Das Vermächtnis (The Legacy)
von Anglachel, übersetzt von Cúthalion

8. Kapitel
Ernte

Morgens am Hochtag, dem 16. Tag des Halimath

„Hoch mit dir!“

Merry gab ein entzücktes Quietschen von sich, als Bilbo ihn zu Frodo hinten auf dem Wagen hinauf reichte. Berry war der Nächste, und dann die anderen Kinder des Schlosses. Beim sechsten Kind wünschte sich Bilbo, dass sie es nicht alle nötig hätten, ein durchbohrendes, entzücktes Kreischen geradewegs in sein Ohr loszulassen, wenn er sie hoch schwang. Ich mag nicht alt werden, aber ich werde ganz sicher taub. Merle und Nassy standen höflich auf der einen Seite und bewachten die Picknickkörbe, die in einem anderen Wagen mitfahren würden.

Als der letzte der Jüngsten auf die Ladefläche befördert worden war, kam Merle heran, um hochgehoben zu werden. Bilbo gab ihr einen Kuss, bevor er sie an Frodo weiter reichte. Sie schlang die Arme um Frodos Hals und weigerte sich, abgesetzt zu werden, also ließ sich Frodo einfach im Wagen nieder; er schaute sich vorher sorgsam um, damit er nicht oben auf dem wilden Haufen landete. Sobald er richtig saß, scharte sich die Kinderschwarm um ihn herum wie Bienen um eine Wabe. Und Merle ist die Bienenkönigin. dachte Bilbo müßig, dann schob er den Gedanken grob beiseite. Er wollte das Kind nicht im Spiegelbild seiner Mutter betrachten.

Er und Nassy hoben das Abschlussbrett über die Hinterseite des Wagens und machten es fest. Sie gingen nach vorne und Bilbo stützte Nassy, als sie zu der Holzbank neben Mac hinaufkletterte. Bilbo zog sich mühelos hoch und setzte sich neben sie.

„Also, Frau, schieb deinen großen Hintern mal schnell hier rüber und lass Onkel Bilbo Platz zum Sitzen.“ grummelte Mac in fröhlichen Tonfall, grinste gutmütig angesichts des durchbohrenden Blickes seiner Frau und machte sich weiter nichts aus dem ziemlich scharfen Klaps, den sie ihm auf die Schulter gab. Jedoch tat sie wie ihr geheißen, und er legte den Arm und sie und langte hinunter, um ihren Rumpf kurz und liebevoll zu drücken, bevor seine Hand auf ihrer Taille zur Ruhe kam. Sie ließ einen Arm über seinen Rücken gleiten und schlang den anderen um seinen runden Bauch, den Kopf auf seiner Schulter.

„Auf geht’s!“ murmelte Mac den Ponies zu, und sie legten sich in ihr Geschirr. Er hielt die Zügel lose in der Hand. Mac ging mit den Tieren um wie Rory. Bilbo hatte nie gesehen, wie er eines scharf zurechtwies, und sie schienen allesamt eifrig darauf bedacht, ihm zu gefallen. Mac hatte nie eine Peitsche oder eine Gerte dabei. Am Tor bewegte Mac die Hand und ließ es zu, dass die Zügel am Hals der Ponys entlang strichen. Sie wandten sich gehorsam auf der Straße ostwärts. Es waren im Auenland gezüchtete Ponys, kurz und kräftig. Ihre Bäuche waren der breiteste Teil an ihnen, obwohl ihre dicken, runden Brustkörbe nicht weit dahinter zurückstanden. Rory setzte seinen Stolz daran, zusammen passende Paare für seine Wagen zu haben. Die beiden Tiere waren von einem hellen, glänzenden Kupferton, beinahe einem Orange, und sie hatten flachsfarbene Mähnen und Schwänze. Ihre Gesichter trugen große, weiße Blessen und ihre dicken Hufe und der untere Teil der Beine waren von langem Haar bedeckt wie mit dicken Stiefeln. Sie schnaubten und schritten rasch aus.

Sie waren auf dem Weg zu den Herbstriten im Alten Obstgarten. Bilbo erinnerte sich daran, wie er in Merles Alter gewesen war, wie er von seinem Onkel Gorbadoc auf die Rückseite eines Wagens verfrachtet wurde, gemeinsam mit seiner Mutter und Tante Mira und allen Kindern vom Brandyschloss, und wie es zum Alten Obstgarten ging, um die Äpfel für die Presse einzusammeln. Sein Vater und sein Onkel saßen, wo jetzt er und Mac saßen, sie erzählten alberne Geschichten und sangen wilde Lieder, damit ihnen die Fahrt kürzer vorkam. Das war es, was in der Mitte des Halimath in Bockland geschah, und es war geschehen, so lange sich irgendjemand erinnern konnte.

Ein Wagen fuhr ihnen voraus, von Sara gelenkt, voll mit leeren Kiepen und den Essenskörben. Ein paar Vettern und Bauern saßen bei ihm oder mir baumelnden Beinen hinten auf dem Wagen. Ein paar hatten schon damit angefangen, etwas Lebhaftes zu singen. Knarrende Geräusche hinter ihm zeigten Bilbo, dass der Wasserwagen, ebenfalls mit einer ordentlichen Menge Essen beladen, auf der Straße war. Die meisten Frauen und älteren Mädchen würden in Kürze in leichteren Kutschen und anderen Wagen nachkommen, denn sie mussten erst das Schloss in Ordnung bringen und das Abendessen zum Garen auf die Kohlen setzen. „Wie wär’s mit einem Lied, Onkel Bilbo“, fragte Mac, „um den Morgen aufzuhellen und die Fahrt zu verkürzen?“ Die Kinder schrien begeistert Zustimmung zu dieser Idee.

Bilbo hatte keine rechte Lust zu singen, aber er wusste, dass es besser war, als in brütendem Schweigen dazusitzen oder den Kindern zu erlauben, gelangweilt und aufsässig zu werden. „Sehr schön – was sollen wir denn singen?“ Die Kinder riefen ihm schnell eine ganze Reihe Lieder zu, mehr als genug, dass es für den gesamten Weg reichte, vor allem, wenn sie fünf oder sechs Mal hintereinander gesungen wurden, wie die Kinder es gern taten. Zu Bilbos Dankbarkeit übernahm Frodo die Aufgabe, die Kleinen beim Singen anzuführen. Sein Junge hatte eine klare und angenehme Stimme, die in der feuchten Morgenluft trug. Recht bald sangen die Leute auf dem Wasserwagen die selbe Melodie. Mac und Nassy hatten die eheliche Kunst perfektioniert, gleichzeitig zu singen, während sie sich miteinander unterhielten. Sie tauschten zuweilen Versteile aus, während der andere sprach, und oft konnten sie eine gesungene Zeile zur Antwort auf eine gestellte Frage machen.

Bilbo drehte sich auf de Bank um, damit er ein Auge auf die Kinder haben konnte. Merle weigerte sich, ihren kostbaren Platz auf Frodos Schoß zu räumen, obwohl Merry und Tilly Bolger ihr Bestes taten, um sie zu vertreiben. Die Kinder sahen bereits ziemlich zerrauft aus; Hemden und Röcke zerknittert, Ärmel als Taschentücher benutzt, die Hüte vertauscht, fallen gelassen und auf dem Wagenboden platt getrampelt. Bilbo sah die Morgensonne im Haar der Kinder wiederscheinen, und er versuchte, nicht zu denken. Die meisten hatten Haar vom dunklen, reichen Braun der Starren, wie frisch aufgeworfener Ackerboden. Manches Haar zeigte ein blasseres Braun, mit dem Honigton eines in der Sonne verbrachten Sommers. Merle und Merry hatten das Haar von dem hellsten Braun, und es leuchtete kupfern anstatt golden. Frodo hatte Beutlin-Haar, ein tiefes Braun wie von einem alten Ledersofa, ohne einen Hauch von Gold oder Rot. Es hatte keinen Zweck. Immer wenn er Frodo sah, konnte er nicht anders als zu grübeln.

Ich kann ihn nicht einfach nehmen und gehen. Letzte Nacht, nach der Elbischstunde und nachdem Frodo weg war, hatte Bilbo das Feuer im Kamin neu angefacht und sich Zeit genommen, darüber nachzudenken, was beim Tee durchgesickert war. Das Netz durchzuschneiden, das Esmie gewoben hatte, war sein einziger Gedanke, und die Aussichten sahen nicht so gut aus. Bilbos erster Impuls war gewesen, einfach seinen Rucksack zu packen, noch einen für Frodo zusammenzustellen und noch in der selben Nacht mit seinem Jungen das Auenland zu verlassen. Die Fähre nehmen, die Straße nach Norden zu gehen und sich dann östlich zu wenden, wie er es schon einmal getan hatte. Sie wären bei Tagesanbruch weg aus dem Auenland gewesen und am nächsten Tag bei Anbruch der Nacht in Bree. Frodo ist groß für sein Alter, aber er ist immer noch ein Kind. Er ist noch nicht bereit für die Anforderungen von einem solchen Marsch. Es wäre gefährlich, es zu versuchen.

Mehr noch, Bilbo bezweifelte, ob Frodo, wenn man ihn vor die Wahl stellte, willig von Heim und Herd in die Wildnis fortmarschieren würde, an der Seite eines verrückten Onkels mit unappetitlichem Ruf. Es war eine Sache, über ein weit entferntes, eingebildetes Abenteuer zu reden und eine ganz andere, mitten in eins hineinzulaufen. Erinnere dich daran, was du ihm gesagt hast, Beutlin... dass man nicht vor dem davonlaufen soll, was man fürchtet. Aber es war Furcht vor etwas anderem, die ihn antrieb. Er wollte nicht, das Frodo auch nur noch einen Augenblick in dem Netz blieb, das Esmie gewoben hatte. Bilbo hatte Angst um seinen Jungen. Zwischen den Fäusten von Sara und Pal und der Umarmung von Esmie gab es wenig, was Frodo tun konnte, um sich gegen das zu verteidigen, was ihn bedrohte.

Zum größten Teil war Bilbo schrecklich, schrecklich wütend darüber, wie leicht er in eine Ecke gedrängt worden war, ohne wirklich zu bemerken, dass es geschah. Er saß durch ein eigenes Herz in der Falle, seine Liebe war zu Fessen verdreht, die ihn davon abhielten, für seinen Jungen zu kämpfen. Mit Spinnen, Drachen und habsüchtigen Elbenkönigen umzugehen, schien ziemlich leicht zu sein im Gegensatz dazu, Krieg gegen eine hinterhältige Tuk zu führen. Die Offenbarung über Rory war die einzige unerwartete Wendung gewesen, nachdem er Esmies Pläne einmal durchschaut hatte. Er erinnerte sich an die Schadenfreude in ihrem Gesicht, als sie die schicksalhaften Worte gesagt hatte: „Es gibt nichts, was du tun kannst, um mich zu verletzen. Alles, was du versuchst, fällt ganz einfach auf den Jungen zurück.“ Das war es, was ihn band.

Während sie an Bauernhöfen auf dem Weg vorbeikamen, stand oft eine Gevatterin draußen auf der Straße, ein Kind oder zwei an der Hand. Die Neuen gesellten sich rasch zu den anderen hinten auf dem Wagen. Regelmäßig folgten neue Wagen der Prozession in Richtung Hecke, beladen mit Scheffelkörben, Wasserschläuchen, Essen für die Pflücker und fröhliche Hobbits jeglichen Alters. Bilbo wusste, dass selbst Gilda irgendwann in den Alten Obstgarten gebracht werden würde. Die Herrin musste die ersten Äpfel der Ernte pflücken, die in die Saftpresse gingen, oder der Saft würde ganz und gar sauer werden.

Der Alte Obstgarten lag nahe dem Tor im Hohen Hag, und dicht am Alten Wald. Es wurde erzählt, dass er einmal eigentlich ein Teil des Alten Waldes gewesen sei, und dass die Hecke unter anderem deshalb gebaut worden war, um die Apfelbäume davon abzuhalten, zurück in den Wald zu wandern. Nach ein paar Versuchen, sich den Weg zurück durch den Hagedorn zu bahnen und sich den wilden Bäumen wieder anzuschließen, hatten die Apfelbäume sich scheinbar niedergelassen; es gefiel ihnen ziemlich, dass man sich um sie kümmerte und sie besuchte. Das Einzige allerdings, was im Alten Obstgarten nie getan wurde, war Baumschnitt. Eine Axt oder Säge mit in den Garten zu bringen war ein sicherer Weg, mit Striemen von den Zweigen oder noch schlimmeren Verletzungen zu enden. Es war auch nicht weise, im Obstgarten zu jagen. Die von Jägern aufgestellten Fallen waren meist aufgesprungen und oft auseinander gerissen. Hobbiteltern brachten ihren Kleinen immer bei, der Herrin Obstgarten zu danken, wenn sie einen Apfel pflückten.

Die Wagen ratterten den letzten Hang hinauf und erreichten den Alten Obstgarten. Er schien sich niemals zu verändern. Der Obstgarten selbst bestand nur aus dem Apfelbäumen. Über die Jahre waren ein kurzes Stück nach Süden und Westen kleine Schuppen gebaut worden, und wenige hundert Meter in Richtung nach Norden waren ein paar kleine Wäldchen gewachsen. Dicht davor standen ein paar, selten genutzte Schuppen. Die Wagen hielten zuerst vor den südlichen Schuppen und entluden Essen und Wasser, dann fuhren sie in den Schatten der Bäume, um dort alle paar Meter die Scheffelkörbe abzusetzen. Mac musste zwischen den Wagen von Zugpaar zu Zugpaar gehen und die Ponys beruhigen. Den Tieren gefiel es nicht, unter die Zweige zu gehen, aber nach ein paar beruhigenden Worten und ein wenig Tätscheln von ihm senkten sie die Köpfe und bewegten sich hinein in die gefleckten Schatten. Sein eigenes Paar stand ruhig dort, wo er es zurückgelassen hatte und vertrieb die Fliegen mit seinen Schweifen.

Nassy und Bilbo hoben die Kinder herunter, während Frodo die Wagemutigeren davon abhielt, sich einfach von der Ladefläche des Wagens herunterzustürzen. Nachdem sie den Wagen geleert hatten, sprang Frodo leicht herunter und half den anderen beiden, den Kleinen hinterherzukommen, während die Kinder im Kreis rannten, kreischten und schrieen. Die Männer stellten auf der Südseite Tische auf. Die wenigen Frauen, die schon angekommen waren, brachten andere Kinder herüber und passten auf, bis die heftigste Energie verbraucht war. Bald tauchten die Wagen mit den Scheffelkörben wieder von unter den Bäumen auf, und Bilbo konnte schwach das Geräusch anderer Wagen hören, die sich von Westen her näherten. Die Arbeit verlagerte sich zu den westlichen Schuppen. Die Seitenteile großer Behälter wurden aus dem Lager gezogen und mit großen hölzernen Klammern wieder zusammengefügt. Die Tore eines Schuppens wurden zurückgeklappt und die Saftpressen kamen zum Vorschein.

Die späteren Wagen kamen allmählich an, und es waren mehr Frauen dabei. Zelte wuchsen auf der Westseite aus dem Boden, und verschiedene Koch-, Schneide-und Arbeitsstellen breiteten sich unterhalb von ihnen aus. Kochfeuer wurden in einiger Entfernung den Abhang hinunter angezündet, weit weg vom Alten Obstgarten. Die Kinder wanderten herum, gerieten den Leuten zwischen die Beine, bettelten um Leckereien, spielten Fangen und hatten eine Menge Spaß. Da die Ponys nicht länger gebraucht wurden, achtete Mac darauf, dass sie abgeschirrt und hinausgebracht wurden, um nördlich vom Obstgarten zu grasen. Wenn Mac ihnen sagte, dass sie in der Nähe bleiben sollten, dann taten sie das auch. Sein eigenes Paar ließ er angeschirrt, aber er striegelte sie und sang ihnen ein kleines Lied über ein gutes Kutschpferd. Sie ließen die Ohren spielen und schnaubten an den passenden Stellen.

Sie waren erst etwa eine Stunde dort, als eine fröhlich geschmückte Pony-Kutsche heranrollte. Die Leute hörten auf mit dem, was sie taten und folgten der Kutsche zu den Bäume. Sie wurde von Rory gefahren, und Gilda saß an seiner Seite. Esmie saß neben ihr und sorgte dafür, dass sie nicht gestoßen oder umgeworfen wurde. Bilbo rief nach Merle und Merry und Nassy nahm Berrys Hand. Es war Zeit für die Ernteriten.

Mac und Sara warteten im Obstgarten. Mac hielt den Kopf des Ponys, während Sara Esmie aus der Kutsche half, dann langte er hinein und hob seine Mutter heraus. Rory sprang hinunter und sprach kurz mit Mac. Das Poy wurde einem Stallburschen übergeben und mitgenommen, um abgeschirrt zu werden. Nassy und Bilbo gingen mit den kleinen Kindern zu der Gruppe hinüber , gefolgt von Frodo. Die Leute waren still, als Rory und Sara Gilda stützten und ihr halfen, zum Rand der Apfelbäume hinüberzugehen. Sie richtete sich auf und stand gerade, ihr ergrauendes Haar silberhell in der Herbstsonne.

„Es ist Halimath, Herrin Obstgarten“, wandte sie sich an die Bäume, „und es ist Zeit für uns, einzusammeln, was uns durch den Winter bringt.“ Obwohl kein Wind fühlbar war, schwankten die Zweige des nächsten Baumes ein winzig kleines bisschen. „Wir tragen weder Axt noch Schneide. Wir bitten, von dir einsammeln zu dürfen, was du nicht länger brauchst.“ Ein leises Geräusch sich regender Zweige klang durch den Obstgarten wider. Esmie hob einen Scheffelkorb hoch und stellte sich unter einen Zweig, der Äpfel trug. Sara und Mac stemmten Gilda hinauf auf Rorys Schulter und er hob einen Arm, um sie zu stützen.

„Bilbo.“ rief Rory. „Komm, hilf mir.“ Bilbo eilte an seine Seite und legte die Hände fest auf Gildas Taille und Schenkel, um sie auf Rorys Schulter im Gleichgewicht zu halten. Rory ging vorwärts, bis Gilda sich unter dem Zweig befand. Sara schwang Merle hinauf auf seine Schulter, während Mac und Frodo das selbe mit Berry und Merry taten, and die drei traten heran, um dem Herrn und der Herrin näher zu sein. Gilda streckte die zitternden Hände aus und bekam den Apfel zu fassen. Mit einem Ruck pflückte sie ihn von seinem Stängel und ließ ihn in den Scheffelkorb fallen, den Esmie hielt. Wieder langte sie nach oben und pflückte und ließ fallen, pflückte und ließ fallen, pflückte und ließ fallen. Bald lag ein Dutzend Äpfel in dem Korb. Sara trat näher und Merle streckte die Hände und fing an, Äpfel zu pflücken, manchmal allein, manchmal, indem sie Gilda half, einen widerspenstigen Apfel loszumachen. Mac und Frodo brachten die Jungen nach vorne, und jetzt halfen die beiden Kleinen dabei, den Scheffelkorb zu füllen.

Die ganze Zeit standen die Bockländer ganz still, selbst die Kinder; sie beobachteten, wie die Herrin und ihre Kinder die ersten Früchte der Ernte von der Herrin Obstgarten einsammelten. Nach einer Weile teilte Gilda Rory leise mit, das sie ihre Arme nicht mehr heben konnte. Rory stand still und Bilbo stützte sie, während sie zusahen, wie die Kinder den Korb zu Ende füllten. Als sie damit fertig waren, wandte sich Gilda noch einmal an die Bäume.

„Segne und behüte uns, Herrin Obstgarten. Friede sei mit dir und Gnade sei heute dein Geschenk an uns.“ Das Rascheln der Zweige erstarb. Bilbo half Gilda von Rorys Schulter herunter und hielt sie, bis Mac und Sara die Kinder abgestellt hatten. Sie machten einen Sitz aus ihren Armen und hoben ihre Mutter zwischen sich hoch, Esmie präsentierte Rory den Scheffelkorb mir Äpfeln. Er führte sie hinüber zu der kleinen Apfelpresse. Alle beobachteten schweigend, wie er die Presse selbst bediente, die Äpfel hineinwarf, die Kurbel drehte und den Saft aus dem Obst quetschte. Er tauchte einen Becher in den Apfelsaft in dem Auffangbecken und trug ihn zu Gilda hinüber. Sie legte ihre zitternden Hände darum, hob ihn hoch und nahm einen tiefen Schluck. Etwas von dem goldenen Saft trop fte aus ihren Mundwinkeln, weil ihre Hände den Becher nicht ruhig halten konnten, aber sie leerte ihn in einem Zug.

Sie hob den Becher und rief aus: „Der Apfelsaft ist süß! Die Herrin Obstgarten hat uns ihren Segen gegeben. Lasst die Ernte beginnen!“ Ein großes Geschrei erhob sich von den versammelten Hobbits. Die Ernte fing an.

Frodo und Nassy trugen einen Sessel von einem Wagen zu einem Zelt vor den Bäumen, und Gilda wurde hineingesetzt. Rory füllte den Becher wieder und wieder aus dem Becken und ließ kleine Kinder, die Mädchen und die Gevatterinnen Schlucke nehmen, bis die erste Pressung weg war. Als er fertig war, halfen Frodo und Bilbo ihm, die Presse und den Behälter von dem Apfel-Fruchtfleisch zu reinigen.

Sara und Mac bellten gutmütig herum und brachten die Ernte in Gang. Viele der Mädchen trugen an diesem Tag die Hosen ihrer Brüder, während andere ihre Röcke geteilt hatten... obwohl nicht wenige einfach kicherten und in ihren kurzen Küchenröcken die Bäume erklommen. Auf ein Wort von Rory grinste Frodo und machte sich in den Obstgarten davon. Rory und Bilbo kamen zu Gilda zurück und setzten sich zu ihren Füßen nieder, einer auf jeder Seite, wie große Hunde. Und so verbrachten sie den Tag und sahen bei der Ernte zu. Die Mädchen und die jüngeren Frauen kletterten in die Apfelbäume hinauf und ließen die Äpfel in Tücher fallen, die die älteren Frauen auseinanderhielten. Die Männer nahmen die vollen Tücher und ließen die Äpfel in wartende Kiepen rutschen; sie halfen den Mädchen und Frauen auf die Bäume und wieder hinunter und sie hatten Kinder auf den Schultern sitzen, während sie Körbe in den Händen hielten. Die Kinder pflückten die Äpfel und ließen sie fallen, so dass sie in den Körben landeten. Jüngere Männer stapelten die vollen Körbe neben den Hauptpfaden und standen bereit, um sie auf den Wagen zu laden. Mac nahm sein goldenes Pony-Paar mit unter die Bäume, weil sie ihm einfach folgten und nie vor einem Schatten zurückscheuen würden. Volle Körbe wurden auf den Wagen gewuchtet und leere an ihre Stelle gesetzt. Auf einen Befehl von Mac grub das Paar seine Hufe in den Boden und zogen den beladenen Wagen hinaus in die Sonne und hinüber zum Press-Schuppen.

Dann übernahm Sara das Kommando. Er rief fröhliche Hänseleien und laute Ermutigungen und dirigierte das Abfüllen der Äpfel in die großen Behälter. Von dort wurden sie zu den Pressen weiterbewegt, wo die Früchte ausgequetscht und der Saft in steinerne Bottiche geleert wurde, die in die Erde eingelassen waren. Wahrscheinlich hatten die Zwerge die auch zurecht gehauen, und Bilbo neigte dazu, es zu glauben. Sie rochen nie verdorben oder sauer und funktionierten immer. Später, nach dem der Saft sich ein paar Tage gesetzt hatte, würde er aus den Bottichen gepumpt und in Fässer abgefüllt werden – manche für süßen Apfelmost, manche für Apfelwein und manche für Essig. Die Leute an der Presse waren eine laute, raubeinige Truppe, und der Rest des Apfelweines von der letzten Ernte floss reichlich, obwohl alle äußerst vorsichtig waren, dass er nicht mit dem neuen Fruchtsaft in Berührung kam. Es war nicht gut, das Geschenk der Herrin zu verderben.

Bilbo, Rory und Gilda beobachteten die Vorgänge und schwelgten in Erinnerungen. Ich nehme an, wir sind wirklich alt, überlegte Bilbo, wenn wir Geschichten erzählen über die Taten, die wir getan haben, anstatt hinzugehen und mit unseren Taten Geschichte zu machen. Sie lachten über die älteren Zwanziger, denn die Jungs luden sich die Mädchen auf die Schultern und machten Spiele, neckten einander, spöttelten und tändelten, was das Zeug hielt. Die älteren Gevatterinnen und Ehemänner hielten ein Auge auf die Zwanziger und ließen sie tändeln, aber sie erlaubten ihnen nicht, den Obstgarten zu verlassen.

Bilbo bekam endlich eine Gelegenheit, Frodo mit den anderen Kindern seines Alters zu beobachten. Er schien fröhlich genug zu sein, er lachte und rangelte so wild herum wie nur irgend eines von ihnen. Bilbo hielt sehr sorgsam Ausschau nach einem etwaigen Unterschied in seinem Verhalten den Jungen und Mädchen gegenüber, und er sah keinen, der nennenswert gewesen wäre. Frodo war gutgelaunt und zu allen freundlich, obwohl er den Mädchen ein bisschen sehr auf die Nerven ging, wie junge Zwanziger es nun einmal taten. Er bekam eins übergezogen dafür, dass er eine Grasschlange in den Schoß eines Mädchens fallen ließ, fing sich einen kräftigen Klaps auf den Rumpf ein, als er versuchte, Apfelkerne auf ein Schwesternpärchen zu spucken, das ihn mit Zweigen bewarf, und Mac verdrehte ihm das Ohr, als er auf der Flucht einen Stoß voller Kiepen umstieß... nachdem er etwas mit ein paar anderen Jungs getan hatte, das dafür sorgte, dass ein Rudel Mädchen sie ankreischte. Mac ließ ihn auch sämtliche Äpfel aufheben, die er ausgekippt hatte. Bilbo war froh, dass es Mac war und nicht Sara, der die Oberaufsicht im Obstgarten hatte.

Die Küchenzelte waren den ganzen Tag geöffnet und es gab keine richtigen Mahlzeiten, aber das schien keinem etwas auszumachen. Wann immer die Leute hungrig waren, kamen sie einfach vorbei und fanden etwas, das sie mochten, dann kehrten sie an die Arbeit zurück. Schließlich war das Pflücken bis zum späten Nachmittag mehr oder weniger beendet, und die meiste Arbeit konzentrierte sich um die Pressen. Kleine Kinder, allesamt völlig erledigt, konnte man zu kleinen Häufchen zusammengedrängt finden wie junge Welpen; ein älterer Zwanziger oder ein Erwachsener saß daneben für den Fall, dass eines von ihnen aufwachte und etwas haben wollte.

Frodo war auf der Suche nach Bilbo aufgetaucht, und er hatte ihm, Rory und Gilda alles über seine weniger mutwilligen Abenteuer im Obstgarten erzählt. Als die Geschichten zu Ende waren, sagte Bilbo, es wäre Zeit für die Elbischstunde, während es noch hell war, und bevor das Abendessen serviert wurde. Sie gingen und ließen sich an der Seite von einem der Schuppen nieder, und Bilbo zog ihre Pfeifen hervor. Es war nicht sicher, unter den Zweigen der Herrin Obstgarten zu rauchen.

Heute ging es in ihrem Unterricht um die Namen von Pflanzen, vor allem Bäume, da es hier in der Gegend so viele davon gab. Bilbo redete ein bisschen über die Pflanzenarten, und dann sagte er die Namen all der Pflanzen, die er sehen konnte, in Quenya und auch in Sindarin, wenn er die Wörter kannte. Frodo wiederholte und wiederholte und wiederholte, bis Bilbo mit seiner Aussprache zufrieden war. Dann spielten sie ein Spiel, bei dem Bilbo auf eine Pflanze zeigte und Frodo sagen musste, wie sie hieß.

„Ereg… salch… lass… hwand… doron… tathar.“

„Sehr gut! Kein Fehler bei der letzten Reihe!“ sagte Bilbo fröhlich, während Frodo zufrieden grinste. „Morgen sollten wir am Fluss entlang wandern und nach kleineren Pflanzen suchen.“

Bilbo lächelte über die entzückte Zustimmung des Jungen, obwohl jede Sekunde, die er damit verbrachte, neben Frodo zu sitzen, während er wusste, was bald geschehen würde, dafür sorgte, dass er sich schuldig fühlte. Ich sollte es ihm sagen, ihn warnen. Er sprach allerdings nicht aus, was er auf dem Herzen hatte, sondern ließ den Jungen lieber seine Fröhlichkeit genießen. --- Bilbo sah, wie sich Frodos Gesicht verschloss und wachsam wurde, und er hörte den leisen Tritt von Füßen hinter sich. Ohne sich umzudrehen sagte er: „Hallo Sara.“ Frodo sagte nichts.

Einen schönen Nachmittag, Onkel... Frodo.“ entgegnete Sara und pflanzte sich vor ihnen auf. „Den Erntesegen wünsche ich euch.“ Er war offensichtlich ein ganz klein wenig berauscht von dem schweren Apfelwein im Press-Schuppen, aber wirklich bezecht war er nicht. Bilbo war sich nicht sicher, ob er es nicht vorzog, den Kerl völlig betrunken zu sehen.

„Tja, Sara, das war eine feine Ernte.“ antwortete Bilbo höflich. Frodo hatte die Augen zu Boden gesenkt und ließ sie dort hin gerichtet.

„Ja, das war es.“ erwiderte Sara abwesend und schaute auf Frodo hinab.

„Lass dich von uns nicht aufhalten.“ sagte Bilbo freundlich, aber bestimmt, nahm die Pfeife wieder in den Mund und nickte dem Erben des Herrn höflich zu. Sara beachtete ihn nicht. Er schaute nun sehr aufmerksam auf Frodo herunter. Er machte eine rasche Bewegung und langte nach Frodos Pfeife. Frodo war blitzartig auf den Beinen, die Pfeife hinter sich. Nur einen Moment später stand Bilbo neben ihm.

„Was ist das, Ratte? Wo hast du die her?“ schnappte Sara, packte Frodos Arm und wollte die Pfeife hinter ihm hervorziehen.

„Das geht dich nichts an.“ gab Frodo zurück und versuchte, sich loszumachen.

„Nimm deine Hand von dem Jungen, jetzt.“ sagte Bilbo und schob seine Schulter zwischen die Vettern. Sara trat zurück und starrte sie alle beide an.

„Wem hast du die gestohlen?“ zischte Sara Frodo an.

„Es ist meine!“

„So was besitzt du nicht, Ratte. Hör auf zu lügen.“

„Sie ist Onkel Bilbos Geburtstagsgeschenk für mich, und sie gehört mir. Ich lüge nicht!“

„Weiß Papa, dass du die hast? Solche Dinge solltest du nicht haben.“

„Es ist seine. Ich habe sie ihm geschenkt, ich will, dass er sie hat, und ich werde Rorys Erlaubnis einholen.“ unterbrach Bilbo. „Frodo kann haben, was immer ihm zu schenken ich beschließe.“ Saras Gesicht nahm den schlauen, anzüglichen Ausdruck an, den Bilbo inzwischen ziemlich verabscheute; er hatte es mehr oder weniger erwartet.

„Also, ich denke, dann müssen wir es wohl erlauben.“ sagte Sara gedehnt. „Ich nehme an, du willst ihm alle möglichen Dinge schenken. Und ich bin sicher, er wird sie haben wollen.“

Bilbo sah, dass Frodo die doppelte Bedeutung von Saras Worten erfasste; er hatte die Fäuste geballt. Der alte Hobbit bewegte sich so, dass er zwischen den Vettern stand und lächelte Sara höflich an. „Sara, Rory ist der Einzige, der entscheidet, welche Geschenke Frodo annehmen darf. Wenn du Widerspruch gegen etwas einlegen willst, dann solltest du das mit dem Herrn besprechen, nicht mit dem Jungen. Wie ich schon sagte, lass dich von uns nicht aufhalten.“

„Weißt du, er kam vor gar nicht so langer Zeit dafür in Schwierigkeiten, dass er eine Pfeife gestohlen hat.“ erwiderte Sara. „Er ist ein ziemlicher Schleicher.“

„Er hat sie nicht gestohlen, er hat sie ausgeborgt, und irgendein anderer Junge hat sie ihm geklaut“, korrigierte Bilbo ihn streng, „und hättest du dich anständig um ihn gekümmert, dann hätte er eine eigene Tonpfeife gehabt, mit der er machen kann, was er will – und deine zweitbeste, ungenutzte Pfeife würde noch immer Platz im Pfeifenregal wegnehmen.“

„Na, ich bin nicht überrascht, dass du ihn zu schleichenden Heimlichkeiten ermutigst.“ feixte Sara.

„Sara, man sollte dich wirklich nicht ohne Leine und Wächter auf die Allgemeinheit loslassen“, sagte Bilbo, den die rüden Beleidigungen zunehmend anödeten. Wenigstens zeigt Esmie Einfallsreichtum und Feinsinn, wenn sie mich auf’s Korn nimmt. Er hörte Frodo neben sich kichern. Sara machte einen drohenden Schritt vorwärts.

„Hüte deine Zunge, Ratte.“

„Hüte du deine eigene, Lyg.“

„Aber du benutzt deine so gut“, höhnte Sara, „du bist ziemlich begabt damit. Schlingst sie um seltsame – Worte. Ich kann sehen, weshalb dich Bilbo für einen vollkommenen Gefährten hält.“

Frodo trat einen Schritt vor und Bilbo hoffte, dass er nicht bei einem Faustkampf zwischen den beiden würde eingreifen müssen. Dann sah er Frodo an – und starrte. Er hatte erwartet, dass der Junge angesichts von Saras Beleidigungen außer sich vor Wut oder beleidigt sein würde. Statt dessen hatte sich Frodo zu seiner vollen Größe aufgerichtet, hatte das Kinn erhoben und warf Sara einen flammenden Blick zu. Sein Gesicht zeigte die tiefe Verachtung für seinen Vetter. Sara schien im Vergleich zu dem jüngeren Hobbit zu schrumpfen und wurde unter dem vernichtenden Starren unsicher.

„Das ist jetzt aber wirklich genug von dir, Sara. Du darfst gehen. Jetzt!“ befahl Frodo dem älteren Hobbit.

Sara reagierte, als hätte er statt eines Befehls einen Schlag empfangen. Er machte einen hastigen, stolpernden Schritt rückwärts, dann wich er noch ein paar Schritte zurück. Er schüttelte seine Faust in Frodos Richtung. „Wird bloß nicht großkotzig mir gegenüber, Ratte! Das wird dir noch Leid tun!“

Frodo fing an, langsam und drohend auf Sara zuzugehen, der weiter zurückwich. „Ich.Sagte. Geh.“ erwiderte der Junge mit gedämpfter, giftiger Stimme. Sara wandte sich eilig ab und ging den Weg zurück, den er gekommen war.

Frodo beobachtete, wie er sich entfernte. Bilbo seinerseits beobachtete noch immer Frodo, gründlich verblüfft. Es war der Alte Tuk, ins Leben zurückgekehrt. Gerontius war nicht der älteste Sohn von Fortinbras gewesen, aber er war der mit der größten Autorität. Als sein Vater starb, hatte Gerontius die Thainschaft schlichtweg für sich beansprucht, und seine beiden älteren Brüder hatten es nicht gewagt, ihn herauszufordern. Bilbo dachte bei sich, dass er nun sehen konnte, wie sich das zugetragen hatte. Dann erschlaffte Frodo und der Alte Tuk war dahin. Sein Junge war wieder da, verletzt und wütend.

„Frodo, bist du in...“ Bilbo hatte die Hand ausgestreckt und die Schulter des Jungen berührt, nur um zu erleben, dass das Kind heftig vor ihm zurückzuckte. Frodo starrte ihn lange und rätselhaft an, dann drehte er sich brüsk um um und ging in die entgegengesetzte Richtung von Sara davon. Bilbo machte keinen Versuch, ihm zu folgen und sah zu, wie er um die Ecke verschwand.

Die nächste Stunde verstrich für Bilbo in einem gewissen Nebel. Er wanderte im Alten Obstgarten und zwischen den Zelten herum, spähte sorgsam in die Schuppen und versuchte, eine Spur von Frodo zu entdecken. Saras Schmähungen waren zu weit gegangen, aber er sah nicht, wie sie hätten verhindert werden können. Bilbo hatte das Gefühl, dass er bei dem Austausch eine Menge verpasst hatte, und er wünschte sich, er hätte besser ein paar Dinge verpasst, die ziemlich deutlich gewesen waren.

Bilbo befand sich am nordwestlichen Rand der Schuppen, nahe am nördlichen Wald, und starrte in Richtung der Pferde, als er ein paar Zwanziger sah, die auf einen der Schuppen am Waldrand zugingen. Einer von ihnen war Frodo. Er schlenderte neben den anderen her, aber seine Haltung und seine Art, sich zu bewegen, waren eigenartig. Bilbo erkannte die Gesichter der anderen, aber er konnte sich nicht an ihre Namen erinnern. Eine hatte den ganzen Tag mit Sara an der Presse gearbeitet, während die anderen beiden dabei geholfen hatten, Apfelkiepen auf den Wagen zu wuchten und ähnliche Hebearbeiten zu erledigen. Es waren alles Burschen in den späten Zwanzigern, nicht größer als Frodo, aber kräftiger. Die vier verschwanden hinter einem der nördlichen Schuppen. Bilbo erinnerte sich an Saras Drohung, und er hatte Angst, die Jungen seien geschickt worden, um Frodo zu verprügeln.

Bilbo sah sich unauffällig um, um festzustellen, ob ihn jemand beobachtete. Er trat zurück in den Schatten des letzen Schuppens, löste den Ring von seiner goldenen Kette und steckte ihn an. Die Welt wurde ein wenig dunkler und undeutlich, so als wäre ein Nebel über den Obstgarten gefallen. Die Äste der Apfelbäume regten sich und stießen gegeneinander, und er dachte, er könnte im Wispern der Zweige eine warnende Stimme hören. Er überquerte rasch das offene Gelände, und betrat den Rand des Waldes. Er musste sich ziemlich langsam bewegen, um kein Geräusch zu machen, das ihn verraten würde. Es brauchte ein paar Minuten, sich seinen Weg dorthin zu suchen, wo zwei der Zwanziger (der Nebel hinderte ihn daran, deutlich zu sehen, welche es waren) an der Seitenwand des leeren Schuppens herumlümmelten und lässig die Belustigung drüben in der Nähe der westlichen Schuppen mit ansahen. Es klang nicht nach Streit oder Kampf.

Der alte Hobbit blieb am Saum der Bäume stehen und beobachtete die Jüngeren. Er hörte leise, vertraute Geräusch, die von hinter dem Gebäude kamen. Ich will das nicht sehen. Ich will es nicht wissen. Wenn ich es weiß, dann sind es nicht länger Saras Lügen. Bilbo hatte eine nur allzu genau Ahnung davon, was er zu Gesicht bekommen würde. Aber wenn sie ihm weh taten, wenn sie ihn zwangen... Bilbo ging unter die Bäume, die die Scheune einrahmten. Er suchte sich seinen Weg durch das Unterholz und hielt seinen verdunkelten Blick auf die Pflanzen gerichtet; er weigerte sich, in Richtung der Geräusche zu schauen, die er hörte, bis er eine bestimmte Stelle erreicht hatte. Selbst dann wollte er nicht... konnte er nicht aufschauen. Er hörte ein Stöhnen und das Rascheln von Stoff. Als er sich selbst dazu bringen konnte, die Augen zu heben, sah Bilbo den Rücken eines unbekannten Zwanzigers. Der Junge schaute an sich herunter und knöpfte seine Hosen zu.

Frodo, der stand, lehnte sich an die Scheune und sah den anderen Jungen mit einem wissenden Halblächeln an. Das Licht, das durch die Bäume filterte, während die Sonne unterging, war ein tiefes Gold mit einer Spur Orange und Rot darin. Es berührte das Gesicht seines Jungen und ließ es in Bilbos dunstiger Vision erglühen. Es war wenig zu sehen von dem Kind, das früher am Tag Mädchen im Obstgarten gehänselt hatte. Der Sonnenuntergang hatte eine Maske aus Licht und Schatten über Frodos Züge geworfen und zeigte Bilbo für einen Moment, wie er ein Dutzend Jahre später aussehen würde. Frodo war schön.

Der andere Junge lief vor Frodo vorbei und unterbrach Bilbos Konzentration. Frodo drehte sich leicht, um den anderen gehen zu sehen. Der Schatten eines Baumes fiel über sein Gesicht und die Maske verschwand. Einen Moment später kam ein anderer (der dritte, wie Bilbo annahm), um die Ecke. Er sagte gedämpft etwas zu Frodo, der einfach eine Augenbraue hob und sich dann aufreizend streckte. Der andere Junge stand sehr dicht vor Frodo, die Hände zu beiden Seiten des Jüngeren an die Wand gestützt. Das Lächeln auf Frodos Gesicht war verblasst, und er fing an wegzusehen, während der andere Junge sprach. Bilbo wünschte sich, er könnte es hören, aber er wollte nicht riskieren, dichter heranzugehen.

Frodo warf dem anderen einen vernichtenden Blick zu und wandte sich ab, als wollte er gehen. Der zweite Junge packte rasch mit der Hand in Frodos Haar und zwang den Jüngeren, ihn anzusehen. Frodo starrte ihn für eine Sekunde durchbohrend an, dann lächelte er und sank mit Anmut auf die Knie; die Hand des anderen noch immer fest in seinem Haar vergraben. Bilbo beobachtete, wie Frodo die Hose des Jungen aufknöpfte, dann konnte er Frodos Gesicht nicht mehr sehen. Die Hüften des anderen Jungen fingen an, stoßend vorwärts zu drängen und Bilbo schaute weg. Wie zuvor starrte er einfach zu Boden; er weigerte sich hinzusehen, er wünschte sich, er könnte nichts hören, aber er fürchtete sich zu gehen, ehe die beiden fertig waren und er wusste, dass Frodo nicht geschlagen oder verletzt wurde.

Er musste nicht allzu lange warten. Der andere Junge machte seine Hosen zu und ging sofort weg. Bilbo hörte, wie er mit einem Ruf die anderen zwei grüßte, die weiter vorne warteten, gefolgt von den Geräuschen ihres Verschwindens; im Gehen lachten sie und machten Witze. Frodo kniete immer noch neben der Scheune, in Bilbos Richtung gewandt und ins Leere starrend. Bilbo sah, wie er sich mit der Zungenspitze über die Unterlippe fuhr, einen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. Etwas klebte dicht neben dem Mundwinkel an seinem Kinn. Der Junge grub in einer Hosentasche und zog einen kleinen Apfel hervor. Er biss hinein und kaute energisch, dann spuckte er das zerkaute Fruchtfleisch auf den Boden. Er nahm noch einen Bissen und tat dasselbe; etwas Fruchtsaft kam zu dem Zeug auf seinem Kinn hinzu. Ein dritter Biss folgte den anderen beiden, und Frodo warf den Apfelbutzen weg. Er rieb sich das Kinn mit dem Ärmel und prüfte mit den Fingern, ob irgendetwas übrig war. Er war befriedigt und ging rasch davon.

Bilbo setzte sich mit einem Plumps auf den Boden und nahm den Ring ab. Er wollte deutlich sehen. Wann immer er ihn auch trug, er hatte immer das Gefühl, beobachtet zu werden. Er schrieb das seinem eigenen Schuldgefühlen zu, dass er andere ausspionierte, obwohl er nur einmal absichtlich Spionage betrieben hatte, um Thorin und die anderen aus den Hallen des Elbenkönigs zu retten, und um Smaug auszuforschen. Bis jetzt. Ich frage mich, was dieses Gollum-Geschöpf gesehen hat, als es den Ring trug? Beobachtete und überfiel er die Orks, die er jagte, oder hat er sie einfach schnell gepackt? Saß er in den Schatten und sah Dinge mit an wie diese? Was habe ich gerade gesehen?

Er war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Frodo war den anderen drei zu Willen gewesen, das war das einzige, was klar zu sein schien. Aber warum, aus welchem Grund, das konnte Bilbo nicht wissen. Wollte er das tun? Hatten sie ihn gezwungen? Wessen Idee war das? Es gab nicht viel Zweifel daran, dass Frodo Übung hatte. Er hatte dem dritten Jungen widerstanden, aber nur für einen Moment. Er hatte nicht verängstigt ausgesehen. Bilbo konnte den kurzen Augenblick nicht vergessen, als Frodo vergoldet worden war von der Zeit selbst, verwunschen in etwas gänzlich ohne Alter, nur heftige, sinnliche Schönheit. Wie könnte irgendjemand ihn nicht wollen, wenn er ihn so sieht? Die anderen hatten es nicht gesehen; sie hatten kaum ihren Höhepunkt gehabt und waren weggegangen. Frodo war noch einmal so gewesen, in den ersten paar Sekunden, als er allein da kniete und sie an sich selbst schmeckte. Er hatte einen Apfel bereit, um den Geschmack wegzunehmen. Wer hatte ihm diesen Trick beigebracht? Bilbos Herz tat weh und er fühlte sich zum Heulen. Es waren nicht bloß Saras Lügen. Er hasste, was er gesehen hatte. Ist das die Art, wie du liebst, Frodo? Ist das alles? Bilbo kannte diesen Drang, das Bedürfnis, Erlösung zu finden und nicht innezuhalten, bis man sie erreicht hatte. Aber danach... Sie hatten ihn nicht berührt, ihn nicht geküsst oder gestreichelt. Da war kein gegenseitiges Entzücken. Frodo hatte sich nicht einmal selbst berührt oder sich Vergnügen verschafft. Es sind bloß ein paar Jungs, die tun, was Jungs eben so tun. Mach sicht so viel daraus. Die Zeit für die Liebe ist da, wenn er jemanden zum lieben findet. Er kam stolpernd auf die Füße; er musste weg von hier.

Bilbo steckte den Ring wieder an und machte sich auf den Weg hinaus in die Mitte des Alten Obstgartens. Er wusste, dass die Bäume ihn auf gewisse Weise sehen konnten, dass sie das nicht schätzten und versuchten, ihn mit ihren Zweigen zu fangen. Er wich einigen Paaren aus, die miteinander den Segen der Herrin Obstgarten nutzten, um ein Kind zu bekommen, ließ den Ring vom Finger gleiten und fand den Weg zurück zu dem Zelt, wo Gilda saß. Die Sonne war untergegangen und ein Freudenfeuer loderte. Ein paar Leute hatten Fiedel und Flöte mitgebracht. An manchen Stellen wurde getanzt, während langsam das Essen serviert wurde. Er ging zu Gildas Stuhl und nahm den Platz zu ihren Füßen ein. Seine Mahlzeit erschien beinahe durch Zauberei, aber er hatte keinen Appetit. Er stellte den Teller ab. Gilda streichelte ihm abwesend das Haar. Er fing ihre Hand ein und hielt sie eine Weile; er hatte es nötig, warmes, vertrautes Fleisch zu spüren.

Über das Feuer hinweg konnte er Sara und Mac Hof halten sehen, Esmie und Nassy an ihrer Seite. Es war fröhlich, glücklich, angenehm trunken und festlich dort drüben. Als Bilbo die Menge durchsuchte, sah er die Jungen, die bei Frodo gewesen waren. Sie standen nahe am Rand der Gruppe der Erwachsenen, schwatzend und mit anderen lachend, und sie sahen ganz und gar nicht so aus, als hätten sie gerade einen anderen benutzt, um sich Erleichterung zu verschaffen. Es ist nicht recht. Sie sollten große rote Zeichen auf ihren Stirnen und über ihre Herzen tragen, um zu verkünden, was sie getan haben, damit alle es sehen können und entsetzt sind, und damit sie sich schämen können. Aber keine Zeichen erschienen, nur ein paar Wangen, die sich röteten von Bier und Gelächter.

Frodo zu finden war keine schwere Aufgabe. Wie Bilbo erwartet hatte, saß sein Junge bei den kleinen Kindern, den schlafenden Merry in den Armen, und passte auf sie auf. Er sah ebenso unschuldig aus wie die anderen Kleinen; es gab kein Anzeichen dafür, dass er wusste, wie er jemand anderen dazu bringen konnte, sich an ihn zu klammern und aufzuschreien. Frodo wischte ein bisschen Speichel von Merrys Kinn, dann drehte er sich um und schalt Tilly, dass sie jemand anderen an den Haaren zog, und endlich sang er ein kurzes Lied, um die Kinder zu unterhalten, die sich weigerten, nach einem langen Tag und mit vollem Magen einzuschlafen und hartnäckig wach blieben. Irgendwann hielt er inne, runzelte ein wenig die Stirn und schaute geradewegs zu Bilbo hinüber, wie eine Magnetnadel nach Norden. Für einen langen Moment hielt Frodo seinen Blick fest, ohne zu blinzeln, dann wandte er sich entschlossen ab. Bilbo beobachtete Frodo den ganzen Rest des Abends, um sich an dieses Bild seines Kindes zu erinnern. Es hatte keinen Zweck. Wann immer Frodo seinem Blick begegnete, war alles, was Bilbo sehen konnte, die goldene Sonnenuntergangs-Maske.

Nachdem der Mond herauskam, wurden die Ponys zusammen getrieben, Wagen wurden angeschirrt und Kinder und Besitztümer verstaut. Bilbo half dabei, Macs Wagen mit den Kindern zu beladen, die zum Brandyschloss gehörten. Frodo schwatzte mit den Kindern, aber er sagte nicht ein Wort zu Bilbo. Bilbo stand an der Seite des Wagens, als Mac das Abschlussbrett sicherte. Frodo kniete ganz in der Nähe auf der Ladefläche, die Kinder schläfrig zusammengerollt und an ihn gelehnt.

„Frodo?“

Eine Pause mit abgewandten Augen, dann ein Lächeln. „Ja, Onkel Bilbo?“

„Wir hatten schon unsere Elbisch-Stunde für diesen Tag, aber hättest du gern eine Abendpfeife, wenn wir zurückkommen... bevor wir wieder hineingehen?“

Das Lächeln verblasste, die Augen waren wachsam, das Gesicht ausdruckslos. „Tut mir leid, Onkel Bilbo. Ich bin so unheimlich müde, ich glaube nicht, dass ich das hinkriege.“

Bilbo lächelte breit. „Schon in Ordnung, mein Junge. Hol dir deinen Schlaf. Dann also morgen.“ Es war eine Feststellung und ein Befehl, keine Frage.

Frodo blickte weg. „Wenn du das möchtest... dann also morgen.“

Bilbo winkte zum Abschied und fuhr mit Rory und Gilda nach Hause.


Lyg
– Sindarin: „Schlange“
Ereg, salch, lass, hwand, doron, tathar – Sindarin: „Dorn, Gras, Blatt, Pilz, Eiche, Weide"


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