![]() Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Sieben Endlich verließen sie den Turm, nachdem Falk erklärt hatte, mit der Sicherung des Gefangenen zufrieden zu sein; Elessar hatte ohne großen Erfolg versucht, die Knoten zu lösen, die er in Arwens Schal geknüpft hatte. Endlich gab er auf und befreite die Hände des Orks mit seinem Messer. Arwen würde ihn sicherlich damit aufziehen, sobald sie allein waren. Aber ehe sie sich abwenden konnten, kniete Canohando vor ihnen nieder. „Ihr seid edel und gut, Elbenkönigin, König von Gondor. Ihr sperrt mich in dem schönsten Zimmer ein, das ich je gesehen habe, und ihr habt meine Ehrerbietung, wenn ihr die von einem Ork annehmen wollt. Eines noch würde ich gern von eurer Güte erbitten.“ „Was wünschst du?“ fragte Arwen. „Das Bündel, das ich in der Großen Halle gelassen habe es war eine Trommel darin. Sie wurde mir von einem Freund geschenkt, als er im Sterben lag, ud es macht mir Kummer, dass sie verloren gehen könnte oder zerstört wird. Wollt Ihr jemanden danach suchen lassen, Herrin? Und wenn ich tot bin, dürft Ihr sie haben, wenn Ihr wollt, um Euch an mich zu erinnern.“ Arwen langte blind nach Elessars Hand; Tränen stachen ihr in den Augen. „Ich werde jemanden danach suchen lassen, Canohando. Und ich nehme Deine Ehrerbietung mit Freuden an.“ Sie hielt ihm ihre Hand hin, und er küsste sie. Dann schaute er den König an, und ohne sicher zu sein, ob er das wollte oder nicht, hielt Elessar ihm trotzdem die Hand zum Kuss entgegen.. Danach gingen sie zum Abendessen hinunter, und es war eine sehr stille Mahlzeit. „Es ist fast so, als hätten wir Frodo wieder hier,“ sagte der König endlich. „Wie kann das sein? Sie haben sich in die Hände geschnitten und ihr Blut miteinander vermischt das tun Knaben überall, nehme ich an, im Überschwang ihrer ersten Freundschaft und irgendwie wurden sie nüchtern und wahrhaftig Brüder! Er hat Frodos Augen.“ „Sie waren keine Knaben,“ sagte Arwen. „Und sie glichen sich in etwas anderem, mein Geliebter: beide waren an die Finsternis gebunden. Canohando durch Geburt, Frodo deswegen, weil er den Ring trug... und sie beide erkämpften sich den Weg in die Freiheit. Das ist der Grund, weshalb er Frodos Augen hat: er hat die selbe Schlacht geschlagen wie Frodo, für die Freiheit seiner Seele.“ Elessar nickte langsam. „Frodo begann in Unschuld und der Ork in Verderbtheit, aber sie sind am selben Ort angekommen. Und dann haben sie sich Bruderschaft geschworen, und sie ist wirklicher als die, die man manchmal bei Söhnen der selben Mutter zu sehen bekommt.“ Er seufzte. „Ich kann Frodos Bruder nicht dafür zum Tode verurteilen, dass er sich selbst verteidigt hat, obwohl er einen meiner eigenen Männer direkt unter meiner Nase getötet hat! Was soll ich mit ihm machen?“ „Gib ihn mir.“ Er lächelte sie neckend an. „Sollte ich eifersüchtig sein, meine Süße? Was wirst du mit ihm machen?“ Arwens Lachen trällerte wie Musik. „Warst du auf Frodo eifersüchtig? Ich werde ihn mir zum Freund machen, so wie Frodo, und Canohando wird noch mehr sein, denn er wird uns mit seinem Leben beschützen. Sollte ein weiterer Wahnsinniger in unsere Halle eindringen, dann wird er keine zwei Schritte weit durch die Tür kommen, bevor der Ork ihn aufhält.“ „Er schuldet uns ein Leben.“ „Und ist der Tod der einzige Weg für ihn, seine Schuld zu bezahlen? Es gibt auch so etwas wie Wergeld, mein König!“ Elessar gluckste. „Ich vermute, ich muss nicht fragen, wo ein Ork das Gold dafür herbekommt.“ „Du wirst es ihm geben, als Bezahlung für seine Dienste. Die Wachen der Veste dienen auch nicht aus Liebe allein; sie bekommen ihren Lohn dafür. Lass Canohandos Lohn an die Familie des Mannes gehen, den er erschlagen hat; das ist Gerechtigkeit. Der Ork kann nicht mit Geld kaufen, wonach ihm hungert.“ Der König ging zum Fenster hinüber und starrte hinaus. In einiger Entfernung waren Handwerker zu sehen, die gleich vor den Toren der Veste eine überdachte Plattform errichteten. Am fünfundzwanzigsten März würde es eine Parade geben, in ein wenig mehr als zwei Monaten, und er und Arwen würden dort sitzen, um sie mit anzusehen, gemeinsam mit den führenden Männern von Minas Tirith. Von den großen Toren der Stadt, durch all die gewundenen Straßen würde die Parade zu ihnen kommen, Musikanten und Tänzer und Akrobaten, die Notablen der Stadt in ihren würdigsten Gewändern, kleine Kinder, die Blumenkränze trugen... Hundertzwanzig Jahre Freiheit, ein erneuertes Königreich, gefeiert an dem Tag, an dem der Ring ins Feuer ging. Er verspürte einen plötzlichen kalten Schauder, eine Vorahnung. Ich werde nicht auf dieser Plattform sein, dachte er. Das Pergament meines Lebens rollt sich zu rasch zusammen... „Wonach hungert es Canohando, Arwen?“ fragte er. Sie stellte sich neben ihn, lehnte sich an seine Schulter und strich ihm mit den Fingern durch das Haar. „Wonach wir uns alle sehnen, mein Geliebter. Zu wissen, dass alles eine Bedeutung hat.“ ***** Der nächste Morgen war hell und klar, mit frischem Wind, der vom Norden herunterwehte. Elessar rief nach einem Pferd und ritt mit einigen seiner Ratgeber aus, um den Zustand des Bauernlandes und der Dörfer zu inspizieren, die die Stadt umgaben. Dies war kein Morgen für Vorahnungen: der Wind zerzauste ihm das Haar und es war gut, wieder einen Sattel zwischen den Beinen zu haben. Als sie ein weites, abgeernetes Feld erreichten, das noch nicht gepflügt worden war, forderte er seine Männer zu einem Galopp heraus. Natürlich gewann er das Rennen, und nicht deshalb, weil er König war: er hatte sein Gefolge gelehrt, alles, was sie für ihn unternahmen, aus ganzem Herzen zu tun, selbst wenn es darum ging, auf einem brachliegenden Feld gegen ihn anzutreten. Aber er hatte das beste Pferd; er hatte stets das beste Pferd. Er stieß das geisterhafte Gefühl des Vortages nach hinten in seinem Geist zurück, aber es war immer noch da. Er wusste nun, dass die Zeit knapp war, und er musste das Beste daraus machen. Das Essen an diesem Abend war ein förmliches Mahl mit einer Abordnung aus Annúminas, die Minas Tirith besuchte, um Bericht über die Jahresernte im Nördlichen Königreich zu erstatten. Der König hatte sich während des vergangenen Monates viele Male mit den Männern getroffen, und am nächsten Morgen würden sie sich auf die Rückreise in ihr eigenes Heimatland machen. „Wir könnten Prinz Eldarion auf dem Weg begegnen, Herr,“ sagte einer von ihnen fröhlich. „Er sollte den Norden vor einer Woche verlassen, und er ist nicht gern langsam unterwegs!“ Am Tisch des König erhob sich allgemeines Gelächter; Eldarion war für seine schnellen Reittiere und seine Ungeduld bekannt, wenn es um Verspätungen ging. Wenn er so aufgebrochen war, wie er es beabsichtigt hatte, dann konnten sie ihn verlässlich innerhalb der kommenden Woche erwarten, und Elessar dankte im Stillen den Mächten dafür. Trotzdem suchte er den Leiter der Abordnung auf, sobald das Mahl vorüber war. „Wenn Ihr meinem Sohn auf dem Weg begegnet, dann sagt ihm bitte, er soll so schnell kommen, wie er kann; ich brauche ihn hier. Außerdem - “ Er zögerte, dann entschloss er sich, fortzufahren. „Ich wünsche, dass Ihr Bruchtal aufsucht und eine Nachricht von mir zu Herrn Elladan bringt. Kommt zu mir, bevor Ihr morgen früh abreist, und ich werde sie für Euch bereithalten.“ Er würde es Arwen noch nicht sagen, noch nicht, aber er würde versuchen, ihre Brüder an ihre Seite zu holen, zu ihrem Trost. Der Brief, den er am nächsten Morgen abschickte, war kurz: Elladan und Elrohir, meine Elbenbrüder, Grüße! Selbst zu der Rasse von Númenor kommt endlich der Tod, und er wird nicht an mir vorübergehen. Es gibt Angelegenheiten, die ich mit euch regeln muss, und eure Schwester wird euch nötig haben. Liebste Freunde und Brüder, ich brauche euch! Kommt bald zu mir, aus Liebe zu eurem Estel Er sah zu, wie die Männer von Annúminas aufstiegen und sich den Weg durch den vormittäglichen Trubel in den Straßen des zweiten Kreises suchten. Als er in den Palast zurückgekehrt war, schloss er sich in seinem Studierzimmer ein und stopfte sich eine Pfeife, während er zu überlegen versuchte, was noch zu tun war. Eldarion war so bereit, das Zepter zu ergreifen, wie irgendein junger Prinz es nur sein konnte- Er hatte lange Zeit die Autorität seines Vaters im Norden repräsentiert, aber er war auch hier in Gondor hinlänglich bekannt. Die Söhne vonElrond würden ihn beraten, und Arwens Gegenwart würde beim Übergang von alten König zum neuen hilfreich sein. Arwen... oh, Herrin Undómiel! Er senkte den Kopf. Dies würde qualvoll sein für sie; er fragte sich, auf welche Weise er wagen würde, es ihr zu sagen - und doch musste er es tun! Vielleicht würde sie gemeinsam mit ihren Brüdern nach Bruchtal zurückkehren, nachdem Eldarion gekrönt worden war. Es mochte das Beste für sie sein... Er wünschte, dass es ein Geschenk gäbe, dass er ihr machen konnte, nun, da es zum Ende kam. Ein Abschiedsgeschenk, ein letzter Beweis seiner Ergebenheit, der Liebe seines Herzens für seine Elbenherrin. Etwas, das dich an mich erinnert, dachte er, ein Echo von Canohandos Worten zwei Nächte zuvor, dann lächelte er. Nein, jemand, der dich an mich erinnert, und jemand, der dich vor allem Schaden beschirmt, wenn er es denn kann. Wenigstens glaube ich, dass er es versuchen wird! Er verließ eilig das Studierzimmer und ging in den Kinderturm hinauf; in seiner Hast nahm er zwei Stufen auf einmal. Die Wachen waren auf dem Posten vor der verriegelten Tür; er freute sich, das zu sehen, obwohl er ihre Pflichten bald unnötig machen würde. Einer von ihnen zog einen Schlüssel heraus und öffnete die Tür für ihn. Drinnen befanden sich vier weitere Wachleute; Falk ging kein Risiko ein! Der Ork saß auf dem Fußboden, gegen sein Bett gelehnt; er schlug den Rhythmus auf einer kleinen, geschnitzten Trommel und sang in seiner fremdländischen Zunge leise vor sich hin. Er stellte die Trommel beiseite und kämpfte sich auf die Beine seine Knöchel waren noch immer aneinander gekettet, und er war ungeschickt. Er stand stumm vor Elessar. Der König nickte den Wachleuten zu. „Ihr dürft vor der Tür warten, meine Herren; ich würde gern unter vier Augen mit dem Gefangenen sprechen.“ „Majestät, es ist nicht sicher - “ sagte einer von ihnen; sein Ton war respektvoll, aber er sah so aus, als sei er bereit, diese Angelegenheit bis zum Ende des Tages zu diskutieren, auch wenn es sein Souverän war, mit dem er da sprach. Elessar hob die Augenbrauen. „Nicht sicher? Er ist nicht bewaffnet, oder? Und ich habe mein Schwert; nebenbei ist er mit Ketten gebunden.“ „Und trotzdem, Eure Majestät. Ihr habt ihn an diesem anderen Tag in der Halle gesehen da war er auch nicht bewaffnet! Ich flehe Euch an, lasst wenigstens zwei von uns bleiben, zu Eurer Sicherheit. Wir werden hier an der Tür stehen, mit den Fingern in den Ohren, wenn es Euch so gefällt, damit wir nichts hören.“ Der König lächelte; es war vielleicht Ungehorsam, aber er konnte nicht zornig sein auf diesen jungen Mann, der solche Sorge um die Sicherheit seines Monarchen an den Tag legte! „So sei es; ganz wie du sagst, mein Junge. Stellt euch an die Tür, die Finger in den Ohren, und haltet Wache. Nur zwei von euch; das wird genügen.“ Er wandte sich an den Ork. „Ich habe entschieden, was ich mit dir tun werde, wenn du dazu bereit bist.“ Canohando schaute verblüfft drein. „Ob ich bereit bin - ! Was wirst du mit mir tun, König von Gondor?“ Elessar setzte sich auf das Bett. „Du bist gekommen, um die Elbenkönigin zu finden, und du hast sie gefunden. Du hast mir gesagt, du hättest den Wunsch, ihr zu folgen und sie zu beschützen; hältst du dich an diese Worte?“ Der Ork legte die rechte Faust gegen sein Herz. „Ich halte mich daran, so wahr ich lebe, Herr! Ich würde zehnmal sterben, damit sie sicher ist!“ „Sehr schön. Ich werde dich beim Wort nehmen und ich werde dir nur aus dem Grunde trauen, weil du Frodos Bruder bist! Ich werde dein Leben in die Hände der Herrin legen, deren Juwel du trägst, und du wirst es mir dadurch vergelten, dass du ihr Schatten bist, ihr Beschützer, solange ihr beide lebt. Willst du das tun?“ Canohandos Gesicht leuchtete, als wäre darin ein Feuer entzündet worden. „Wahrhaftig, König von Gondor! Ich werde sie niemals verlassen, so lange ich lebe!“ „So lange ihr beide lebt,“ verbesserte Elessar ihn; seine Stimme war düster. „Wenn die Herrin diese Welt verlässt, und nicht deswegen, weil du bei deiner Wache über sie versagt hast, dann bist du frei von diesem Eid. Sie hat die Sterblichkeit gewählt, gemeinsam mit mir; sie wird nicht endlos leben, wie die Eldar es tun.“ Der König wartete nicht auf den nächsten Audienztag; es war nicht genügend Zeit. Er ließ ausrufen, dass in bereits in zwei Tagen eine große Audienz stattfände, um das Urteil über den Ork zu sprechen, der in den Thronraum von Gondor eingedrungen war. Wie er erwartet hatte, war die Halle am angekündigten Tag gesteckt voll, und eine große Menge stand noch vor den Toren. Canohando wurde in die Halle geführt, Ketten an Händen und Füßen, bewacht von zwanzig Männern in der Tracht der Veste. Als sie das Podest erreichten, gab ihm jemand einen harten Stoß gegen die Schultern, und er fiel auf die Knie. Die Stimme des Königs klang über ihm wider. „Dieser Ork drang vor einer Woche ohne unsere Erlaubnis in unsere Halle ein... erschlug einen meiner Männer. Für diese Tat ist sein Leben verwirkt...“ Canohando hielt seine Augen niedergeschlagen. Mit einem Atemzug nimmst du mir das Leben, und mit dem nächsten gibst du mir alles, was ich verlange, dachte er. Die Könige der Menschen sind ein merkwürdiges Geschlecht. „... es wurde keine Waffe bei dem Ork gefunden... er nahm das Leben eines Mannes, aber er kam eindeutig nicht mit der Absicht, zu töten...“ Aus dem Hintergrund des Raumes kam ein Schrei: „Tod dem Ork!“ Canohando erstarrte; er wartete darauf, dass andere den Schrei aufnahmen, aber niemand tat es. Die Halle war still, und nur die Stimme des Königs fuhr fort und hielt die Verteidigungsrede, die der Ork niemals selbst für sich erdacht hätte. „Ein Mann darf sich selbst verteidigen, wenn er angegriffen wird. Und doch hat der Wachmann seine Pflicht getan und seine Herrscher vor einem Eindringling beschützt...“ Der Mann, der neben Canohando stand, trat von einem Fuß auf den anderen, und der Ork fragte sich, was er wohl dachte. Es war dein Kamerad, den ich erschlagen habe. Wenn du ein wenig schneller gewesen wärst, hättest du es sein können! Wie wird dir die Gerechtigkeit des Königs an diesem Tag gefallen? „Sehr bald werden wir das Neue Jahr feiern, das hundertzwanzigste, seit das Königtum nach Gondor zurückgekehrt ist. Der Ringträger ist in die Legenden eingegangen, und es gibt wenige unter uns, die sich so an ihn erinnern, wie er wirklich war. Denn ich sage euch, der Ringträger ging nach Mordor zurück, nach dem Krieg. Er ging wieder in dieses dunkle Land, um Heilung dorthin zu bringen, und er fand drei Orks, die den Sturz von Sauron überlebt hatten...“ Ist Neunfinger für diese Leute wirklich nur eine Legende? Oh mein Kümmerling, ich wünschte, du wärst jetzt hier bei mir! Wieso habe nicht eher nach dir gesucht? Der Ork straffte die Schultern und rang darum, dass sein Gesicht ausdruckslos blieb. „... trägt den Juwel, den die eure Königin dem Ringträger schenkte. Aus diesem Grund kam er her, um die Herrin zu finden, deren Juwel er trägt... wenn er darum gebeten hätte, sich dem Thron nähern zu dürfen, hätte man es ihm erlaubt? Das Volk von Gondor hat reichlich Grund, die Orks zu hassen.“ Ein Gebrüll stieg aus der Menge auf, Pfiffe und Getrampel, und der König wartete, bis der Raum wieder still war. Werden sie dir erlauben, mein Leben zu verschonen, König von Gondor? Niemand wagte ein Wort, wenn der Hexenkönig redete, aber dein Volk pflegt eine offene Sprache... „... ließ das Schwert fallen und ließ sich ohne Widerstand festnehmen... erwartete, unter der Folter zu sterben, denn das ist die Art der einzigen Herren, die er je gekannt hat. Es ist nicht die Art in diesem Königreich! Der Ork hat einen guten Mann getötet, einen tapferen Mann, und dafür muss er mit seinem Leben bezahlen aber nicht mit seinem Tod.“ Der Raum war totenstill. „Dies ist ein tapferer Krieger, und er ist der Herrin, deren Juwel er trägt, sehr ergeben. Deshalb überantworte ich ihn seiner Dame, um ihr Beschützer und ihr wahrer Ritter zu sein, und von heute an ist er eine der Wachen der Veste.“ Bei diesen Worten brach die Hölle los, Stimmen schrieen „Tod! Tod!“, und die Männer, die Canohando bewachten, zogen sich dichter um ihn zusammen, drehten sich um und sahen der Menge entgegen, die Hände auf den Schwertern. Der König wartete ungerührt, und Canohando betrachtete ihn voller Ehrfurcht. Du wirst deinen Willen haben, ihnen allen zum Trotz, Herr! Sie fürchten sich nicht, dich anzuschreien, aber dein Wille ist stärker als ihrer, und du wirst sie unter ihn beugen. Als wieder Stille einkehrte, sprach Elessar erneut; seine Stimme war gesenkt, aber sie drang an jede Stelle des Raumes. „Wieso verlangt ihr sein Leben? Weil er ein Ork ist? Wer unter euch würde, wenn man ihn mit dem Schwert angreift und verwundet, nicht versuchen, sich zu verteidigen? Was Gerechtigkeit für einen Menschen ist, ist auch Gerechtigkeit für einen Ork!“ Dann stieg der König die Stufen des Podestes hinab und stand vor Canohando. „Steh auf,“ sagte er. „Dreh dich um.“ Als der Ork die Menge anblickte, trat der König vor zu einer kleinen Gruppe von Menschen, die an der Seite standen, eine junge Frau, ein älteres Paar und drei kleine Kinder. Er führte sie vor den Ork. „Dies hier ist die Familie des Mannes, den du erschlagen hast,“ sagte er, und seine Stimme hallte von den Wänden wider. „Die Frau, die du als Witwe zurückgelassen hast, diese vaterlosen Kinder, diese Eltern, ihres Sohnes beraubt...“ Sie erinnert mich an Lokka!* Und die Welpen nein, sie sind nicht wie Yargark und Frodo-Ork, aber ich erinnere mich daran, wie es war, als Lashs Söhne so klein waren - „... du sollst den Lohn einer Wache dieser Veste erhalten, aber jede Münze dieses Lohnes soll an diese Familie gehen, der du Unrecht angetan hast... dein Leben, das verwirkt war, geben wir dir wieder, unter der Bedingung, dass du es im Dienst der Elbenkönigin zubringst, die zu finden du hergekommen bist.“ Einmal mehr kniete der Ork nieder und küsste dem König die Hände, und zwei Wachen traten vor, um ihm die Ketten von den Handgelenken und Knöcheln abzunehmen. Einer der beiden wollte ihn nicht ansehen, aber der andere begegnete seinem Blick, und Canohando sah, das wenigstens dieser Mann mit der Gerechtigkeit des Königs einverstanden war. Er folgte ihnen in eine kleine Seitenkammer, und sie kleideten ihn in die schwarze und silberne Tracht der Veste; sein Kopf jedoch war zu groß für den Helm, den man ihm gab, und er war gezwungen, barhäuptig zu gehen. Dann geleiteten sie ihn wieder vor das Podest, aber sie fielen hinter ihm zurück und er war allein. Er sah den König und die Königin an, die auf ihren Thronen saßen, und der Juwel der Königin glitzerte auf seiner Brust. Arwen erhob sich von ihrem Platz, und sie war schlank und leuchtend wie ein Lichtstrahl, und ihr dunkles Haar strömte über ihre Schultern hinab. „Von Anbeginn waren Orks die Feinde von Elben und Menschen,“ rief sie, und ihre Stimme klang wie Wahrsilber, klar und musikalisch. „Nun, in diesen späteren Tagen, wandelt ein Ork unter uns, der kein Feind ist. Er hat ein Unrecht begangen, aber er wird dafür Sühne leisten, durch Dienst und Wergeld. Diese Buße nimmt er willig auf sich, und mit wahrhaftigem Herzen. Lasst das Volk von Gondor sich nicht als weniger edelmütig erweisen als Canohando, der Ork!“ Es gab einen Moment atemlosen Schweigens; dann rief eine Stimme: „Lang lebe die Königin!“ Die Halle brach in Jubel und Hurrageschrei aus, und der König und die Königin standen vor ihren Thronen und streckten ihrem Volk die Hände entgegen. __________________________________________________________________________________________ *Lokka, eine Frau von Núrn, war das Weib von Lash dem Ork, und die Mutter seiner Söhne Yargark und Frodo-Ork. (Aus: Dem anderen Zauberer folgen Eine Reise zur Heilung)
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