Von Geist zu Geist (Mind to Mind)
von shirebound, übersetzt von Cúthalion


“Als erstes von allen Dingen sahen ihre Augen die Sterne. Deshalb haben sie das Sternenlicht immer geliebt.“ Das Silmarillion, „Von der Ankunft der Elben“

5. Kapitel
Träume von Sternenlicht

Pippin öffnete die Augen und sah Celeborns Gesicht über sich.

„Was tut Ihr denn hier?“ fragte er verwirrt. Er fühlte sich schwindelig und benommen, und er genügte, seinen Kopf nur ein klein wenig zu heben, um zu begreifen, dass er kaum die Kraft hatte, sich zu bewegen.

„Das ist mein Zelt.“ sagte Celeborn mit einem Lächeln. „Es ist leichter für mich, hier nach dir zu sehen.“

Pippin runzelte die Stirn und versuchte, klar zu denken. Er lag auf einem bequemen Bett in einem großen, unvertrauten Zelt, unter mehreren Schichten weicher Decken. Sein rechter Arm lag oben auf der Decke, und er sah, dass er vom Handgelenk bis dicht unter dem Ellenbogen verbunden war.

„Erinnerst du dich daran, was passiert ist, Pippin?“ fragte Celeborn.

„Die Höhle.“ flüsterte Pippin. „Habt Ihr... sind sie zurück?“ Er blickte wild um sich, aber er sah niemanden sonst in dem großen Zelt.

„Sie sind noch nicht zurückgekehrt.“ sagte Celeborn sanft. Er setzte sich neben Pippin auf das Bett. „Gandalf, Elrond, Galadriel, Elrohir und Samweis sind gegangen, um unsere Verlorenen zu finden. Es ist erst ein paar Stunden her, dass du so tapfer den Weg zu uns zurück gefunden hast.“ Er befühlte das Gesicht des Hobbits und spürte ohne Überraschung das leicht ansteigende Fieber. Der tiefe Schnitt in Pippins Arm war voller Schmutz gewesen, und winzige Splitter aus Metall und Glas waren hineingetrieben worden. Obwohl er die Wunde vor dem Nähen gründlich gereinigt hatte, hatte er befürchtet, dass sich eine Entzündung nicht ganz vermeiden ließ.

„Wie fühlst du dich?“

Pippin wollte sagen, dass er sich gut fühlte, und dass er sofort hinter Merry und Frodo her wollte, aber die tiefen, alterslosen Augen des Elbenherren verlangten nach der Wahrheit. „Schwindelig,“ seufzte er, „und Schmerzen. Ich fühl mich so... schwer,“ fuhr er fort, als er versuchte, seine Arme und Beine zu bewegen. „Schläfrig, und ein bisschen hungrig.“ Er versuchte zu lächeln. „Ich fühl mich nicht allzu übel, wirklich. Eine Höhle, die auf einen drauf fällt, ist nicht halb so schlimm wie ein Troll.“

Celeborn lachte. „Niemand wüsste das besser als du, mein Freund!“ Er ließ sanfte Finger hinter Pippins Kopf gleiten und der Hobbit zuckte zusammen. „Hier hast du eine Beule,“ sagte der Elbenherr, „und einige Kratzer auf deinen Schultern und auf deinem Rücken. Ich bezweifle, dass du in deiner Hast, Elladan beizustehen und zurückzukehren, um Hilfe zu holen, deine Verletzungen überhaupt bemerkt hast.“

Pippin seufzte. „Ich erinnere mich bloß, dass ich rannte und rannte...“

„Und mehr als einmal hingefallen bist du auch.“ Celeborn gluckste. „Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass wir den Schlamm von dir abgewaschen haben. Bevor er ging, hat mir Sam etwas von deiner übrigen Kleidung gebracht, damit du mehr anziehen kannst als ein Nachthemd.“

„Guter alter Sam.“ Pippin grinste. Er schaute auf seinen verbundenen Arm hinunter; er tat weh, aber nicht sehr. „Habt Ihr das gemacht?“

„Das habe ich,“ sagte Celeborn ernst. „ich hoffe, du wirst nicht unzufrieden sein mit meinen Fähigkeiten im Nähen. Wir benutzen einen einzelnen Faden aus Hithlain für Wunden; es sollte ohne Narben verheilen.“

„Ich danke Euch.“ flüsterte Pippin.

„Kannst du deine Finger für mich bewegen?“ fragte Celeborn und berührte behutsam Pippins rechte Hand. Er nickte befriedigt, als die kleinen Finger sich regten. „Sehr gut.“ lächelte er.

Pippin beobachtet, wie Celeborn aufstand; er fing an, verschiedene Pulver in einem Becher zu vermischen, dann fügte er warmes Wasser hinzu. Während er arbeitete, blieben die Augen des Elbenherrn gerade nach Osten gerichtet.

„Ihr seid besorgt um sie, nicht?“ fragte Pippin plötzlich.

Celeborn blickte den Hobbit überrascht an.

„Etwa nicht?“ bohrte Pippin.

„Ja.“ gab Celeborn zu. „Meine Herrin kommt in meinen Gedanken immer an erster Stelle, Pippin.“

„Wie lange seid Ihr verheiratet?“

„Eine sehr lange Zeit.“ erwiderte der Elbenherr. „Ich habe sie beim ersten Anblick geliebt.“

„Konnte ihre Familie Euch gut leiden?“

Celeborn konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Das geradlinige Benehmen der Hobbits und ihre eifrige Neugier waren für ihn eine unendliche Quelle des Entzückens. Er mischte das Tonikum fertig, schob seinen Arm unter Pippins Schultern und hob den Hobbit sanft hoch, um ihn trinken zu lassen. Pippin fand, dass die warme Flüssigkeit überraschend süß schmeckte und trank sie langsam.

„Meine Herrin hatte vier Brüder.“ sagte Celeborn mit einem Grinsen. „Sie waren sehr wachsam, wenn irgend jemand ihrer Schwester den Hof machte, deshalb habe ich mich von meiner besten Seite gezeigt.“

„Vier?“

„In der Tat. Hast du Brüder?“

„Schwestern,“ seufzte Pippin, „Drei.“ Er gähnte, plötzlich sehr schläfrig. Der warme Trank hatte seinen Magen so gefüllt wie eine gute Mahlzeit; er erinnerte ihn vage an den, den sie fast ein Jahr zuvor auf der Straße von Glorfindel bekommen hatten. „Was war da drin?“

„Es ist ein Stärkungstonikum.“ sagte Celeborn. „Du hast eine große Menge Blut verloren, Pippin; sei nicht überrascht, wenn du dich mehrere Tage sehr müde oder schwach auf den Beinen fühlst. Du musst so viel wie möglich ausruhen.“

„Bitte bringt mich nicht zum Einschlafen.“ bettelte Pippin. „Ich muss wach sein, wenn Merry und Frodo zurückkommen.“

„In dem Tonikum sind keine Schlafkräuter.“ versicherte ihm Celeborn. „Du hast sie nicht nötig. Dein Körper sehnt sich ganz natürlich nach Schlaf, damit er ruhen und heilen kann. Wenn du aufwachst, werde ich stärkende Nahrung für dich bereit haben, von der ich hoffe, dass du sie genießt, und Kräutertränke, die dir helfen werden, deine Stärke wiederzugewinnen.“

„Verbraucht nicht alle Medizin für mich,“ sagte Pippin, plötzlich alarmiert. „Die anderen könnten... vielleicht brauchen sie...“

„Mach dir keine Sorgen,“ sagte Celeborn sanft. „Was immer Merry, Frodo und Elladan brauchen mögen, es wird für sie bereitstehen.“

Pippin wollte sich nicht der tiefen Schläfrigkeit überlassen, die ihn ergriff und versuchte, das Gespräch in Gang zu halten. „Habt Ihr gewusst, dass der Balrog da oben auf dem Gipfel über uns ist?“

„Das ist er in der Tat.“ Celeborn lächelte ihn an. „Und wusstest du, dass wir uns genauso um Gandalf gekümmert haben, wie ich mich jetzt um dich kümmere, als der Fürst der Adler ihn zu uns brachte?“

„Ich dachte nicht, dass sich Zauberer jemals verletzen. Ich meine, nicht sehr.“

„Ah, aber sie tun es.“ sagte Celeborn mit einem Glucksen. „Und er war ein überaus schwieriger Patient.“

Pippin stellte fest, dass er den Gedanken an einen bettlägerigen Gandalf ziemlich genoss... ein Gandalf, der sich über juckende Verbände und den Geschmack der Medizin beschwerte. Er gähnte erneut und Celeborn begann ein leises Lied. Pippin hatte den Elbenfürsten noch nie singen hören, und er mochte seine Stimme – tief und voll. Er konnte die Worte nicht verstehen, aber sie klangen... er konnte beinahe... Er schlief fest ein, inmitten von Visionen voller sternenheller Himmel und frischer, grüner Wälder.

Celeborn blickte plötzlich auf, seine Augen abwesend, als seine Gedanken erfüllt wurden von Galadriels Gegenwart und ihrer Stimme. Er nickte, dann verließ er das Zelt. Elladan war am Leben, aber verwundet. Eine bewaffnete Wache musste ausgesandt werden, um Saruman zurück zum Lager zu eskortieren. Er hielt inne, um zu dem großen Zelt zurückzuschauen; er fragte sich, wie viele verletzte Elben oder Hobbits bei Einbruch der Nacht dort liegen mochten.

*****

Sam, der sich durch das selbe kleine Loch in den Trümmern gequetscht hatte wie Pippin, stand endlich in der Höhle selbst. Er zog Stich -- er hatte darauf bestanden, es mitzubringen – und er holte tief und erleichtert Luft, als es dunkel blieb. Also keine Orks. Wenigstens etwas. Vor sich konnte er das flackernder Licht eines sterbenden Feuer sehen; es zog ihn vorwärts.

Gandalf, Elrohir, Elrond und Galadriel, die fieberhaft gearbeitet hatten, um so viele Trümmer wie möglich aus dem größtenteils blockierten Eingang fortzuschaffen, legten endlich einen Weg frei, der breit genug war, damit auch sie die Höhle betreten konnten – ein Weg, der ihnen erlaubte, ihre verletzten Gefährten hinauszubringen.

„Gandalf!“ rief Sam aus. „Hier drüben!“

Der Zauberer sagte ein leises Wort, und plötzlich flammte sein Stab in hellem Licht und erleuchtete einen großen Teil der Höhle. Aller Augen wurden von der Stelle angezogen, wo Elladan lag, bleich und still. Das eine Ende eines schweren, dicken Balkens lag teilweise über seiner Brust und Sam kämpfte erfolglos darum, ihn zu bewegen.

Elladan rannte sofort zu seinem Bruder, bat Sam, zur Seite zu treten und ergriff das Ende des Balkens mit beiden Händen. Mit einem heiseren Schrei, jeden Muskel angespannt, hievte er ihn von der Brust seines Bruders herunter und ließ ihn schwer auf den Boden fallen. Keuchend kniete er neben Elladan nieder und schloss seine Hände um das reglose Gesicht, damit sein Bruder seine Gegenwart spüren konnte. Galadriel kniete sich schnell neben Elrohir; sie schloss Ellandans schlaffe Finger wieder um die Phiole, dann legte sie ihre eigene Hand auf seine Stirn. Sam meinte einen weißen Blitz zu sehen, dann schien ein sanftes Licht den besinnungslosen Elben zu durchdringen. Gandalf fing an, das Feuer mit dem trockenen Holz, das da war, neu aufzubauen und Sam beeilte sich, ihm zu helfen.

Elrond hatte mittlerweile die Mäntel und Jacken, die Pippin über Elladan drapiert hatte, beiseite geräumt. Er ließ die erfahrenen Finger über seinen verwundeten Sohn gleiten, mit Geist und Körper forschend. „Drei gebrochene Rippen, „ murmelte er, „aber das ist nicht die Ursache der Schwäche, die ich fühle. Viel von Elladans Stärke ist dafür verbraucht worden, etwas zu... bekämpfen...“

„Saruman,“ murmelte Gandalf, „ihm ist wenig Macht geblieben, aber er war wohl kaum imstande, einem so verletzlichen Ziel zu widerstehen. Saruman hat keine Liebe für die Elben, oder für irgend ein anderes Lebewesen.“

„Herr Pippin muss die Wasserflasche in der Nähe zurückgelassen haben.“ sagte Sam, „und Elladan hat Herrn Frodos Sternenglas gehabt.“

Galadriel nickte. „Pippin sagte, er hätte alles getan, was er konnte – er hat irgendwie gespürt, dass die Phiole ein Segen sein würde, ohne zu wissen, wie.“

„Diese Verletzungen hätten viel schlimmer sein können,“ sagte Elrond mit offensichtlicher Erleichterung und fing an, Elladans Tunika zu lösen.

„Ich werde mich um ihn kümmern, Vater,“ sagte Elrohir, der bereits lange Stoffstreifen aus seinem Bündel zog. „Ich werde seine Rippen gut genug verbinden, dass er den Weg zurück zum Lager erträgt – sind wir einmal da, können wir gründlicher für ihn sorgen.“

„Ich bleibe zusammen mit Elrohir,“ sagte Galadriel; ihre Hand ruhte noch immer sanft auf Elladans Stirn. „Selbst mit der Phiole als Hilfe hat sich Elladan beinahe darin verbraucht, der kalten Finsternis zu widerstehen, die versuchte, ihn von uns zu nehmen.“ Sie schloss die Augen und lächelte. „Nenyas Macht ist noch immer stark genug zu kräftigen und zu schützen. Er träumt nun, von Sternenlicht umgeben. Die Heilung kann beginnen.“

„Celeborn spürte, dass alle drei Ringe gebraucht werden würden.“ bemerkte Elrond gedankenvoll. „Jetzt frage ich mich, was wir entdecken, wenn wir Frodo und Merry finden.“

Elrohir schaute sich um. „Hier sind so viele Trümmer verstreut; ich werde eine Trage bauen können. Wir halten Elladan warm und machen es ihm bequem, bis ihr wiederkommt.“ Er begann, die Rippen seines Bruders zu verbinden; Elladan regte sich leise und verzog vor Schmerz das Gesicht. „Lass uns einen Trank für ihn zurück, Vater,“ fuhr Elrohir fort. „Wenn er aufwacht, wird er große Qualen leiden; und er wird leichter reisen, wenn wir ihn im Schlaf halten.“ Er streichelte sanft Elladans Stirn, und der verletzte Elb beruhigte sich unter der Berührung seines Bruders.

Sam spähte inzwischen in den Eingang eines Tunnels hinter ihnen; als Fackel benutzte er einen langen Ast, den er ins Feuer gestoßen und in Brand gesetzt hatte.

„Ist es da, wo diese Schurken Herrn Merry und Herrn Frodo hingebracht haben?“ fragte er plötzlich.

„Ja.“ sagte Gandalf. „Frodo hat ein Bild von genau dieser Stelle gesendet.“

„Was genau hat Herr Frodo dir gezeigt, Gandalf?“ bohrte Sam weiter.

„Einen langen Tunnel, Sam,“ erwiderte Gandalf, „Dann Abbiegungen nach rechts, links und wieder rechts. Scheinbar werden er und Merry von Saruman in einer großen, leeren Kammer festgehalten. Wir müssen vorsichtig sein; Frodo wusste nicht, ob Saruman oder Schlangenzunge bewaffnet sind oder nicht.“

„Ich werde Celeborn wissen lassen, was nötig ist,“ versicherte ihm Galadriel, „Eine Handvoll unserer Krieger, mit Bögen bewaffnet, sollten ausreichen, um Saruman und seinen Diener mit uns zum Lager zurückzueskortieren. Sie werden nicht lange brauchen, bis sie hier sind.“

Gandalf nickte. „Tut das, sofort. Wir könnten Hilfe brauchen, um Elladan diesen Berghang hinunter zu tragen, und wir wissen nicht, in welcher Verfassung wir die Hobbits antreffen werden. Sie könnten...“ Plötzlich sah er sich um und verzog ärgerlich das Gesicht. „Ich hätte es wissen sollen.“

Sam war weg.


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