![]() Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Acht Die Königin wandelte im Garten unter den Sternen. Während des ersten Jahres ihrer Ehe war ihre Angewohnheit, miten in der Nacht aufzustehen und draußen im Sternenlicht spazieren zu gehen, ein kleiner Zankapfel gewesen zwischen Arwen und Elessar. „Es ziemt sich nicht,“ hatte er protestiert, und als sie darauf mit einem belustigten Heben ihrer lieblichen Augenbraue antwortete: „Es ist nicht sicher, Geliebte!“ „Ich bin in einem ummauerten Garten mitten in der Veste des Königs,“ hatte sie entgegnet, „und ich bin noch immer eine Elbin, mein Geliebter, auch wenn ich Luthiens Wahl getroffen habe. Komm doch mit mir, wenn du nicht möchtest, dass ich alleine bin; und wir werden unter den Sternen tanzen, wie sie es in Lothlórien taten, als Galadriel dort den Ring von Adamant an ihrem Finger trug!“ Und in den frühen Jahren tat er es oft, oder er spazierte mit ihr Hand in Hand und beobachtete die wechselnden Muster, die auf dem Gesicht des Mondes kamen und gingen. Später dann aber gab es Krieg mit Harad, der ihn monatelang fernhielt, und andere Angelegenheiten des Königreiches ließen ihn bis spät in die Nacht hinein arbeiten und früh morgens wieder aufstehen, und er brauchte, was immer er an Schlaf bekommen konnte. Er hatte sich abgewöhnt, unter den Sternen zu wandeln. Nun befand sich das Königreich seit Jahren im Frieden, aber Elessar war älter. Manchmal wachte er auf und stellte fest, dass Arwen fehlte; er wusste, wo sie war, aber seine Glieder waren erschöpft und er schlief eher wieder ein, als dass er ihr hinaus ins Freie folgte. Das bekümmerte ihn, aber selbst noch während er darüber nachgrübelte, fielen ihm die schweren Augenlider wieder zu. Heutzutage unternahmen sie ihre gemeinsamen Spaziergänge bei Tageslicht. In dieser Nacht jedoch zwang er sich, aufzustehen; seine steifen Gelenke protestierten ein wenig, und er kleidete sich rasch im Dunkeln an. Ich habe so viel elbisches Sternenlicht versäumt, dachte er, und ich werde bald mehr Schlaf bekommen, als ich will. Er ging hinaus und wartete still auf der Bank unter der Rosenlaube, wo sie manchmal saßen, um den Mond aufgehen zu sehen. Arwen kam allein dem Pfad entlang, halb gehend, halb im Tanz; ihre Arme bewegten sich anmutig zu einer Musik, die nur sie allein hören könnte. Ihr Leib wiegte sich wie ein junger Baum im Wind, ihe Gewand wirbelte ihr um die Knöchel, und sie lief barfuß über das kurz geschorene Gras. Elessar sah sie bezaubert an; wieso hatte er sich gestattet , all dies so viele Jahre zu verschlafen? Nicht mehr, nicht länger: wieviel Zeit ihm immer auch blieb, sie würde ihn wach und unter den Sternen vorfinden, mit seiner Undómiel, nicht gleichgültig unter einer Bettdecke! Und dann sah er, dass Arwen tatsächlich nicht allein war. Weiter unten auf dem Pfad folgte ihr ein Schatten, kaum mehr als eine tiefere Dunkelheit. Er bewegte sich stetig; nicht tanzend, sondern geschmeidig und glatt, und er hielt dauerhaft Abstand zu der ahnungslosen Königin. Elessar sprang erschrocken und zornig auf und ging in Deckung; er ließ Arwen an sich vorübergehen und wartete. Als der Schatten ihn erreichte, trat er mit einer scharfen Herausforderung vor, seinen Dolch in der Hand er hatte es nicht für nötig gehalten, für einen Mondscheinspaziergang mit seiner Frau den Schwertgurt anzulegen. Der Schatten wirbelte beim Klang seiner Stimme herum. Ein Schwert fuhr klingend aus der Scheide und ebenso rasch wieder hinein. „Herr! König von Gondor!“ Canohando kniete zu seinen Füßen, und Elessar starrte verblüfft auf ihn hinunter. „Was machst du hier, Ork?“ verlangte er zu wissen. Er war mehr als entschlossen, seine Wut aufrecht zu erhalten, aber der Ork begegnete seinen Augen mit rückhaltloser Offenheit. „Ich tue, was du mir befohlen hast, Herr. Ich bin ihr Schatten, um sie zu beschützen.“ Eine leichte Hand fiel auf die Schulter des Königs herab; Arwen hatte ihre Stimmen gehört und war zurück gekommen. „Mein Geliebter! Bist du nach draußen gekommen, um mir Gesellschaft zu leisten? Und Canohando?“ Ihr Ton war überrascht. „Hältst auch du Nachtwache mit der Herrin der Sterne? Das hätte ich von Orks nicht gedacht!“ Canohando blickte verwirrt, und der König gluckste. „Nein, Liebste, er ist nicht auf der Suche nach Elbereths Gesellschaft, sondern nach deiner. Oder vielmehr sucht er, die Herrin des Juwels zu bewachen, denn ich habe ihm gesagt, er soll dein Schatten sein; ich hätte mir nicht träumen lassen, dass er sich meine Worte so sehr zu Herzen nimmt!“ Er wandte sich an den Ork; nun war er eher belustigt als zornig. „Ich werde mich jetzt um die Königin kümmern, Canohando, und du magst dich schlafen legen. Haben sie für dich einen Platz in den Unterkünften der Veste gefunden?“ „Das haben sie, Herr, aber ich konnte nicht dort schlafen; ich kann nicht aus einer solchen Entfernung über die Herrin wachen. Ich habe meine Matte auf dem Boden im Vorraum aufgeschlagen, vor ihrer Tür. Anders hätte ich nicht gewusst, dass sie hinaus gegangen ist.“ Arwen starrte von Canohando zum König und ihre Augen weiteten sich. „Eine Matte im Vorraum?“ Sie lachte leise und setzte sich unvermittelt wieder auf die Bank. „Oh mein Geliebter, was wird Florian sagen, wenn er die morgen früh dort findet?“ Elessar fing an zu grinsen, als er sich die Reaktion des pingeligen, wichtigtuerischen, kleinen Kammerherrn vorstellte, wenn er das mit Samtteppichen ausgelegte Staatsgemach betrat und dort einen Ork vorfand, in seiner Decke eingerollt auf dem Fußboden oder wie der höchstwahrscheinlich auf die Füße sprang, um einer vermuteten Bedrohung der Königin zu begegnen - Er setzte sich neben Arwen, die Hand über den Augen; seine Schultern bebten. „Ich bin versucht, alles so zu belassen, um zu sehen, was er sagen würde! Aber nein, das wäre unfreundlich. Du wirst in den Unterkünften schlafen müssen, Ork, und ihre Majestät den Tag über bewachen. Es gibt Wachen außerhalb des Vorraumes, weißt du.“ „Du hast mich schwören lassen, ihr Schatten zu sein, Herr. Ich kann mein Versprechen nicht halten, wenn ich nicht in der Nähe bin.“ „Du musst manchmal ausruhen,“ schalt Arwen ihn sanft, aber er schüttelte den Kopf. „Ich würde ruhen, Herrin, aber ich würde sofort aufwachen, wenn es nötig wird. Ein Ork schlummert nicht so tief wie ein Mensch; ich habe das bei den Südlingen erlebt, die während des Krieges nach Mordor kamen. Aber ich muss in der Nähe sein.“ Der König war drauf und dran, die Diskussion mit dem entschiedenen Befehl an Canohando zu beenden, seine Matte zu nehmen und zurück in die Unterkünfte zu gehen, aber dann dachte er noch einmal darüber nach. Ich werde nicht hier sein, dachte er, bald, allzu bald. Der Wandel kommt, und es hat schon zuvor Palastaufstände gegeben, wo Könige herrschten. Wachleute könnten bestochen oder gezwungen werden, ihre Pflicht zu vernachlässigen, aber nicht der Ork - „Ich finde dir einen Ort in der Nähe, wo du schlafen kannst,“ sagte er. „Geh jetzt zurück, Canohando, und lass mich mit meine Frau allein! Schau, dass du aus dem Vorraum verschwunden bist, bevor morgen früh der Kammerherr kommt, und morgen werde ich andere Anordnungen für dich treffen.“ Der Ork verneigte sich vor ihnen, die Faust gegen das Herz gedrückt, dann verschmolz er mit der Dunkelheit. „Wahrhaftig, mein König, das ist nicht nötig!“ rief Arwen aus. „Canohando hat sein ganzes Leben hindurch inmitten von Gefahr und Verrat gelebt, aber was sollte ich hier fürchten, in unserem eigenen Garten, im Herzen von Minas Tirith?“ Elessar seufzte und zog sie in seine Arme. „Selbst hier mag es Gefahr geben, Geliebte, wenn das Königtum in andere Hände übergeht,“ sagte er, und Arwen keuchte auf und wich zurück; sie versuchte, ihn im Mondlicht deutlich zu sehen. „Was meinst du damit?“ flüsterte sie; sie wusste genau, was er sagen würde, aber sie wollte es nicht wahrhaben. „Frau Abendstern, Schönste und Geliebteste, meine Welt vergeht.“ Er legte seine Hände um ihr Gesicht und beugte sich vor, um sie leicht auf die Lippen zu küssen. „Sieh, wir haben eingenommen, und wir haben ausgegeben, und jetzt naht die Zeit der Bezahlung.“ „Nein, oh nein! Es ist zu früh, mein Geliebter! Sicherlich haben die Númenorer doch eine Lebensspanne weit über das hinaus, was du bis jetzt wusstest. Es kann noch nicht Zeit sein, Gute Nacht zu sagen und dich zur Ruhe zu legen!“ Sie lehnte sich an ihn und vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, und sein Gewand war nass von ihren Tränen. Ihm wollten keinerlei Worte des Trostes einfallen, die er ihr sagen konnte, und er hielt sie eng an sich gedrückt, seine Wange in ihrem Haar. Endlich hob sie den Kopf. „Dir ist die Gnade geschenkt worden, nach eigenem Willen zu gehen; das hat mein Vater mir vor langer Zeit erzählt. Willst du mich denn vor deiner Zeit verlassen, und auch dein Volk, das von deinem Wort lebt?“ „Nicht vor meiner Zeit,“ sagte er; seine Stimme war heiser. „Ich besitze die Gnade, das Geschenk an den Geber zurückzugeben, anstatt dass es mir genommen wird aber nicht die Macht, es absichtlich so lange zu behalten, wie ich es wünsche. Und wenn ich nicht aus eigenem Willen gehe, dann muss ich es vielleicht bald gezwungenermaßen tun.“ Er wiegte sie in den Armen, zärtlich in seinem Kummer, und seine Küsse fielen auf ihr Gesicht nieder wie Regen. „Meine Undómiel, ich würde dich wirklich nicht aus eigenem Willen verlassen! Aber Eldarion, unser Sohn, ist durchaus reif für die Königswürde, und unsere Zeit ist fast vorüber. Bald wird die letzte Entscheidung vor dir liegen, Geliebte - zu bereuen und am Ende zu den Anfurten zu gehen, oder das Schicksal der Menschen auf dich zu nehmen.“ Doch sie gab ihm in diesem Augenblick keine Antwort...obwohl sie es Wochen später tat, als er sich im Haus der Könige zur Ruhe legte. In dieser Nacht, in der ersten Schärfe ihres Kummers, weinte sie nur untröstlich an seiner Schulter. __________________________________________________________________________ Anmerkung der Autorin: Einige der Dialogzeilen in diesem Kapitel sind direkt dem Anhang 1 von Die Rückkehr des Königs entnommen.
|