerüchte zu deinem eigenen Vorteil verdrehen kannst, dann werde ich es auch tun. Ich werde weder dich noch Sara jemals wieder Hand an ihn legen lassen.

Rory schien sich ein wenig beruhigt zu haben. Er goss den Branntwein nicht mehr in sich hinein. Natürlich mochte das daran liegen, dass der seine Wirkung tat. Bilbo hielt die Hand seines Vetters und wartete, das Rory ihm noch mehr Lügen gab, mit denen er arbeiten konnte.

„Du solltest wissen, Bilbo, dass andere spekuliert haben.“ sagte Rory langsam und leise, so als hätte er Angst, belauscht zu werden. Oh, das hoffe ich! Ich hoffe, dass auch noch jede letzte Tratschbase im ganzen elenden Bockland darüber spekuliert hat! „Es war nur so eigenartig, dass sie so lange keine Babys hatten, und dann ganz plötzlich dieses eine. Manche... manche, die eifersüchtig und gehässig waren, die sagten, Prim sei untreu gewesen, weißt du? Haben die gesagt, von meiner Schwester!“ Rory spürte ganz entschieden den Branntwein. Bilbo machte ein begütigendes Geräusch. Sie haben diese Dinge wirklich gesagt. Sie haben dies von unserer Prim gesagt. Gibt es irgendetwas, das Tratschmäuler nicht sagen würden? Plötzlich begriff Bilbo, dass Frodo vermutlich sein ganzes Leben hindurch solche Dinge über seine Eltern gehört hatte, vor allem nach ihrem Tod, und sein Ärger flackerte erneut auf. „Die wussten nicht, die konnten nicht wissen, wie sehr sie sie geliebt haben“, fuhr Rory fort, in seinen Erinnerungen verloren, „dass Prim das nie getan hätte.“

Bilbo wusste, dass er rasch handeln musste, wenn er aus Rory herausholen wollte, was er brauchte, bevor der zu weit in Erinnerungen und in Branntwein versank, um zu denken. „Also, Rory, als ich gestern Abend mein Gespräch mit Frodo hatte, da wurde mir klar, dass ich an meinem Schwur ihnen gegenüber versagte, an Prim!“ Damit hatte er Rorys Aufmerksamkeit. „Ich hasse es, das zu sagen, Rory, aber Sara ist ein bösartiger Bastard, der am meisten dafür verantwortlich ist, dass üble Dinge über Frodo geredet werden.“ Bilbo musste innehalten, sich sammeln und sich verbieten, auszusprechen, was ihm auf dem Herzen brannte. „Und Esmie kann sich nicht entscheiden, wen sie mehr will, denn sie hat mehr von einem Zwergenherzen, als du weißt. Und den Geist eines Tuk noch dazu, was eine sehr gefährliche Kombination ist!“ Darüber gluckste Rory ein wenig.

„Du weißt, wem ich meinen Schatz hinterlassen werde, nicht wahr, Rory?“ sagte Bilbo behutsam.

„Frodo natürlich. Ich hab immer gewusst, dass du das würdest. Wem sonst könntest du ihn geben? So lange ich davon wusste, war mir klar, dass du das würdest.“

Bilbo fragte sich, ob Esmies Wissen tatsächlich von Rory und jenem trunkenen Geständnis stammte. „Nun, Esmie auch. Sie mag ihre eigene Bequemlichkeit sehr, wie du mich gewarnt hast. Und sie betrachtet Frodo als einen Weg dorthin. Es waren deine Worte, als wir die Hecke abgeritten haben, die mich begreifen ließen, was sie wirklich im Sinn hat. Ich überlasse es dir, dir die Einzelheiten auszumalen.“

Rory zog eine Grimasse und nickte verstehend. „Bruder du hast gestern Abend mit Frodo gesprochen, und jetzt will er mit dir gehen.“ Rory hielt inne. „Hast du es ihm gesagt? Weiß er von...?“ Rory schaute mit ängstlichen Augen auf. Eine weitere Waffe in meinem Kampf. Bilbo lächelte.

„Für den Jungen wäre es jetzt eine schreckliche Sache, davon zu hören, oder nicht? Nein, ich habe nichts davon gesagt, Rory. Ich will nicht, dass es der Junge jemals weiß! Man hat ihn schon zu viele üble Dinge über seine Eltern hören lassen, und ich will diesen Geschichten nichts hinzufügen. Aber ich bin auch entschlossen, zu verhindern, dass er von den Lügen beschmutzt wird, die Sara verbreitet hat. Ich werde nicht zulassen, dass man ihn unnatürlich oder verdorben nennt. Wie ich vorhin sagte, Rory, es liegt jetzt alles in deinen Händen... seinen Ruf zu wahren, und Prims Ehre.“

„Was kann ich tun, Bruder? Du weißt, ich werde es tun!“ Rory umklammerte seinen Arm und Bilbo spürte gleichzeitig Triumph und Abscheu gegen sich selbst.

„Lass mich Frodo als meinen Erben annehmen. Lass ihn Drogos Sohn bleiben, aber lass mich ihn adoptieren. Es gibt keinen Weg, die wahrhaft üblen Tratschbasen davon abzuhalten, sich das Maul zu zerreißen, aber die anständigen Leute werden zufrieden sein. Ich werde sicherstellen, dass es keinen Grund mehr für mehr Gerüchte über andere Jungs gibt. Und die schlauen Köpfe, die immer etwas vermutet haben... na, die können sich angesichts der Neuigkeiten befriedigt fühlen und wissende Blicke wechseln.“

Rory stellte sein Branntweinglas ab und starrte Bilbo durchbohrend an. „Nun, das geht ganz schön weit, Bilbo.“ Aha, kein „Bruder“ mehr, hm? „Ich bin nicht sicher, ob ich ihn auf diese Weise aufgeben möchte. Er ist alles, was mir von Prim geblieben ist! Immerhin will Pal ihn nicht adoptieren.“

„Pal hat keinen Drang, ihn zu adoptieren, denn er wird bald genug einen eigenen Sohn haben. Und Frodo ist auch alles, was mir von Prim geblieben ist. Er ist mein, Rory, und ich nehme ihn mit. Ich muss. Ich wäre die abscheulichste, verachtenswerteste Kreatur, wenn ich jetzt nicht meine Pflicht an ihm täte, da er mich am meisten braucht.“ Bilbo stritt einen Moment mit sich selbst, bevor er die nächsten Worte aussprach.

„Ich werde seinen Namen nicht beflecken lassen, nicht mit den Lügen, die Sara erzählt. Du weißt, was man sagen wird, wenn er einfach mit nach Beutelsend kommt und mit mir zusammen ist. Das war die ganze Zeit das Problem, und ich werde es nicht erlauben. Das ist es, was meine Hand zurückgehalten hat, was mich den Mund halten ließ, aber nicht mehr länger. Wenn ich muss, wenn du mich ihn nicht adoptieren lässt, dann werde ich ihn als mein eigen beanspruchen, nicht bloß hier vor dir, sondern vor allen anderen. Die Leute können zählen. Sie wissen, dass ich zur richtigen Zeit mit Prim und Drogo hier war, von der Ernte bis zum Julfest 1367. Glaubst du, irgendjemand, der Frodo und mich zusammen sieht, würde mein Wort bezweifeln?“

„Das würdest du Prim antun?“ knurrte Rory und erhob sich halb aus seinem Sessel. Bilbo drückte ihn sanft wieder hinunter.

„Ich würde es für Frodo tun. Was kümmert es Drogo und Prim? Sie sind tot. Frag dich das selbst, Rory – was würde Prim als Bezeichnung für ihren Sohn vorziehen: mein Sohn oder mein Lustknabe?“

Rory fing an zu weinen, und Bilbo hasste sich selbst. Er zog den alten Freund in seine Arme und summte und sang leise, bis Rory sich wieder zusammengenommen hatte. Er nahm Rorys Gesicht in beide Hände, wie Rory es mit ihm getan hatte, und küsste ihn zärtlich.

„Du weißt, dass ich das Richtige für Frodo tue, denn er ist mein. Ich bitte dich, ebenfalls das Richtige für ihn zu tun... das, was Prim wollen würde.“

„Ich werde es tun. Ich lasse die Papiere aufsetzen, aber du wirst warten müssen; es wird ein paar Tage dauern.“

„Ich warte nicht. So wie die Dinge liegen, habe ich schon zu lange gewartet. Schick sie mit dem Botendienst. Wir gehen jetzt, bevor Esmie und Sara zurückkommen. Ich halte es nicht für weise, Lebwohl zu sagen.“

Rory schüttelte den Kopf. „Nein, ist es auch nicht. Merry und Merle wären sehr unglücklich. Und ich möchte nicht, dass Frodo mich so sieht.“

„Nein, Rory, das willst du nicht.“ sagte Bilbo beruhigend. „Und wir werden zum Julfest wiederkommen, und zu Geburtstagen, und tatsächlich ziemlich oft. Ich will ihn dir nicht wegnehmen, Rory. Er ist nur so, dass ich jetzt an der Reihe bin, für ihn zu sorgen. Das siehst du doch ein, oder?“

Rory nickte, dann stand er auf und packte Bilbo in einer mächtigen Umarmung. „Sorg für unseren Jungen, Beutlin, oder du wirst dich vor mir zu verantworten haben!“

Sie küssten sich noch einmal und Bilbo ging, eine Spur der Schuld hinter sich lassend.

Die Schuld verschwand, sobald er Frodo vor dem kalten Kamin sitzen sah; er rauchte und las sein Buch.

„Bist du fertig?“ fragte Bilbo und rieb sich kurz die Hände.

„Onkel Rory hat Ja gesagt?“

Bilbo wurde eine Minute lang nüchtern. „Er ist sehr traurig, Frodo, aber er versteht, das es das ist, was du tun möchtest, und er hat seine Erlaubnis erteilt. Er will, dass wir zum Julfest wiederkommen, damit er sehen kann, wie es dir geht, und er hat versprochen, dass er mir die Ohren lang zieht, wenn ich es dir an etwas fehlen lasse!“

Schnell schulterten sie ihre Rucksäcke und gingen in die Küchen, um ihr Mittagessen mitzunehmen. Es wurde sicher verstaut, und die beiden Reisenden waren beinahe zum äußeren Tor hinaus, als Gilda, von Maddie gestützt, in den Durchgang trat. Frodo kam abrupt zum Stehen, und Bilbo sprach einen stillen Fluch. Er hatte gehofft, dieses spezielle Treffen zu vermeiden.

„Ah, ihr Bettler“, scherzte Gilda, „auf dem Weg?“

Frodo nickte dumpf, und Bilbo musste seinen Arm nehmen, um den Jungen dazu zu bringen, dass er vorwärts lief.

„Geht ihr jetzt auf eure Wanderung?“ wiederholte Gilda.

„Nein, Gilda.“ erwiderte Bilbo. „Wir gehen fort.“ Gilda maß ihn mit einem starrenden Blick.

„Du nimmst ihn mit.“

„Ja. Rory hat mir gerade die Erlaubnis gegeben.“

„Wieso hast du so verdammt lange gebraucht?“

„Es musste Frodos Entscheidung sein, Gilda.“ sagte Bilbo still.

Gilda nickte leicht, dann legte sie den Kopf schief. „Weißt du, Bilbo, du bist nie gekommen, um mit mir zu reden.“

„Ich weiß, es tut mir leid. Die Dinge wurden... kompliziert.“ Bilbo zog eine Grimasse.

„Sie wären vielleicht weniger kompliziert gewesen, wenn du mich in deine Pläne mit einbezogen hättest, du dummer Mann.“ schalt sie sanft. „Ich mag nicht sehr schnell sein, aber mein Verstand ist schnell genug. Das nächste Mal, wenn du zurück bist, dann kommst du und sprichst mit mir, und zwar zuerst.“ Gilda stieß ihm mit der Spitze ihrer Krücke sanft gegen den Knöchel. Dann wandte die alte Frau ihre Aufmerksamkeit Frodo zu, der sie mit einem angsterfüllten Ausdruck ansah. Sie streckte einen Arm aus und er eilte in ihre Umarmung hinein. Nach einer Minute trat Frodo zurück, Tränen auf seinem Gesicht. Gilda wischte sie sachte weg und kniff ihn in die Wange.

„So, mein kleiner Lausebengel, du bist also auf dem Weg, die guten, ahnungslosen Leute von Hobbingen zu terrorisieren. Wenn du in allzu viele Schwierigkeiten gerätst, dann humple ich dort hinüber und hau dich mit meiner Krücke!“ Frodo kicherte ein bisschen. „Du bist mein guter Junge und kümmerst dich um deinen Onkel Bilbo. Er braucht jemanden mit etwas Hobbitverstand, der nach ihm Ausschau hält. Oder er bringt es fertig und wandert in ein nächstes Abenteuer davon.“

„Das werde ich, Oma. Und ich werde zurückkommen, um dich zu sehen, ich versprech’s!“ rief Frodo aus.

„Leb wohl, Gilda“, Bilbo beugte sich vor, umarmte und küsste sie. Sie hielt seine Hand fest und betrachtete ihn eindringlich.

„Ich habe Rory, du hast Frodo. Ich denke, das ist gerecht.“

„Mehr als gerecht, mein wunderschönes Mädchen.“ Bilbo küsste ihre Hand und ließ sie los. Er bemerkte, dass Frodo ihm einen eigenartigen Blick zuwarf und dann Gilda auf die selbe Weise ansah. Wunder dich, soviel du willst, mein Junge, von mir wirst du nichts hören.

Sie verließen das Brandyschloss und machten sich auf den Weg zur Bocklandfähre.


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