Zweimal Jul
von Cúthalion, als Geburtstags-Geschenk für Novia

1431

In seinem ersten Jahr hat er noch nicht einmal zu krabbeln gelernt. Während des langen, nassen Herbstes hat eine gefährlichen Lungenentzündung ihn gepackt, mit brennendem Fieber und einem verblüffend tiefen, heiseren Husten, der den zerbrechlichen, kleinen Körper durchschüttelt und die Einwohner von Beutelsend jedes Mal zusammenfahren lässt, wenn er aus dem Kinderzimmer dringt.

Lily hat unermüdlich über ihrem Sohn gewacht, hin und hergerissen zwischen der Panik, dass sie Freddy durch die Krankheit verlieren könnte, und der nagenden Angst um seinen Vater. Die Oktoberschwäche schlug umso stärker zu, weil Frodo so sehr um sein einziges Kind fürchtete. Sie hatten beide mit den vertrauten, alten Dämonen von Schuld und Scham zu kämpfen, und in einer von Freddys schlimmsten Nächten fasste Frodo seine heimlichen Befürchtungen endlich in Worte: „Vielleicht ist es mein Fehler. Vielleicht muss er leiden, weil es mein Blut ist, das in seinen Adern fließt.“ Die Erinnerung an seine angstvolle, hoffnungslose Stimme schnürt ihr noch immer das Herz ab.

Aber jetzt ist der Dezember gekommen, und Freddy geht es endlich besser. Andi Brockhaus kommt nicht mehr täglich vorbei, und am Vorabend des Julfestes findet Lily ihren Mann und ihren Sohn im Studierzimmer. Freddy sitzt auf Frodos Knie, und als sie auf der Türschwelle steht, drehen sie im selben Moment den Kopf in ihre Richtung, die gleichen, indigoblauen Augen hell vor Freude… und sie schenken ihr das gleiche, langsame Lächeln, die kostbarste Gabe von allen.

 

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1435

Bei Freddy dauert es erstaunlich lange, bis er laufen kann – wenigstens viel länger als bei Samweis’ Söhnen Frodo und Merry, wie ihr Vater mit einem Zwinkern feststellt, ehe er hinter seinem Ältesten herhechtet, um dessen neueste Missetat zu verhindern. Aber nachdem der kleine Beutlin-Nachwuchs endlich festgestellt hat, wozu Beine gut sínd, nutzt er seine neu erworbene Fähigkeit mit wachsendem Selbstvertrauen dazu, den Smial zu erkunden, und er ist sehr froh über die Tatsache, dass er schon lange nicht mehr der jüngste Hobbit in Beutelsend ist.  

Nach ihm kamen Goldlöckchen und Hamfast, und vor zwei Jahren kam Margerite; jetzt gibt es ein neues Babymädchen namens Primula; sie wurde im November geboren, und Tante Rosie war stundenlang nirgendwo zu sehen, und dann verschwand seine Mama auch noch, und nachdem er eine Weile in einem seiner Lieblingsschränke herumgestöbert hat, bekam er Angst und ging auf die Suche nach ihr. Und da war Sam der Weise, der im kleinsten Wohnzimmer saß und Bier trank, und Freddys Papa, der mit derselben beruhigenden Stimme eine lange Geschichte erzählte, die er immer benutzte, wenn er ein Gute-Nacht-Märchen für Freddy spann. Und dann tauchte Mama plötzlich wieder auf, ein Lächeln in den Augen, und Sam der Weise putzte sich die Nase und versuchte, nicht zu weinen, bloß dass das nicht klappte… und Freddy dachte an den noch gar nicht so lang zurückliegenden Tag, als er im Garten gestolpert war und sich das Knie wehgetan hatte, und vielleicht hatte sich Sam der Weise auch das Knie wehgetan, und so machte er schüchtern das Angebot, ihm einen Kuss zu geben. Aber Sam lachte ein sehr fröhliches Lachen, und sein Papa nahm Freddy an der Hand und ging mit ihm in das Schlafzimmer hinüber, in dem Mama heute Mittag verschwunden war, um dabei zu helfen, das Baby auf die Welt zu bringen. Und da war es, in eine weiße Wolldecke gewickelt, und sein Gesicht sah aus wie eine rötliche Kartoffel. Aber Sam der Weise und Tante Rosie waren sehr glücklich, weshalb Freddy beschloss, dass er ebenfalls glücklich war.

Und jetzt ist es Dezember und Freddy sieht seinen allerersten Schnee; er stapft durch knietiefes, eisiges Entzücken und fängt Schneeflocken mit seiner Zunge ein. Und Jung Frodo hat versprochen, dass er ihm ein Bild malt, und Tante Rosie wird Kekse mit „Pfimm“ backen (wie Klein Rosie immer dazu sagt), und Baby Primula schläft nachts durch, ohne zu brüllen, und Mama wird mit ihrer lieblichen, warmen Stimme die alten Lieder singen, und sehr bald kommt das Julfest, und dann gibt es Geschenke.

Er kann es kaum noch erwarten.


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