![]() Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Dreizehn Am folgenden Abend nahm der König Canohando nach dem Essen beiseite. „Du musst dich mit den Männern deiner Kompanie bekannt machen, wenn sie dir folgen sollen. Und ich hätte gern Zeit allein mit der Königin, während mir noch Zeit bleibt. Lass sie während des Tages mir, Canohando.“ „Nachts darf ich ihre Tür bewachen, Herr?“ „Ja, und ich werde nach dir schicken, wenn ich sie aus irgend einem Grund verlassen muss. Du bist noch immer ihr Schatten, aber ich hatte diesen Platz inne, bevor du gekommen bist, Ork.“ Elessar lächelte leicht, und Canohando fühlte plötzlich, dass er im König von Gondor nicht nur einen Lehnsherr, sondern auch einen Freund gefunden hatte. Am nächsten Morgen, nachdem er gegessen hatte, machte sich der Ork auf die Suche nach der Waffenkammer der Soldaten. Joram hatte ihm den Weg beschrieben, und er ging durch zwei Ebenen der Stadt hinab, von neugierigen Blicken verfolgt. Es gab wenige in Minas Tirith, die noch nicht vom Ork der Königin gehört hatten, aber die meisten Leute hatten ihn noch nie gesehen. Er hörte Geflüster, während er vorbeiging, aber niemand sprach ihn an. „Ich brauche einen Bogen,“ sagte er zu dem dienst habenden Soldaten. „Pfeile, einen Köcher ist der Bruder der Königin heute morgen hier? Fürst Elladan?“ „Nein. Er hat den Befehl für die Männer seiner Kompanie hinterlassen, für eine Musterung am Mittag, auf den Übungsfeld.“ Der Ton des Soldaten war höflich genug, aber der Blick, den er Canohando zuwarf, war feindselig. Er machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf zum Rasthaus hinüber, ohne einen weiteren Kommentar abzugeben. Der Waffenmeister brachte dem Ork einen Bogen nach dem anderen, und Canohando bog sie zwischen den Händen, spannte sie und versuchte den Zug; er schüttelte den Kopf und pfiff durch die Zähne. „Die sind alle zu schwer, Mann,“ sagte er endlich. „Habt ihr irgendwelche, die von Elben gemacht worden sind?“ Die Bitte schien den Meister zu überraschen, aber er öffnete einen anderen Schrank und brachte ein Gestell mit Bögen zum Vorschein, länger als die anderen, aus einem silbergetönten Holz mit weicher Patina geschnitzt. „Die sind zu lang für dich,“ sagte er abwehrend, aber Canohando untersuchte sie ebenso wie die anderen. Er ließ seine Hände darüber hin gleiten und schaute wesentlich zufriedener drein. „Das kann ich nachbessern,“ sagte er. „Ich würde mir einen eigenen machen, aber dafür ist keine Zeit. Dieser hier wird es tun; er fühlt sich gut an. Lass mich deine Pfeile sehen.“ Aber die Pfeile gefielen ihm ganz und gar nicht; er runzelte die Stirn und seufzte verärgert. „Hast du ein paar Schäfte, die noch nicht zugeschnitten sind? Ja, die da gehen. Dann gib mir Spitzen und Federn; ich werde die Pfeile selbst befiedern. Ihr macht eure zu kurz.“ Der Mann betrachtete ihn kalt. „Wir haben den Krieg gewonnen, Ork.“ „Hol mir einen Köcher, Mann, den längsten, den du hast; meine Pfeile werden zwei Handspannen länger sein als die, die ihr benutzt. Ja, ihr habt den Krieg gewonnen, aber nicht deshalb, weil ihr die besseren Bogenschützen gewesen seid. Es war Neunfinger, der ihn für euch gewonnen hat.“ Der Mann schäumte vor Widerwillen und presste die Lippen fest aufeinander; er stieß dem Ork einen Köcher entgegen und Canohando nahm ihn, aber er wandte sich nicht ab. Er stand reglos da, bis der Mann ihm ins Gesicht blickte und sich fragte, was der Ork wohl sonst noch von ihm wollte. „Es tut mir nicht Leid, dass ihr gesiegt habt, Mann von Gondor; ihr solltet nur nicht vergessen, wie es geschah!“ Er ging mit seinen neuen Waffen hinaus und setzte sich an die Mauer eines Gebäudes am Rand des Übungsfeldes. Er begann damit, Spitzen auf seinen Pfeilen anzubringen und ignorierte dabei die Soldaten, die in kleinen Grüppchen auf dem Feld versammelt waren; sie übten sich im Schwertkampf, rangen miteinander oder lungerten einfach herum. Als er ein paar Pfeile fertig hatte, wandte er sich dem Bogen zu. Er nahm sein Messer und schnitt beide Enden ab; dann stand er auf, um an sich selbst Maß zu nehmen und kürzte ihn noch ein wenig mehr. Er schrägte die rauen Enden und glättete sie mit dem Rücken seiner Messerklinge. Dann schnitzte er frische Kerben in den Bogen und bespannte ihn endlich neu. Er sammelte seine Habseligkeiten ein und machte sich auf die Suche nach einem Platz, um ihn auszuprobieren. Entlang der einen Seite des Feldes gab es einen Erdwall mit einer Reihe Zielscheiben; er lächelte grimmig, als er bemerkte, dass dort neben den üblichen Scheiben auch eine ganze Anzahl Figuren stand, die so gebaut waren, dass sie Orks ähnlich sahen. Sägemehl rieselte aus vielen Löchern in ihrer Lederhülle. Mit voller Absicht nahm er vor einer von ihnen Aufstellung; aus dem Augenwinkel registrierte er, dass mehrere der Männer ihn beobachteten. Er schoss einen Pfeil durch das aufgemalte Auge der Lederattrappe und ging hin, um ihn zurück zu holen. „Wieso gehste nicht und schießt auf 'nen richtigen Ork, Grauhaut, damit die Welt ein bisschen sauberer wird?“ Der Sprecher war ein blonder Riese, dem ein schwerer Bogen auf dem Rücken hing; bei ihm waren zwei andere Soldaten, nicht viel kleiner als er selbst. Sie grinsten über den Witz ihres Kameraden, aber die Augen, mit denen sie Canohando anstarrten, waren voller Bosheit. „Bist du ein Bogenschütze im Heer des Königs?“ fragte Canohando. Der Blonde hielt seinen Bogen hoch. „Und ich hab den Bogen eines Mannes, nicht so ein kleines Stummelding wie deinen! Bist du der Kümmerling im Wurf gewesen? Ich höre immer, Orks wären noch zur Hälfte größer als Menschen!“ Seine Schultern und sein Kopf überragten Canohando, und er griente verächtlich auf ihn herab. Canohando kämpfte gegen die Versuchung an, zu lachen. Hier ist einer, der an dem Tag, an dem ich kam, nicht in der Halle war, dachte er, und seine Kumpane auch nicht, sonst würden sie ihn weg zerren, ehe Grauhaut ihn mit seiner eigenen Bogensehne erdrosselt! Und ich trage jetzt ein Schwert! Wie haben solche Hohlköpfe den Krieg gewonnen? Aber die Antwort auf diese Frage kannte er. „Ich werde gegen dich antreten, Mann,“ sagte er laut. „Wähl dein Ziel.“ Der Riese lachte schallend. Er spannte seinen Bogen und schoss der Attrappe einen Pfeil in die Brust. „Spleiß den Pfeil, wenn du dich einen Bogenschützen nennst,“ grölte er. „Bring deinen Bruder gleich zweimal um!“ Schlagartig verlor Canohando den Drang zu lachen. „Ich töte meine Brüder nicht,“ sagte er. „Nimm du dir das zum Ziel, Mann, und ich finde ein anderes.“ Er würde vielleicht auf der Reise nach Lórien Orks töten müssen, aber sie waren nicht seine Brüder. Oder waren sie es doch? Der blonde Soldat schoss; er spleißte den Pfeil säuberlich und rief bei der Ledergestalt einen kleinen Strom aus Sägemehl hervor. Seine Freunde klopften ihm auf den Rücken und buhten Canohando aus. „Also gut, Grauhaut, du bist dran! Was ist dein Ziel?“ Der Ork schaute hinauf in den Himmel. „Da,“ sagte er und zeigte nach oben. „Was? Wo denn? Dann wirst du wohl eine Wolke treffen, oder wie?“ Die Soldaten waren in ihrer Verachtung laut und ungehobelt; sie lehnten sich gegeneinander, als könnten sie vor lauter Vergnügen kaum aufrecht stehen. Inzwischen hatte sich eine kleine Volksmenge versammelt und schaute zu; ganz vorne stand ein Junge - Miko? Canohando fasste das Ziel an seinem Arm entlang ins Auge und schoss in weitem Bogen gen Himmel. Die Zuschauer reckten die Hälse, um den Flug seines Pfeiles gegen die Helligkeit der Sonne zu verfolgen. Plötzlich fiel ihnen ein Wildvogel vor die Füße, den Pfeil in der Brust. Miko machte einen Satz nach vorne, um ihn von der Erde aufzuheben, und hielt ihn über den Kopf. „Canohando gewinnt! Ich konnte ihn da oben noch nicht einmal sehen können alle Orks so schießen? Wirst du mir beibringen, wie das geht? Mir ist gleich, was meine Mutter sagt, ich will auch so schießen!“ Canohando lächelte über die Aufregung des Kindes, aber der blonde Soldat, gegen den er angetreten war, blickte finster drein. „Wer hat dich durch das Tor gelassen, Bursche? Das hier ist ein Übungsfeld für Soldaten, kein Spielplatz für rotznasige Gören.“ Er streckte die Hand aus, als wollte er Miko packen, und graue Finger schlossen sich um sein Handgelenk. „Kämpfen die Soldaten in Gondor gegen Kinder? Ich habe das bei meiner eigenen Art gesehen, aber ich dachte immer, die Menschen wüssten es besser.“ Er presste den Arm des Mannes nach hinten gegen seine Brust; die Muskeln des Blonden spannten sich an, als er vergebens versuchte, sich zu wehren. Canohando stieß ihn rückwärts gegen seine Kameraden und starrte sie mit schwarzen Augen an, die durch ihre flache Ruhe umso verstörender waren. „Du bist kein schlechter Bogenschütze, aber ich würde dich nicht in meiner Kompanie haben wollen; ein Feigling auf der Suche nach leichter Beute. Mach, dass du hier wegkommst und geh dich mit denen prügeln, die ein bisschen näher an deiner Größe sind.“ Der Ork drehte sich leicht zur Seite, änderte seinen Stand und stieß scharf mit dem Unterarm nach vorne; der Mann fiel schwer nach hinten und riss seine Freunde beinahe mit sich zu Boden. Sie fingen ihn auf, wahrten unter Mühe das Gleichgewicht und stolperten ein paar Schritte rückwärts. Canohando stand da und sah zu: er war für den Fall bereit, dass sie sich auf ihn stürzten, aber sie murmelten lediglich Verwünschungen vor sich hin und machten sich davon. „Da hast du dir ein paar Feinde gemacht,“ sagte eine Stimme hinter seinem Rücken. „Aber das hat kaum etwas zu bedeuten, nehme ich an; die meisten der Männer zählen sich ohnehin zu deinen Feinden, ohne wenigstens diese Entschuldigung zu haben.“ Canohando blickte sich um und stellte fest, dass Elladan hinter ihm herangekommen war. Der Elbenfürst blickte belustigt drein. „Du machst dir kaum die Mühe, diplomatisch zu sein, oder? Was, wenn er einer aus der Kompanie gewesen wäre, die der König für dich ausgewählt hat?“ „Dann hätte ich ihn hinausgeworfen.“ Der Ork wandte sich an Miko. „Nimm diesen Vogel zu deinem Großvater mit und sag ihm, er soll ihn für die Königin braten das Fleisch wird süß sein, so wenig es auch ist. Und heb die Flugfedern für mich auf; das Geschöpf soll nicht umsonst gestorben sein.“ Er legte Miko für einen Moment die Hand auf die Schulter, ehe der Junge davonrannte, um zu tun, wie ihm geheißen. „Willst du mir damit sagen, dass dieser Narr einer aus unserer Kompanie war?“ sagte er zu Elladan. „Wohl kaum! Der König kennt seine Männer du wirst bei den Soldaten, die er für dich ausgewählt hat, keinen Grund zur Klage haben.“ Canohando lockerte seinen Bogen, hakte ihn am Köcher ein und hängte sich beides auf den Rücken. „Für uns, Bruder der Königin, nicht für mich allein. Wir teilen uns dieses Kommando, so wie wir uns die Aufgabe teilen, sie sicher nach Lórien zu bringen. Und ich habe noch nie zuvor Menschen geführt.“ Die von Elessar handverlesenen Soldaten fingen an, sich in der Mitte des Paradeplatzes zu sammeln. Sie gingen auf und ab und unterhielten sich miteinander, während Elladan und Canohando abseits standen. „Wie viele?“ fragte der Ork. „Zweihundertvierzig: eine Gondor-Kompanie, und jeder von ihnen hat wenigstens bei einem Kriegszug mitgekämpft.“ „Gegen Menschen oder Orks?“ Elladan hob eine Augenbraue. „Größtenteils Menschen. Was von den Orks noch übrig ist, lebt hauptsächlich im Norden.“ „Aber du hast gegen Orks gekämpft.“ „Viele Male,“ sagte Elladan gedehnt. „Dann weißt du, dass Orks nicht auf die selbe Weise kämpfen wie Menschen, Bruder der Königin. Wir werden unsere Soldaten ausbilden müssen; wenn wir auf dieser Reise Feinden begegnen, dann sind es höchstwahrscheinlich Orks.“ Elladan nickte nüchtern und ging ihm voraus nach vorn. „Männer der Kompanie der Königin!“ rief er, und die Soldaten stellten sich rasch in geraden Reihen auf. Er wartete, bis sie still waren, ehe er fortfuhr. „Ihr seid vom König für eine besondere Aufgabe auserwählt worden, auf Geheiß von Königin Arwen, meiner Schwester. Ich bin euer Hauptmann.“ Es gab vereinzelte Hochrufe, und er hielt eine Hand hoch, um für Ruhe zu sorgen. „Ich habe in dieser Kompanie einen vorgesetzten Kommandanten, auf Befehl des Königs,“ sagte er, und plötzlich herrschte Schweigen. „Ich präsentiere euch euren Befehlshaber, Canohando den Ork!“ Stille sank herab, als hätte sich jeder Mann auf dem Feld in Stein verwandelt. Nur ihre Augen bewegten sich, von Elladan zu dem Ork, und ihre Gesichter waren schlaff vor Unglauben. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und hielt den Blick eines Mannes minutenlang fest, bevor er seinen Weg fortsetzte; ein paar Mal streckte er die Hand aus und berührte einen Arm oder eine Schulter. Elladan beobachtete ihn und begriff, dass dies die Männer waren, die am zornigsten oder am fassungslosesten dreinschauten; nachdem Canohando sie passiert hatte, wirkten sie verwirrt, als wären ihre Vermutungen auf die Probe gestellt worden und sie wüssten nicht länger, was sie glauben sollten. Endlich war der Ork fertig; er hatte jedem Mann der Kompanie in die Augen gesehen. Es war so still, dass sie den Lärm von den Straßen vor dem Übungsgrund der Soldaten hören konnten; Kinder schrien bei irgend einem Spiel und ein Brotverkäufer pries seine heiße Ware an. Canohando stand wieder neben Elladan und dachte über die Männer unter seinem Befehl nach. „Mein Name ist Canohando,“ sagte er endlich. Seine Stimme war heiser, nicht voll und klingend wie die von Elladan, aber sie trug. „Ich wurde nicht mit diesem Namen geboren, und auch nicht dazu, dem König von Gondor zu dienen. Der Name wurde mir von dem Braunen Zauberer gegeben, als er nach dem Krieg nach Mordor kam. Ich kenne die Sprache der Elben nicht, aber er sagte mir, dass mein Name „Weiser Anführer“ bedeutet. Ich will versuchen, genau das für diese Kompanie zu sein.“ „Ich habe noch einen anderen Namen, den mir euer König gegeben hat. Ich bin der Schatten der Königin, und ich habe den Schwur getan, sie mit meinem Leben zu schützen. Jeder von euch wird den selben Schwur tun, oder er wird nicht Teil dieser Kompanie sein. Ich übergebe euch jetzt eurem Hauptmann, denn ihr werdet für diese Mission eine besondere Ausbildung brauchen. Aber jeder von euch muss selbst zu mir kommen und bis zum morgigen Abend euren Schwur vor meinen Ohren leisten. Ich bin dort drüben und mache meine Pfeile fertig.“ Er zeigte auf die Stelle an der Mauer, wo er zuvor gesessen hatte, sagte leise etwas zu Elladan und wandte sich ab. Unter ihren Augen ging er quer über das Feld und ließ sich wieder an der Mauer nieder; er nahm einen Pfeil und fing an, daran zu arbeiten. „So etwas habe ich noch nie gesehen,“ sagte Elladan seinem Bruder später. „Ich habe schon früher Orkhauptmänner gesehen; ihr Gefolge hat entsetzliche Angst vor ihnen, und diese Hauptmänner sind schnell damit bei der Hand, ihre eigenen Leute umzubringen, als wären sie der Feind, für den kleinsten Ungehorsam! Ich hatte erwartet, dass er versuchen würde, sie einzuschüchtern, aber alles, was er tat, war, ihnen in die Augen zu sehen und von ihnen den Schwur zur Verteidigung der Königin zu verlangen.“ „Haben sie geschworen?“ Elladan nippte an seinem Wein. „Das haben sie tatsächlich. Sie traten aus ihren Reihen, einer nach dem anderen, und gingen zu ihm hinüber. Er ist noch nicht einmal aufgestanden; er saß einfach da auf dem Boden und schnitzte seine Pfeile wie irgend ein Pfeilmacher, aber während sie vor ihm schworen, beobachtete er ihre Gesichter. Ich glaube, dass fast die gesamte Kompanie ihren Eid bereits geleistet hatte, noch ehe wir das Übungsfeld verlassen hatten... und das, obwohl er ihnen Zeit bis morgen gegeben hat. Es war das merkwürdigste Benehmen, das ich je bei einem Anführer von Menschen zu Gesicht bekommen habe.“ „Was denkst du, werden sie ihm folgen? Obwohl nachdem du der Hauptmann bist, vermute ich, dass es keine Rolle spielt; dir werden sie ganz sicher folgen!“ „Ja, sicher,“ sagte Elladan. Er starrte in seinen Wein, dann leerte er sein Glas in einem Zug. „Ich denke, nach heute würden sie ihm sogar dann folgen, wenn ich nicht da wäre, die meisten jedenfalls. Da ist irgendetwas an der Art, wie er einen anschaut...“ Die folgenden Wochen waren damit ausgefüllt, die Soldaten darin zu trainieren, wie man Orks bekämpfte. Canohando verbrachte Stunden mit den Bogenschützen und schoss abwechselnd gemeinsam mit ihnen. „Zielt in die Höhe,“ sagte er ihnen, „Die Augen oder die Kehle. Eine Orkrüstung werdet ihr nicht leicht durchbohren; so verschwendet ihr eure Pfeile. Ihr müsst mit einem einzigen Schuss töten oder kampfunfähig machen, denn einen zweiten Schuss werdet ihr nicht bekommen.“ Aber er lehrte sie auch, wie sie einen Schwerthieb mit ihren Bögen abwehren konnten, und den Trick, wie man einem Feind die Waffe entwand, um sie gegen ihn zu verwenden. Mittlerweile arbeitete Elladan mit dem Rest der Männer, ließ eine Hälfte von ihnen die Rolle von Orks übernehmen und einen Überfall auf die anderen vortäuschen; er benutzte Taktiken, die er Orkhauptmänner in der Schlacht hatte anwenden sehen. Sie trainierten morgens und nachmittags, Tag für Tag, und Soldaten, die kein Teil der Kompanie der Königin waren, kamen und schauten vom Rand des Übungsfeldes aus zu. „Wozu ist das alles gut?“ fragten sie die Männer der Kompanie, aber niemand wusste es. Sie rannten und schossen und hackten mit stumpfen Übungsklingen aufeinander ein, bis ihnen der Schweiß unter der Rüstung den Rücken hinunter rann, sogar in der Kälte des ausklingenden Winters.. aber niemand konnte sagen, für welche Schlacht sie trainierten, abgesehen davon, das sie gegen Orks kämpfen würden, und dass ein Ork sie anführte. Dann schloss sich Elessar eines Nachts lange Zeit mit Eldarion und den Brüdern der Königin ein, und als sie nach diesem Treffen wieder herauskamen, rief er Canohando zu sich. „In drei Tagen wird es eine feierliche Ratsversammlung für die Führer des Königreiches geben, um den kommenden Übergang der Macht auf meinen Sohn anzukündigen. Die Königin wünscht nicht, dabei anwesend zu sein, aber ich will dich dort haben, Canohando.“ Canohando zog die Augenbrauen zusammen. „Wird sie allein sein, Herr?“ „Nein, Gimli und Legolas werden ihr Gesellschaft leisten. Sie sind beachtliche Krieger und alte Freunde; trotzdem, wenn du möchtest, kannst du fünf oder sechs Männer von deiner Kompanie schicken, um die Wache an der Tür zu verstärken. Ich denke nicht, dass das nötig sein wird.“ „Trotzdem, Herr, ich werde sie dorthin bringen. Unsere Männer sind darauf eingeschworen, sie zu verteidigen, ebenso wie ich selbst.“ Elessar lächelte. „Das habe ich schon von Elladan gehört. Radagast hat dir einen guten Namen gegeben, glaube ich.“ Der Tag der Ratsversammlung dämmerte regnerisch und kalt; Canohando warf sich den schwarzen Umhang seiner Uniform über die Schultern, ehe er zum Frühstück in die Küchen ging. Er war nicht mehr dort gewesen, seit er angefangen hatte, die Kompanie zu trainieren; er nahm die Mahlzeiten lieber in der Messe der Soldaten ein und saß am selben Tisch wie seine Männer, anstatt gemütlich auf dem Boden zu hocken. In den Küchen hieß Joram ihn mit Wärme willkommen. „In den letzten Wochen habe ich von Miko nichts anderes zu hören bekommen als die aufregenden Ereignisse vom Übungsfeld, und dass du und Fürst Elladan deine Soldaten trainierst. Was für eine Mission hat man euch denn anvertraut, dass ihr sie darauf vorbereitet, gegen Orks zu kämpfen?“ Canohando nahm sein Essen und ließ sich in seiner üblichen Ecke nieder. „Wart noch ein bisschen länger, Mann. Ich denke, der König wird es heute in der Ratsversammlung verkünden.“ Joram zapfte einen Krug für den Ork und einen für sich selbst, dann setzte er sich auf eine Bank. „Miko hat die Bogenschützen beobachtet; er hätte gern, dass du ihn schießen siehst, wenn Zeit dafür ist.“ „Sag ihm, er soll seinen Bogen auf das Übungsfeld bringen; ich werde mir Zeit für ihn nehmen. Seine Mutter hat nichts dagegen, dass er dort ist?“ „Es gefällt ihr nicht, aber er hat Onkel und Vettern im Heer. Er ging sie von Zeit zu Zeit besuchen nicht täglich wie er es jetzt tut! Um die Wahrheit zu sagen, ich bin froh, dass er seine Tage dort verbringt.“ Canohando aß und dachte über Jorams Worte nach. „Du solltest seine Erziehung besser selbst in die Hand nehmen, Mann,“ sagte er endlich. „Wenn wir auf unsere Mission gehen, dann wird er wieder durch die Gegend stromern.“ Er hatte bemerkt, dass sich das Kind auf dem Übungsfeld herum trieb, aber er war zu beschäftigt gewesen, um mehr als ein Wort oder ein Lächeln im Vorübergehen für ihn übrig zu haben. Aber ich werde ihm beim Schießen zusehen, versprach er sich. ***** Die Ratsversammlung wurde im Thronsaal abgehalten, denn es war eine größere Anzahl Männer anwesend, aber an diesem Tag gab es keine Musik, und auch keinen Schwarm Hofdamen, um der Szene etwas Helligkeit zu verleihen. Die Fenster blickten hinaus auf eine melancholische Landschaft, kalter Regen prasselte auf die Fenstersimse und drinnen war der Raum grau und klamm. Canohando war angewiesen worden, vorne bei den Höflingen zu stehen, und er lehnte sich gegen eine Säule, den Umhang eng um sich gezogen; mit den anderen gemeinsam wartete er auf den König. Endlich kam Elessar, flankiert von Eldarion und den Brüdern der Königin. Er kam rasch nach vorne, ohne sich damit aufzuhalten, irgend jemanden zu grüßen, obwohl er im Gehen dem einen oder anderen zunickte. Er bestieg das Podest, wandte sich um und sah sie an. „Männer von Gondor,“ sagte er, aber dann hielt er einen Moment inne und schaute sich in der Halle um, als würde er sich den Anblick einprägen, bevor er zu einer Reise aufbrach. Endlich begann er erneut. „Männer von Gondor, hundertzwanzig Jahre hindurch habe ich in Minas Tirith geherrscht, und nur eine Handvoll von euch kann sich an den Tag meiner Krönung erinnern, denn es sind nur noch wenige der Nachkommen von Númenor übrig geblieben. Die meisten von euch waren noch nicht geboren, als das Königtum nach Gondor zurückkehrte. Nichtsdestotrotz hat es viele Könige gegeben, wie ihr an den Bildnissen sehen könnt, die ihnen zu Ehren in dieser Halle aufgestellt wurden.“ „Niemand darf auf ewig hier auf Erden leben, nicht einmal die Rasse von Númenor, und die Zeit naht rasch heran, da Gondor einen neuen König haben wird.“ Eine raschelnde Unruhe wehte durch die Halle, als würden die Anwesenden einstimmig Atem holen. Elessar wartete, bis der Raum wieder still war, ehe er fortfuhr. „Nach unserem Brauch geht die Krone auf meinen Sohn Eldarion über, und er steht hier vor euch.“ Er streckte die Hand aus und Eldarion trat vor, allein am Fuße des Podestes. „Dies ist der Prinz, der binnen einer Woche unser König sein wird.“ Wieder regte sich Unruhe im Raum, und er wartete. „Er ist der in Wahrheit geborene Erbe des Thrones von Gondor, aus der Linie von Valandil, dem Sohn von Elendil aus Númenor, von Kindheit an darauf vorbereitet, dieses Amt inne zu haben, erprobt in der Schlacht und erfahren darin, das Nördliche Königreich in meinem Namen zu verwalten.“ „Männer von Gondor, soll mein Sohn Eldarion die Krone erben? Werdet ihr ihm hier in meiner Gegenwart die Treue schwören, auf dass das Königreich in Frieden und Harmonie fort besteht, sicher innen wie außen, wenn ich mich zur Ruhe gelegt habe?“ In der Halle herrschte Schweigen, so tief, dass nichts zu hören war als das Geräusch der Regentropfen, die auf die Simse prallten. Eldarion stand wie eine Marmorstatue am Fuße des Podestes, und Elessar stand oben, und blickte den führenden Männer von Gondor, die ihm am nächsten standen, einen nach dem anderen ins Gesicht. Endlich erklang die Stimme des Königs, ein Donnerschlag, der sie allesamt wach rüttelte. „Antwortet mir! Was sagt ihr?“ „Ja!“ schrie einer der Männer, und andere nahmen den Schrei auf, bis die Halle davon dröhnte. Sie stampften mit den Füßen und taten laut ihre Zustimmung kund, und ihre Stimmen kamen als Echo von den Wänden zurück. Und einer nach dem anderen beugten sie das Knie, bis nicht ein Mann mehr im Raum aufrecht stand, abgesehen von dem König und Eldarion. Canohando kniete mitten unter ihnen, sein Herz erhoben, obwohl er nicht wusste, von was, und gemeinsam mit den Männern von Gondor schwor er Eldarion, der König sein würde, Treue und lebenslange Gefolgschaft.
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