![]() Über das Wasser (Across the waters)
Wasser. Frodo erkannte das Geräusch von Wasser, das auf Blätter fiel. Er holte Atem und konnte den Regen riechen, kühl und frisch und mit einem grünen Duft nach Frühling. Er wandte seinen Kopf dorthin, wo das sanfte Pladdern des Regens herkam und versuchte, seine Augen zu öffnen, aber sie waren so geschwollen, dass ihm das nur ein kleines Stück weit gelang. Er sah den Eingang eines Zeltes oder Pavillons, und jenseits davon einen wohltuenden, grünen Schatten, als läge er in einem Wäldchen. Frodo erkannte den Ausblick nicht wieder und versuchte sich vorzustellen, wo er war. Er schaute zurück zur Decke, die aus glattem, weißen Stoff bestand, der ihm keine Antworten gab. Seine Füße fühlten sich seltsam an, überhitzt und fast taub. Er berührte einen Fuß mit dem anderen und begriff, dass sie mit Tüchern umwickelt waren. Er konnte nicht einmal die Zehen bewegen. Waren sie verbunden? Frodo versuchte, seinen Kopf in die andere Richtung zu drehen, aber er zuckte angesichts des schmerzhaften Kratzens im Nacken zusammen. Mit großer Anstrengung hob er die Linke und fühlte noch mehr Stoff, der seinen Nacken bedeckte und um seine Kehle geschlungen war. Dies war ganz sicher ein Verband, also mussten die Füße auch verbunden sein. Was ist mit mir passiert? fragte er sich in wachsendem Elend. Hatte ich einen Unfall? Er ließ behutsam einen Finger unter den Verband in seinem Nacken gleiten, in der Hoffnung, herauszufinden, wie schwer die Wunde war, die dort sein musste. Der Verband saß nicht sehr eng und ließ sich zuerst leicht anheben. Dann aber löste er sich mit einem übelkeiterregenden Gefühl, als wäre er an dem, was er bedeckte, festgeklebt. Frodo konnte sogar etwas wie ein nasses Flüstern hören, ganz dicht an seinen Ohren, und ihm drehte sich der Magen um. Er berührte seinen Nacken mit zwei Fingerspitzen und ertastete eine klaffende Vertiefung in seiner Haut. Was war das? Wo kam das her? Es schien, als ob ein schweres Gewicht um seinen Hals gehangen hätte, und dass er es getragen hatte, bis es sich tief in sein Fleisch eingrub. Ein Seil, eine Schlinge vielleicht... oder eine Kette. Eine Kette! Als ob Türen in seinem Geist aufgesprungen wären, erinnerte sich Frodo plötzlich an alles. Er stöhnte und zog seine Hand unter dem Verband hervor. Er hielt sich die Finger vor das Gesicht und sah, dass sie nass waren von seiner Verletzung. Er schloss die Augen und wurde von Brechreiz überflutet. Die Kette! dachte er. Der Ring! Sam! Er schluckte hart im Kampf gegen die wachsende Übelkeit und hob reflexartig die andere Hand zu seinem Mund. Stoff, nicht Haut, berührte seine Lippen und er zwang seine Augenlider wieder auseinander, um seine rechte Hand anzusehen. Sie war bis fast zum Handgelenk bandagiert, und wo sein Mittelfinger hätte sein sollen, sah er nur Leere und einen Verband, der leicht mit eingetrocknetem Blut befleckt war. Frodo verlor den letzten Rest Beherrschung, drehte den Kopf zur Seite und würgte. Sofort erhob sich hastige Geschäftigkeit rings um ihn her. Er spürte, wie unsichtbare Arme ihn auf die Seite drehten, während jemand ein Becken unter seinen Mund hielt. Ihm blieb nur ein Augenblick für das Gefühl des kühlen Porzellans an der Wange, bevor ein neuer Krampf ihn überkam. Jemand machte ein beruhigendes Geräusch und ließ sanfte Finger über seine Stirn und durch seine Haare gleiten. Er würgte hilflos; obwohl die Anstrengung ihm große Schmerzen verursachte und ihm das letzte bisschen Kraft raubte, brachte er nicht mehr heraus als ein dünnes Rinnsal. Die Krämpfe wiederholten sich, wieder und wieder, und Frodo fragte sich, wann er sterben würde und wie es kam, dass er nicht schon tot war. ***** Frodo saß in seinem kleinen Pavillon auf dem Bett, die Hände im Schoß, und ließ einen kleinen Silberreif durch seine Finger gleiten. Die rechte Hand war immer noch bandagiert, leichter als bei seinem ersten schmerzhaften Erwachen Ende März. Unter seinen Füßen wuchs weiches Gras, kühl und erfrischend an den fast verheilten Wunden auf seinen Fußsohlen. Fertig, Herr Frodo? fragte Sam. Frodo wandte sich ihm zu und musste lächeln. Sam trug ein vergoldetes Kettenhemd unter seinem Elbenmantel, und jemand hatte einen Silberreif auf seinen Lockenkopf gedrückt. Du siehst sehr königlich aus, Sam sagte Frodo und lachte, als Sam knallrot wurde. Was glaubst du, was der Ohm sagen würde, wenn er dich sehen könnte? Dass ich mich aufführe wie ein Großkotz, gar kein Zweifel. antwortete Sam und schüttelte den Kopf, als ob er im Stillen dasselbe dachte. Also, bist du bereit zu gehen?" Sam... sagte Frodo mit einem Seufzen. Müssen wir? War dieser Morgen nicht genug? Ich wüsste nicht, wie wir ablehnen könnten. Nein, ich genauso wenig. Es ist nur, dass dies... Er machte eine Bewegung zu dem Reif in seinen Händen und berührte das Heft von Stich an seiner Hüfte. Dies kommt mir alles so lächerlich vor. Ich fühle mich, als wäre ich verkleidet. Na ja, Herr Frodo, es ist nur für eine kleine Weile. Sie wollen dir Ehre erweisen für das, was du getan hast. Und du verdienst das auch, wenn es dir nichts ausmacht, dass ich das sage. Du bist es, der das verdient, Sam. Ich wäre niemals durch den Emyn Muil gekommen, wenn du nicht gewesen wärst. Nun, Herr Frodo, ich habe nur eine kleine Rolle gespielt... du bist es, der das Ding getragen hat. Niemand hätte Ihm so lange widerstehen können wie du. Nicht lange genug. dachte Frodo. Nicht lange genug, um Ihn am Ende zu zerstören, wie es meine Pflicht gewesen wäre. Frodo fragte sich, wie viel Sam wusste. Sam war dort gewesen, aber am Ende seiner Kräfte und verletzt, und er wusste nur, was seine erschöpften Augen gesehen hatten. Sam ahnte nicht, dass Frodo, als er den Ring aufsetzte, dies nicht unter Qualen tat, sondern mit großer Erleichterung... genau so, wie ein erschöpfter Mann sich in sein Bett sinken lässt. Den Ring endlich als sein Eigentum zu beanspruchen, war ein Segen gewesen. Ein Segen, Ihn zu beanspruchen und Ekstase, Ihn zu tragen. Frodo erinnerte sich und würde sich immer erinnern dass er in dem kurzen Moment, als er den Ring endlich als Sein Meister trug, alle Dinge sah, die kein Sterblicher, und ganz sicher kein Hobbit, jemals zu Gesicht bekommen oder begriffen hatte. Er hatte das Licht der Lampen im Frühling von Arda gesehen, als alle Dinge jung waren. Er hatte die Zeitalter der Bäume durchlebt und war Zeuge, wie Angband geschmiedet wurde, und wie die Sterne entstanden. Er hatte beobachtet, wie jedes Wesen auf Mittelerde zum Leben erwachte, in Schönheit und in Schrecken, und er sah den ersten Aufgang von Sonne und Mond. Er hatte mit Galadriel das Eis überquert, während die Schiffe ihrer verräterischen Sippe noch immer am Horizont brannten, und er hatte die Türme von Gondolin wie Juwelen glitzern sehen, bevor die Drachen sie niederrissen. Frodo Beutlin aus dem Auenland hatte neben Sauron gestanden in den Tagen, als er noch schön von Angesicht war und sich selbst Annatar nannte, den Herrn der Gaben. Und er hatte gesehen, wie die Ringe geschmiedet wurden, sein eigener der mächtigste von allen... denn das Schicksal aller Dinge, finster und schön, waren an Ihn gebunden. Nichts war ihm verborgen gewesen, weder der geheime Glanz von Aman noch das Geräusch eines Blumenblattes, das in seinem eigenen, weit entfernten Garten im Auenland zu Boden fiel. Ganz Eä lag in seiner Hand. Er erzitterte bei dem Gedanken, dass er jemals geplant hatte, eine solche Glorie und Macht zu vernichten. Als Gollum ihn beraubt hatte, blieb der Ring mit ihm verbunden wie durch einen unsichtbaren Faden. Und als Er zuletzt ins Feuer ging, spürte Frodo Seine Macht verlöschen, so leicht wie eine Kerzenflamme, die zwischen zwei Fingern ausgedrückt wird. Der Große Schatten war dahingegangen, aber Frodo kam es so vor, dass viel von der Schönheit und dem Geheimnis der Welt mit ihm verblasste. In diesem Moment hatte die Welt angefangen, zu altern und wurde grau, und Frodo war erfüllt von schrecklichem Bedauern. Wäre er nicht am Ende seiner Kraft gewesen, er wäre dem Ring gefolgt und hätte sich in die Flammen gestürzt. Ich konnte Ihn nicht zerstören, dachte Frodo. Ich hätte Ihn niemals zerstören können. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, er wollte Sam davon erzählen, damit er wusste und verstand; aber als Frodo in Sams offenes Gesicht blickte, entdeckte er, dass er es nicht konnte und schlug die Augen nieder. Frodo spürte, dass Sam besorgt auf ihn hinunterschaute, aber er brachte es nicht fertig, den Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen. Sam trat vor und nahm Frodo den Reif aus den Händen. Ich geh und sag Gandalf, dass er warten soll. sagte er sanft. Sie können alle warten. Wir bleiben ein Weilchen hier, ganz ruhig und friedlich. Frodo antwortete nicht, er saß nur da mit den Händen im Schoß. Durch den Schleier seiner Wimpern konnte er Sam vor sich sehen, der den Reif fest zwischen beiden Händen hielt, so wie ein Kind einen Wurfring. Nach einem langen Moment der Stille sprach Sam. Du hast überhaupt nichts falschgemacht, Herr Frodo. Vielleicht glaubst du, dass du das getan hast, aber so ist es nicht. Du hast das Ding getragen. Niemand sonst hätte es tun können. Du hast Ihn zerstört, Herr Frodo, ob du es glaubst oder nicht. Schweigen hüllte sie ein. Endlich schaute Frodo zu Sam auf und lächelte. Lass uns gehen, Sam. Immerhin ist das nächste gute Essen mehr als überfällig, für uns alle beide. Also dann, nichts wie los, Herr Frodo. sagte Sam und lächelte ebenfalls. Er beugte sich vor, strich ihm mit den Händen die dunklen Locken glatt und setzte ihm sanft den Reif auf den Kopf. Frodo betrachtete Sam, voller Staunen über seine Kraft und Hingabe. Er streckte die Hand aus und erwischte Sams Handgelenk; er küsste ihn auf die Handfläche und lehnte mit einem Seufzen die Wange dagegen. Danke, Sam. Was würde ohne dich aus mir werden? Sam wurde wieder rot, aber er begegnete Frodos Blick. Diese Frage musst du nicht stellen, Herr Frodo. Du wirst es niemals herausfinden müssen. Sam nahm Frodo an der Hand und zusammen gingen sie durch den hellen Aprilsonnenschein zum Feld von Cormallen.
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