![]() Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Neun Eldarion traf am nächsten Morgen ein. Seine Eltern begrüßten ihn mit Wärme, und in Arwens Fall mit Tränen, die in ihren Wimpern zitterten. Er lächelte und tupfte sie mit dem Ende ihres Schales weg; er tat sie als einen mütterlichen Überschwang von Zärtlichkeit ab. Dann entführte ihn der König und verbrachte den Tag mit ihm in einer Konferenz hinter verschlossenen Türen, nur sie beide allein; von dem, was sie zueinander sagten, sprach keiner von beiden jemals zu jemand anderem ein Wort. Irgendetwas musste allerdings auch über Canohando gesagt worden sein, denn als Eldarion ihn an diesem Abend im Speisezimmer traf, während er hinter dem Stuhl der Königin Wache stand, begegnete der Prinz den Augen des Orks mit einem leichten Lächeln und einem Kopfnicken; anscheinend traf díe Ordnung der Dinge auf seine Zustimmung. Zwei Tage später war dies nicht der Fall, als Elladan und Elrohir den Ork in Arwens Gegenwart vorfanden. Sie saß mit ihren Damen am Brunnen im Vorhof des Weißen Baumes. Eine der Damen sang und spielte auf der Laute, und einige andere stichelten an ihren Handarbeiten herum, wie es bei ihnen üblich war, aber Arwen selbst saß müßig da und zog ihre Hand lustlos durch das Wasser. Es waren keine Wachen zu sehen, denn tagsüber waren sie auf der anderen Seite des Tores stationiert, aber Canohando war der Schatten der Königin, und er stand ein kleines Stück weit entfernt; er lehnte wie beiläufig an der Wand und seine unsoldatische Haltung maskierte seine Wachsamkeit. Er hatte sein Haar in eine Unzahl kleiner Zöpfe geflochten, die über seine Wangen und seine Stirn hinab hingen, und selbst in der Tracht der Wache sah er wild und ungehobelt aus. Plötzlich öffnete sich das Tor, und Elronds Söhne platzten in den Vorhof; in ihrem Eifer hasteten sie dem Diener voraus, der kam, um sie anzukündigen. Canohando machte vier rasche Schritte von dort, wo er lässig herumgestanden war und pflanzte sich zwischen Arwen und den Zwillingen auf, das Schwert gezückt. Die Hofdame, die gesungen hatte, kreischte und ließ ihre Laute fallen, und Arwen wirbelte herum, um zu sehen, was sie erschreckt hatte. „Elladan!“ rief sie. „Canohando, halt! Sie sind keine Gefahr; es sind meine Brüder!“ Sie warf sich in Elladans Arme, bekam Elrohirs Hand zu fassen und zog ihn mit in die Umarmung hinein; Canohando ließ sein Schwert wieder in die Scheide gleiten und ging zurück, um sich unbesorgt wieder an die Wand zu lehnen. Er war bereit gewesen, die Königin zu verteidigen, aber sie war nicht in Gefahr. „Was soll das, Arwen?“ rief Elrohir aus und befreite sich aus ihrer Umarmung. „Gehen die Menschen in Gondor aus, dass du einen Knecht Saurons in Schwarz und Silber kleidest? Der feine Putz passt nicht zu seinem rüpelhaften Auftreten, Schwester!“ Seine auf den Ork gerichteten Augen waren voller Abscheu, und Elladan fügte hinzu: „Wie kommt es, dass der König dies zulässt, Arwen Undómiel?“ Die Königin stand sehr gerade, und tatsächlich war sie nicht mehr als eine Handspanne kleiner als die beiden, so hochgewachsen und gebieterisch sie auch aussahen. „Der König lässt es zu, und er hat diesen Ork meinem Dienst zu geschworen, nicht dem von Sauron! Dies ist Canohando, der in Mordor dem Ringträger begegnete und sich von der Finsternis abwandte. Frodo gab ihm den Juwel, den er um den Hals trägt, und ich habe das Geschenk bestätigt.“ Ein schalkhaftes Lächeln blitzte in ihrem strengen Gesicht auf, wie die Sonne hinter Sturmgewölk. „Estel befahl ihm, mein Schatten zu sein, und ich hatte nie davon gehört, dass Schatten für militärische Haltung bekannt wären! Aber er ist sehr treu, und, wie ihr gesehen habt, sehr schnell.“ Elladans Augenbrauen zogen sich zusammen; er hatte sich eindeutig nicht mit dem neuen Leibwächter seiner Schwester ausgesöhnt. „Und wenn du ihn nicht zurückgerufen hättest, was dann? Kann dein Schatten Freund von Feind unterscheiden?“ „Du hast ihn aufgeschreckt, Elladan, und er kennt dich nicht.“ Die Geschichte von der Wache, die im Thronsaal getötet worden war, wollte sie ihnen lieber nicht erzählen, und sie fragte sich mit Unbehagen, was wohl passiert wäre, wenn sie den Ork nicht aufgehalten hätte. Sie und Canohando würden sich in Ruhe unterhalten, bevor dieser Tag zu Ende ging... „Ich denke, wir werden mit Estel darüber sprechen, Schwester,“ sagte Elrohir. „Aber jetzt werden wir dich erst einmal allein lassen und uns den Staub der Straße abwaschen.“ Sie lächelte. „Ich werde euch begleiten. Ich bin wirklich froh, euch willkommen zu heißen, meine Brüder.“ Aber sie bemerkten eine Trauer in ihren Augen, die nicht zu ihrem Lächeln passte, und als Arwen zwischen sie trat und ihre Arme nahm, um mit ihnen in den Palast zu gehen, da war keiner von beiden erfreut, zu sehen, dass Canohando sich von der Wand löste und ihnen folgte. ***** „Ich habe ihn ihr zu ihrer Sicherheit geschenkt, und ich habe mehr Vertrauen in diesen Ork als in zwanzig Wachleute.“ Die Zwillinge hatten keine Zeit verloren, ihre Besorgnis vor den König zu bringen, aber er schien wenig geneigt, ihnen Gehör zu schenken. Er schreckte auch nicht davor zurück, ihnen die ganze Geschichte zu erzählen, und von ihm erfuhren sie von dem Mann, der in der Großen Halle getötet worden war, und auf welche Weise Canohando für diesen Tod Wiedergutmachung leistete. „Du hättest ihn lieber über den Stadttoren aufhängen sollen,“ sagte Elrohir zornig. „Haben wir drei nicht vom Westen bis in den Osten gegen Orks gekämpft, über der Erde und darunter, seit du alt genug warst, um ein Schwert zu tragen? Was ist mit Celebrían, unserer Herrin und Mutter würde sie es dulden, dass ihre Tochter von einem Ork bewacht wird?“ Der König seufzte. „Setz dich, Elrohir, und kühl deine Hitze mit etwas geeistem Wein. Canohando ist nicht wie irgend ein Ork, dem ihr je begegnet seid, und ich auch nicht. Er ist Frodos Ork, durch Blutpakt und Freundschaft mit dem Ringträger verbunden. Ihr habt gehört, dass Radagast der Braune Frodo mit nach Mordor zurück nahm, nach dem Krieg?“ Elrohir akzeptierte ein Glas Wein und reichte eines an seinen Bruder weiter. „Wir haben Gerüchte gehört, aber ich schenkte ihnen keinen Glauben. Nicht, dass der Vogelzähmer einen solchen Wahnwitz nicht wagen würde, aber dass der Hobbit mit ihm ging -- Ist Frodo nicht vor vielen Jahren in seinem eigenen Land gestorben?“ Elessar nickte. „Das ist er. Aber in den sechzig Jahren zuvor ist er mit Radagast durch das Schwarze Land gezogen, und die Berichte, die ich seither aus Mordor erhalten habe, sagen, es sei nicht länger verwüstet. Das Leben ist dorthin zurückgekehrt, dank den Mühen des Braunen Zauberers, und auch ein paar Orks wurden erlöst. Das war Frodos Tat. Schaut her, meine Brüder!“ Er beugte sich vor und sah ihnen in die Augen; er war angespannt. „ Meine Zeit neigt sich dem Ende zu, und Arwen wird eine Wahl treffen müssen, oder mehr als eine. Wenn sie zu den Anfurten geht, dann ist es eine lange Reise, und nicht jegliche Gefahr ist aus Mittelerde verschwunden, selbst jetzt noch. Wenn sie sich an Lúthiens Wahl hält, mag sie noch Jahre bleiben, und ich würde sie keiner offenen Gefahr aussetzen. Ihr beide werdet sie mit ihrem Leben schützen, das weiß ich, aber hier ist auch Canohando, bereit, für seine Herrin des Juwels zu sterben, und ein gefürchteter Krieger. Würdet ihr sie seiner Dienste berauben, weil Celebrían unter den Händen von Orks gelitten hat? Canohando ist nie am Rothornpass gewesen!“ Sie saßen schweigend da, und Elladan goss seinen Wein in einem Zug hinunter und stand auf, um sein Glas nachzufüllen. Endlich sagte Elrohir: „Du sagst, dass dir das Schicksal der Menschen bevorsteht, Estel, und dass du bald gehen musst? Das war es, worum es in deiner Botschaft nach Bruchtal ging.“ Der König neigte den Kopf. „Eldarion ist bereit für das Königtum, und ich verlasse mich auf Euch, die ihr gleich zweimal seine Onkel seid, dass ihr ihn unterstützt und ihn beratet. Aber was, wenn ihr das tut, und Arwen sich entscheidet, nicht in Minas Tirith zu bleiben? Sie könnte den Wunsch haben, nach Bruchtal zurückzukehren, denke ich, oder vielleicht nach Lothlórien...“ Elladans Stimme war schwer, „Lothlórien vergeht im Nebel, Estel, Die Mallorns sterben ohne Galadriel, und bevor noch viel mehr Jahre verstrichen sind, wird es nicht anders sein als irgend ein anderes Land. Und selbst Bruchtal ist dieser Tage mehr Erinnerung als Substanz. Es ist in der Tat das Zeitalter der Herrschaft der Menschen.“ Ein langes Schweigen folgte. „Ach, dass der Fall von Sauron den Fall von so vielem nach sich ziehen soll, das lieblich war und gut,“ sagte der König endlich. „Meine Brüder, auch ihr habt eine Wahl zu treffen, und die Zeit vergeht rasch. Werdet ihr über das Meer gehen? Denn ich spüre, dass es nun nicht mehr lange dauert, bis das letzte Schiff absegelt.“ Die Augen der Zwilinge trafen sich über dem Tisch und hielten einander fest, und der König sah, dass sie in dieser Sache nicht einen Geistes waren; und doch würde keiner von beiden dulden, dass der andere ein anderes Schicksal wählte als er selbst. „Ihr habt eigene Sorgen, meine Freunde,“ sagte er. „Gestattet mir, eurer Schwester einen Leibwächter zur Verfügung zu stellen, der keinen andere Gedanken hat, als sie zu beschützen.“
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