![]() Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Sechs „Du musst mit ihm sprechen, mein König. Du darfst ihn nicht verdammen, bevor du auch nur gehört hast, was er sagt!“ Sie hatten den Mittagsimbiss beendet, und Elessar saß da und rauchte seine Pfeife. Der Servierjunge hatte einen Teller mit köstlichem Zuckerwerk vor Arwens Platz hingestellt, aber sie hatte sie nicht angerührt. Der König zog die Augenbrauen zusammen. „Ich höre dich um das Leben dieses Orks flehen, der vor deinen Augen gemordet hat, und ich denke daran, was deine Mutter unter den Händen von Orks erlitten hat. Meine Geliebte, hast du den Verstand verloren?“ Arwen blinzelte und fuhr zurück, als hätte er sie geschlagen; Elessar legte seine Pfeife hin, kam um den Tisch und nahm sie in die Arme. Er trug sie zu einem weichen, breiten Sessel, setzte sich hin und nahm sie auf den Schoß. „Nein, nein, meine Liebste, ich habe es nicht so gemeint! Aber ich verstehe nicht, wieso du auf diese Weise für sein Leben kämpfst.“ „Das tust du nicht? Es ist nicht trotz dem, was Orks meiner Mutter angetan haben, sondern deswegen! Sie haben ihr aufgelauert und sie monatelang gefangen gehalten, bis meine Brüder durchbrachen und sie retten konnten; sie folterten sie und sie hat sich nie davon erholt. Sie ging über das Meer und ließ uns beraubt zurück, und all das wegen Orks! Und wir konnten sie für das hassen, was sie taten, aber wir konnten ihnen nicht wirklich einen Vorwurf machen sie waren Sklaven des Feindes, sie hatten nicht die Freiheit, sich für Gnade zu entscheiden, oder für Freundlichkeit... „Und dann ging Frodo nach Mordor hinein ging zum zweiten Mal in dieses verfluchte Land, das ihm beim ersten Mal fast das Leben gekostet hat und er riss die Kerkertüren für drei von diesen Orks nieder! „Einer ist bereits tot. Einer sitzt mit seinen Söhnen auf seinem Berg und tut niemandem etwas zuleide. Und einer ist gekommen, um mich zu suchen! Wieso kam er her, Estel? Er hatte ein Heim und Freiheit, die Gemeinschaft mit seinem Freund... er hatte die Bruderschaft des Ringträgers, und Radagast ist dort gewesen, um sein Lehrer und Ratgeber zu sein... und nach all dem taucht er in Minas Tirith auf und sucht die Elbenkönigin. Er sucht die Elben! Wenn du ihm das Leben nimmst, dann wirst du nicht ungeschehen machen, was Frodo für ihn getan hat, aber du wirst ihn davon abhalten, seinen Weg weiterzugehen.“ Elessar lehnte sich zurück und zog sie mit sich, bis sie an seiner Brust lehnte; er roch den frischen, holzigen Duft ihres Haars. Er schloss die Augen. Die Elben was wollte Canohando von den Elben? „Ich will mit ihm reden, meine Süße. Ich will versuchen zu sehen, was du in Frodos Ork siehst. Bist du damit zufrieden?“ Sie lächelte und schmiegte sich in seine Arme. „Das ist ein guter Anfang. Wo kann ich ihn unterbringen, um ihn aus diesem verdreckten Kerker zu holen?“ Die Stimme des Königs war scharf. „Er wird nicht länger verdreckt sein; dafür werde ich sorgen! Du kannst ihn nicht im Palast herumlaufen lassen. Geliebte. Ich werde nicht riskieren, dass er in die Stadt entkommt und vielleicht wieder tötet. Gibt es irgend einen Raum außerhalb der Kerker, den wir bewachen können und wo er nicht aus einem Fenster klettern kann?“ Arwen dachte einen Moment nach, dann lachte sie. „Natürlich gibt es den den alten Kinderturm! Das Zimmer liegt hoch oben, und alle Fenster wurden vergittert, damit die Kinder nicht herausfallen konnten. Es gibt nur den einen Eingang dort kannst du so viele Wachen aufstellen, wie du willst.“ Elessar lachte schallend. „Arwen, du Schelm! Ja, er wird gute Dienste leisten, und mir ist ebenfalls gedient, indem ich dir erlaube, dass du dich um ihn kümmern darfst! Du wirst ihn umsorgen wie einen jungen Prinzen, und mögen die Valar schenken, dass meine Wachen bei diesem Anblick keinen Aufstand veranstalten! Sehr schön jetzt steh auf und bereite oben alles für deinen Gefangenen vor, und ich mache, dass ich in die Kerker komme und mich um die Dinge dort kümmere.“ Er gab ihr einen nachdrücklichen Kuss auf die Lippen und ging. Er fand den Aufseher vor, der schon auf der Lauer lag und ängstlich bemüht war, ihm zu versichern, dass alles Menschenmögliche für Canohando getan wurde. „In der Tat, Eure Majestät, wir hatten nicht begriffen, dass der Gefangene der Königin besonders am Herzen lag! Ich bin zutiefst bestürzt, dass sie mit seinem Zustand nicht zufrieden war - “ Der Mann hastete ihm im Gang einen Schritt voraus; er verbeugte sich und scharwenzelte herum, bis Elessar seiner müde wurde. „Ich bin ziemlich sicher, dass Ihr die Lage nicht begriffen habt, Aufseher, und ihr begreift sie auch jetzt nicht! Ich werde nicht zulassen, dass auch nur irgendeiner meiner Gefangenen misshandelt wird, ob sie sich nun unter dem Schutz der Königin befinden oder nicht, ob sie der Todesstrafe unterliegen oder auch nicht und dieser Gefangene tut es nicht, denn ich habe mein Urteil noch nicht gesprochen. Oder dachtet Ihr, der Ork würde sich heimisch fühlen, wenn Ihr meine Kerker in ein Orkloch verwandelt? Ruft mir eine Wache von sechs Mann zusammen; ich nehme den Gefangenen mit hinauf in mein Studierzimmer, um ihn zu befragen.“ Der Aufseher öffnete den Mund, um zu protestieren, und machte ihn wieder zu, als er den Ausdruck von kaltem Zorn auf dem Gesicht des Königs bemerkte. Rasch dienerte er sich außer Sicht, und Elessar ging allein in Canohandos Zelle. Der Ork saß auf seiner Pritsche und flocht sein Haar in drei dicke Zöpfe. Er stand sofort auf, als er den König sah und kam zu den Gitterstäben hinüber. „Danke, Herr! Nun weiß ich, wieso Neunfinger stolz darauf war, dein Freund genannt zu werden.“ Er war sauber, in einer frischen Tunika und weiten, eng um seine Knöchel geschnürte Hosen, und sein Arm war verbunden worden. Der König betrachtete ihn kritisch von oben bis unten; selbst in dem schwachen Licht konnte er dunkle Schrammen auf den Armen des Orks und an seiner Kehle erkennen, und auf seiner Wange befand sich eine Prellung, als wäre sie einen Tag zuvor von einer Faust getroffen worden. Allerdings stand er aufrechter, und seine Stimme war kräftiger als an diesem Morgen. „Ich habe den Wunsch, mit dir zu sprechen, Ork, aber nicht hier. Ich nehme dich mit hinauf in mein Studierzimmer, doch werde ich deiner Ehre nicht trauen, bevor ich dich nicht besser kenne; du musst Fesseln tragen.“ Canohandos Antwort darauf war, dass er sich umdrehte und die Hände nach hinten durch die Gitter streckte, bereit, sich binden zu lassen. Elessar hob überrascht die Augenbrauen und durchsuchte seine Taschen. Er fand einen von Arwens Seidenschals sie hatte ihn lästig gefunden, als sie am Tag zuvor spazieren gegangen waren: er hatte ihn zusammengefaltet und zur Sicherheit eingesteckt. Sie bedeckte immer ihr Haar, um den Wind davon abzuhalten, dass er es in Unordnung brachte, dann änderte sie ihre Meinung und wollte die Brise auf dem Kopf spüren. Er schlang dem Ork den Schal um die Handgelenke, verdrehte die Seide, um ihr mehr Festigkeit zu geben und machte einen kräftigen Knoten. Eine neuartige Fessel, dachte er ironisch, aber Seide ist stark, und ich denke, sie wird ihn zurückhalten. Während er ein letztes Mal an dem Schal zog, um sicherzustellen, dass der Knoten ausreichte, stellten sich die Wachmänner, die er angefordert hatte, im Gang zu einer Reihe auf; hinter ihnen kam der Aufseher; er trug einen Schlüsselring bei sich. „Eure Majestät, ich muss davon abraten, ihn aus dieser Zelle herauszuholen ich kann nicht für ihn bürgen, wenn er sich nicht hinter Schloss und Riegel befindet!“ protestierte der Mann, noch während er die Zellentür aufschloss. Er hatte offensichtlich eine Heidenangst vor Canohando. „Ich bitte Euch keineswegs, für ihn zu bürgen, Aufseher. Kümmert Euch statt dessen um den Zustand meiner restlichen Gefangenen, denn wenn ich mit dem Ork fertig bin, dann werde ich meine Kerker von oben bis unten in Augenschein nehmen. Sollte ich feststellen, dass irgendeiner von den anderen sich in dem Zustand befindet, in dem er gewesen ist, dann wird es Euch sehr übel ergehen.“ Der Mann erbleichte und trat beiseite. Elessar öffnete die Tür und Canohando kam heraus. „Zwei von euch halten seine Arme, aber zerrt ihn nicht. Zwei voraus und die anderen beiden hinter ihm, und ich folge euch. Bringt ihn hinauf in mein Studierzimmer.“ Auf dem Weg nach oben dachte er intensiv nach. Sechs Wachen rings um sie her würde ein vernünftiges Gespräch unmöglich machen, und das war es, was er nötig hatte, um diesen Ork richtig einzuschätzen. Aber er hatte Canohando im Kampf gesehen; er war ein kluger und einfallsreicher Krieger, und gefesselte Hände würden ihn nicht aufhalten, wenn er ernstlich versuchte, sich zu befreien. Elessar dachte nicht, dass der Ork ihm persönlich gefährlich werden konnte sein Verhalten Arwen gegenüber sprach dagegen aber er wollte nicht, dass er frei in Minas Tirith herumlief! „Du.“ Er tippte der Wache vor sich auf die Schulter, „Hol uns eine Garnitur Fußfesseln; ich übernehme hier solange für dich.“ Er ließ anhalten, bevor sie das eiserner Tor zu den Kerkern durchschritten, damit die Fesseln angelegt werden konnten. Canohando starrte betrübt darauf hinunter, aber er sagte nichts. Dann setzten sie ihren Weg langsam fort, denn die Ketten machten den Ork unbeholfen, und er ging noch immer unter sichtbaren Schmerzen. Im Studierzimmer stellte Elessar drei Wachen an den Fenstern und die anderen draußen vor der Tür auf, dann führte er den Ork zu den Sesseln vor dem Kamin hinüber. „Setz dich, Canohando. Ich bedaure, dass du dich mit gefesselten Händen nicht zurücklehnen kannst, aber mach es dir so bequem, wie du kannst.“ Der Ork betrachtete ihn zweifelnd. „Darf ich auf dem Boden sitzen, König von Gondor? Ich bin nicht an Sessel gewöhnt.“ Der König nickte, aber die Ketten hielten die Füße des Orks zu eng zusammen, als dass er ohne Hilfe hinunter auf den Boden kam, und am Ende war Elessar gezwungen, ihm zu helfen. Dann ließ er sich in seinem eigenen Sessel nieder und zündete sich seine Pfeife an. Er wünschte sich ein Glas Wein, aber er wollte nicht trinken, während der Ork Durst litt, und er wollte das Glas nicht für ihn halten müssen. Canohando saß da und schaute ins Feuer, und Elessar fragte sich, was er wohl dachte. Erinnerte er sich an sein Zuhause, oder an Wachfeuer am Vorabend der Schlacht? Das Gesicht des Orks war ruhig und friedevoll, und der König überlegte, ob er selbst wohl gefesselt und in Ketten - dem Obersten seiner Feinde ebenso gelassen gegenüber getreten wäre. „Wieso bist du hergekommen, Canohando?“ „Um die Elbenkönigin zu finden, die Herrin des Juwels.“ Er antwortete, ohne den Blick von den Flammen zu nehmen; seine Stimme war leise. „Wieso?“ fragte Elessar noch einmal, und der Ork blickte zu ihm auf. „Ich weiß nicht, Herr. Ich fand keine Ruhe; es war wie ein Feuer in meinem Bauch. Ich würde auch gern das Auenland sehen, um meinen Fuß auf die Erde zu setzen, über die mein Bruder gewandert ist. Aber ich musste die Herrin finden, deren Juwel ich trage. Ich kann dir nicht sagen, wieso.“ Der König betrachtete ihn misstrauisch. „Was würdest du im Auenland tun? Ich gestatte es nicht einmal den Menschen, dieses Land zu betreten, und noch viel weniger einem Ork!“ Canohando zuckte die Achseln. „Ich glaube nicht, dass ich deine Stadt jetzt noch verlassen werde, König von Gondor. Und was ich im Auenland täte...“ Einmal mehr schaute er ins Feuer. „Herumwandern. Versuchen, die Orte zu finden, von denen mein Kümmerling mir erzählt hat, Beutelsend und das große Haus am Fluss, mit all den Fenstern, die im Sonnenuntergang glühen... Ich hatte gehofft, ich könnte ihn immer noch dort finden...“ Seine Stimme erstarb. Er weinte nicht, aber sein Kummer war spürbar, und in Elessar regte sich Mitgefühl. Er erinnerte sich daran, was Frodo ihnen von den Orks erzählt hatte, wie sie sich abgewandt hatten von der Finsternis er hatte das Ganze in Frage gestellt, obwohl er seine Zweifel nicht in Worte fasste. Frodo war ein Hobbit, und voller Unschuld; er mochte sich etwas vorgemacht haben, um glauben zu können, wovon er nur wünschte, dass es so sei. Aber mit diesem trauernden Ork, der auf vom Fußboden seines Studierzimmers saß, konnte Elessar sich nicht längern weigern, zu glauben. Canohando mochte noch immer gefährlich sein natürlich war er das aber seine Liebe zum Ringträger stand außer Zweifel. Frodo hatte letzten Endes richtig gesehen. „Wieso hast du dich heimlich in meine Halle geschlichen und bist dann derart auf uns zugestürmt? Du musst doch gewusst haben, dass die Wachen dir folgen würden!“ „Wie konnte ich sonst die Herrin erreichen?“ Canohando klang überrascht. „Die Männer von Gondor mich beim ersten Anblick getötet; ich könnte dir nicht sagen, auf wieviele Orkleichen ich in Mordor gestoßen bin, erschlagen und den Raubtieren zum Fraß überlassen. Und doch musste ich sie finden! Ich wusste, ich spiele Würfel mit dem Tod. Vielleicht habe ich das von Neunfinger gelernt ich habe ihn einmal gefragt, ob er den Tod zum Scherz herausfordert.“ Elessar starrte ihn an; das war eine Seite an Frodo, die er noch nie gesehen hatte. „Was hat er dir geantwortet?“ „Er spielte ein Spiel, aber nicht zum Scherz. Er hat um unsere Freiheit gespielt, und er hat gewonnen.“ Dem Ork sank das Kinn auf die Brust, und er schloss die Augen. Vor mir wird er nicht weinen, nicht so wie bei Arwen, begriff Elessar, aber er hat fast die Grenze dessen erreicht, was er noch ertragen kann. Er stand auf und goss ein Glas mit Wein voll, dann ging er zu dem Ork hinüber und ließ sich neben ihm auf ein Knie nieder. „Hier, Canohando. Trink.“ Der Ork trank, während der König das Glas für ihn hielt. Ein Tropfen Wein rieselte über Canohandos Kinn, und Elessar wischte ihn mit einem Finger weg. „Danke, Herr,“ sagte der Ork, und ihre Augen begegneten sich; für einen Moment der Betroffenheit blieb der König vollkommen reglos. Dann stand er auf, stellte das Glas beiseite und schenkte sich selbst etwas zu Trinken ein. Er kannte diese Augen, obwohl er sie seit fast sechzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Demütig, geduldig im Leiden Wie kannst du ihn geduldig nennen, Arathorns Sohn? War er denn geduldig, als er deinen Wachmann ermordet hat? Doch Ehrlichkeit zwang den König, sich einzugestehen, dass er selbst vielleicht das selbe getan hätte, wenn ein nacktes Schwert auf ihn herniedergesaust wäre, während er selbst keine Waffe trug. Frodo hätte es nicht getan, dachte er. Aber Frodo war kein Krieger. Nichtsdestotrotz hatte er in Moria heftig genug gekämpft; er war vorgestürzt, um sein kleines Schwert in den Troll zu treiben, wenn auch nur in seinen Fuß! Bei der Erinnerung grinste Elessar; Frodo im Schlachtenwahn war ein Anblick, den man nie wieder vergaß. „Was willst du von der Königin, Canohando?“ fragte er. Eine lange Minute gab der Ork keine Antwort. Dann sagte er träumerisch: „Ich will sie anschauen. Ich will ihr folgen und alle Gefahr von ihr fernhalten, alles, was sie verletzen oder sie bekümmern könnte. Ich möchte ihre Stimme hören, selbst wenn sie nicht zu mir spricht.“ Er schaute zu dem König hoch. „Was will man vom Mond, Herr? Nur, dass er scheinen möge, und dass man da ist, um es zu sehen.“ Der König lehnte sich in seinem Sessel zurück; er wusste nicht, was er den Ork sonst noch fragen sollte, und Canohando wandte sich wieder dem Feuer zu. Nach einer Weile fragte er: „Ist es wahr, was die Herrin sagt dass du mich nicht der Folter auslieferst?“ Weder Trotz noch Flehen lag in seiner Stimme; es war eine schlichte Bitte um Auskunft, und wieder dachte Elessar an Frodo. Genau auf diese Weise hatte der Hobbit sein Schicksal hingenommen, ohne Selbstmitleid oder Wehgeschrei. „Ich quäle meine Feinde nicht,“ sagte er. Nach einer Pause fügte er hinzu: „Und ich bin nicht sicher, dass du überhaupt ein Feind bist.“ „Mein Bruder hat deine Freundschaft hoch geschätzt, König von Gondor. Ich bin nicht dein Feind.“ Elessar ging zur Tür und schickte eine der Wachen auf die Suche nach der Königin; er wollte herausfinden, ob sie mit ihren Vorbereitungen fertig war. Bald darauf kam Arwen selbst, ein wenig erhitzt von ihrer Mühe, und er ging ihr entgegen. „Darf ich ihn jetzt dort hinaufbringen? Du wirst ihn heute Abend nicht in die Kerker zurückschicken, oder?“ Elessar legte einen Arm um sie. „Du klingst, als hättest du ein neues Haustier anstelle von einem mörderischen Ork! Ja, wenn du fertig bist, dann bringe ich ihn hinauf ich will mich umschauen und so sicher wie möglich sein, dass er nicht fliehen kann.“ Er dachte, dass sie eine merkwürdige Prozession abgaben die Wächter, die den Ork flankierten und Arwen folgten, während er selbst die Nachhut bildete. Arwen hatte begonnen, gegen die Fußfesseln zu protestieren, aber er brachte sie mit einem Stirnrunzeln zum Schweigen. „Er ist ein Gefangener, meine Geliebte. Bitte lass dich von deinem sanftmütigen Herzen nicht dagegen blenden!“ Aber der Ausdruck auf Canohandos Gesicht, als der Ork sein neues Quartier zu sehen bekam, rührte ihm selbst das Herz an. Arwen hatte aus dem alten Spielzimmer, dem größten Raum im Kinderturm, fast alle Möbelstücke entfernen lassen. Ein langer Tisch mit Bänken auf jeder Seite war geblieben, und ein niedriges Bett mit eine Stapel Decken in hellen Farben. Das Zimmer war kahl, aber Sonnenlicht vergoldete den polierten Holzfußboden, und durch die vergitterten Fenster war die purpurne Masse des Mindolluin zu sehen. Es gab sogar ein Feuer im Kamin. Elessar überprüfte den Raum sorgsam auf seine Sicherheit; während er das tat, nahm er den Hauptmann der kleinen Wachmannschaft beim Arm. „Hilf mir Falk, nicht wahr?“ sagte er leise. „Wenn du in diesem Raum ein Gefangener wärst, könntest du entkommen?“ Falk blickte aus den Fenstern, aber es war ein weiter Sturz zum Dach des Hauprgebäudes darunter, und die Gitterstäbe lagen kaum drei Finger breit auseinander. Er stieß den Schürhaken hinauf in den Schornstein, aber dort befand sich ein gut befestigter Rost. Neben dem Eingang, durch den sie hereingekommen waren, gab es zwei weitere Türen, und er öffnete sie: die eine führte zu einer Schlafkammer ohne Ausgang, die andere in einen Korridor. „Es wäre besser, die hier zu versiegeln,“ sagte er, und der König nickte. „Wie viele Wachen, Majestät, und wo wollt Ihr sie aufstellen?“ „Gib du mir einen Rat,“ sagte Elessar. Der Mann dachte gründlich nach. „Ich würde sagen, sechs an der Tür zum Korridor, selbst wenn Ihr sie versiegelt. In der Schlafkammer gibt es nur das vergitterte Fenster.“ Er trat hinein und schaute sich noch einmal darin um. „Wenn er dort hinauskäme, dann würde er in den großen Vorhof fallen das überlebt er nicht, und dann macht er uns keinen Kummer mehr. Die Haupttür zu diesem Zimmer ich denke, Ihr wollt ein gutes Dutzend Männer, Majestät. Ich war an dem Morgen in der Halle, als er getötet hat. Und einige Bogenschützen an jeder Tür, für den Fall, dass er es trotz allem hinaus schafft. Ihr werdet die Fußfesseln beibehalten?“ „Bis auf weiteres,“ sagte der König. „Ich denke, du hast dir da einen guten Plan zurechtgelegt wirst du ihn für mich in die Tat umsetzen? Ich will für diese Aufgabe nur Freiwillige, Männer, die schnell sind und in der Bewegung denken können. Ich will diesen Ork nicht auf Minas Tirith loslassen, und er ist gerissen.“ Der Wächter blickte starr geradeaus, und der König lächelte leicht. „Du fragst dich, warum ich ihn nicht zum Tode verurteile und die Sache damit hinter mir habe.“ „Ja, Eure Majestät. Das frage ich mich.“ „Weil ich nicht sicher bin, dass er den Tod verdient hat. Wirst du die Pflicht auf dich nehmen, ihn zu bewachen?“ „Ja, Eure Majestät.“ Elessar schickte ihn weg, um sich seine Freiwilligen zu suchen, und er selbst wandte sich dorthin zurück, wo Arwen saß und mit Canohando sprach, der vor ihr stand. Er lehnte sich gegen das Fenster, beobachtete die beiden und machte sich seine eigenen Gedanken. Wie seltsam es sich anfühlt, wieder in diesem Zimmer zu sein! Was für eine Zeit das war, als wir jeden Nachmittag hier heraufkamen, um eine Weile mit den Kindern zu spielen, eine angenehme Erholung von den Staatsangelegenheiten. Aber sie sind seit vielen Jahren erwachsen, die Mädchen sind verheiratet und selbst Mütter, und Eldarion ist mein Botschafter im Norden. An Neujahr wird er zu Hause sein... Arwen hatte sich mit den Jahren wenig verändert. Ein paar feine Lachfältchen rings um ihre Augen, ein wenig runder um die Mitte, als sie es an ihrem Hochzeitstag gewesen war. Die unendliche Jugend der Eldar schien noch immer in ihren Adern zu fließen, aber Elessar spürte sein Alter. Dein Haar wird grau, Sohn des Arathorn, und es sind hundertzwanzig Jahre, seit du den Weißen Baum neu in den Vorhof gepflanzt hast. Es ist höchste Zeit, dass Eldarion nach Hause kommt. „Mein Geliebter.“ Arwens Stimme drang aus einiger Entfernung zu ihm. „Darf ich jetzt meinen Schal wiederhaben?“ Sie lachte zu ihm auf, und er brauchte einen Moment, um sich daran zu erinnern, welchen Schal sie meinte, und wo er war. Dann blickte er sich im Zimmer um. Canohando stand neben dem Tisch, die Hände noch immer hinter sich gefesselt, aber er betrachtete den Berg draußen vor dem Fenster. Der Klang von Gehämmer kam aus dem Korridor; der Ausgang wurde versiegelt. Die Wachen, die mit ihnen hinauf gekommen waren, standen in einer Reihe gegenüber dem Haupteingang. Sie waren entspannt, aber in Bereitschaft - nicht wie auf dem Exerzierplatz, doch hellwach und pflichtbewusst. „Noch nicht, Liebste, nicht, ehe Falk seine Sicherheitsvorkehrungen beendet hat. Ich werde hier bleiben, bis alles fertig ist, aber du musst es nicht, wenn du woanders etwas zu erledigen hast.“ „Ich habe nichts zu tun, was ich nicht lieber ungetan ließe, um bei dir zu sein, mein König.“ Sie nahm seine Hand und führte ihn zum Tisch hinüber, und sie saßen zusammen auf der Bank, seinen Arm um ihre Schultern. Aber Canohando ging zm Fenster, um hinauszustarren auf den Berg und den Himmel, ehe er seinen Rücken entschlossen von der Welt draußen abwandte: er lehnte den Kopf gegen die Gitterstäbe und schaute die Königin an.
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