Kalter Trost (Cold Comfort)
von Lady Aranel, übersetzt von Cúthalion

Ich wünschte, ihr würdet sie so sehen, wie ich es tue.

Menschen oder Zwerge mögen sich ihrer nicht so erinnern wie ich, mit elbischen Sinnen, scharf und klar. Ihr Bild steht jetzt vor mir, als würden siebzig Jahre zunichte; ihr goldenes Haar und ihre süßen Lippen, das Lächeln, das immer dann ihr Gesicht erhellte, wenn sie irgendeinen von uns ansah.

Ich war kampfesmüde und erschöpft in jener Nacht, und dennoch konnte ich keine Ruhe finden. Ich dachte daran, mir einen Apfel vom Tisch zu nehmen. Der Geruch hatte mich mit einer unnennbaren Sehnsucht oder mit einer Erinnerung an den Grünwald erfüllt. Meine Finger ruhten auf der Frucht und ich schmeckte sie beinahe auf der Zunge, bis ich unterbrochen wurde vom Geräusch eines Weinens.

Ich wandte mich um und sah sie dort beim Feuer, in Théodens Halle; das Licht schimmerte golden in ihrem Haar. Diese feine, starke Frau, die freiwillig und ohne zu schwanken dem Schicksal entgegentreten würde, das wir alle fürchteten. Hier war das zarte Herz, dass sie ihren Liebsten anflehen ließ, sie nicht ihrem Kummer zu überlassen, sondern sie mit in sein Schicksal hinein zu nehmen, gemeinsam mit uns allen, die wir ihm folgten. Sie konnte keinen Trost in dem Wissen finden, dass wir den Pfad ohne sie nehmen würden.

Ich dachte, sie dort ihrer Einsamkeit und Trauer zu überlassen, aber der Schmerz in ihr sprach laut zu mir und ich konnte mich nicht abwenden. In jener Nacht prägte sie sich tief in mein Herz, obwohl ich zweifle, dass sie es je gewusst hat.

Die Rundung ihrer Schulter war warm unter meinen Fingern. Ihr von Tränen gezeichnetes Gesicht wandte sich mir zu, als ich sie berührte. Ich fand ihre Schönheit nahezu so zauberhaft wie die irgendeiner Elbenmaid, und ihr Schmerz wallte auf in meinem Inneren.

„Herrin,“ begann ich, „ich wünschte, ich würde Euch nicht so betrübt sehen.“

„Ich bin nicht betrübt.“ Sie räusperte sich und straffte ihre Schultern, als wolle sie die Lüge verbergen, und doch zitterten ihre Hände nervös nahe der Brust. Ich fing sie mit meinen beiden Händen ein.

„Wir werden obsiegen.“ sagte ich.

Sie lächelte leicht. „Woher wisst Ihr das?“

Ihre Stimme bebte. Ich sah das Glimmen in ihren Augen, die mich ansahen und nach Hoffnung suchten, und ich gab ihr alles, was ich anbieten konnte.

„Weil auch ich ihn liebe.“

Ich glaube, dies war es, was ihre Entschlossenheit brach. Dies Geständnis, so kurz und knapp und freimütig aus meinem Mund, würde aus ihrem so klar nicht kommen... und doch wusste ich, wie deutlich sie es alle spüren ließ, die sie hörten, mich eingeschlossen.

Ich bot ihr die Zuflucht meiner Arme, ohne dass sie darum bat; ich spürte den Schlag ihres Herzen, ein wundersam starkes Ding, und doch so zerbrechlich. Ich hoffte, dass der Pfad, den wir am Morgen nehmen mussten, uns alle ungebrochen finden würde, wenn es zum Ende kam.

Ich war von ihrem Apfelblütenduft umgeben, und ich fragte mich, was mich in die Halle gezogen hatte: die Früchte oder sie. Ich legte meine Lippen gegen die Krone ihrer goldenen Flechten und atmete sie ein. „Brennil nin.“ flüsterte ich, und andere, elbische Worte; sie sprachen von Liebe, von Fürsorge und Trost. Ich wusste nicht, wie ich sie sonst beruhigen sollte.

Wir blieben dort eine kleine Weile und ich wiegte sie, bis ihr Schluchzen nachließ. Als sie mir wieder ihr Gesicht zuwandte, strömten die Tränen noch immer still, aber ungehemmt. Ich fing sie mit meinen Fingern auf und sah verzaubert zu, wie sie einen Moment im Feuerschein glitzerten und dann zu Boden fielen.

„Lasst ihn nicht gehen, Legolas,“ flüsterte sie. Ich wusste nicht, ob sie wünschte, dass ich ihn dazu brachte, bei ihr zu bleiben, oder ob ich auf unserer Fahrt treu zu ihm stehen sollte. Das erstere konnte ich nicht tun, und etwas anderes als das letztere brachte ich nicht über das Herz.

„Ich kann ihn nicht aufhalten, malthenil,“ Ich seufzte und streichelte ihr Haar. „Aber ich werde auf seine Sicherheit sehen, das verspreche ich.“

Sie löste sich von mir und mein Herz schien wie ausgeleert von der Abwesenheit ihrer Berührung. Sie straffte sich und begegnete meinem Blick mit Stolz.

„Dann will ich Euch für heute Nacht verlassen und Euch an Eurer Versprechen binden.“

Sie legte eine sanfte Hand gegen meine Wange, und ich legte die meine auf mein Herz. „Namár...“ begann ich. Sie drückte ihre Finger auf meine Lippen.

„Sagt es nicht!“ befahl sie und brachte jedes andere Wort mit einem einzigen, süßen Kuss zum Schweigen. „Gehabt Euch wohl, Legolas,“ flüsterte sie, und dann war sie fort.

Ich blieb noch lange, nachdem sie gegangen war. Das Feuer verbrannte zu Asche und Schlacke; die Erinnerung an sie verweilte auf meinen Lippen.

„Mae govannen, Éowyn.“ flüsterte ich in die leere Halle hinein.

Als der Tag anbrach und die Fahrt wieder vor uns lag, fürchtete ich die Toten nicht. Es waren die Lebenden, die mich verfolgen würden.

*****

„Sie war eine starke und schöne Frau.“ sagte Gimli leise.

Ich wandte mich nicht um. Ich wollte ihn die Tränen, die ungehemmt flossen, nicht sehen lassen.

„Ja.“ antwortete ich. Eine Träne glitzerte für einen Moment im Sonnenlicht und fiel zu Boden.

„Faramir wartet.“

Ich stand reglos am Fenster. Apfelblütenduft hüllte mich ein von dem Baum, den ich im Vorhof unter mir für sie gepflanzt hatte.

„Jungchen?“ Gimlis Stimme war ungeduldig, aber voller Güte. „Geht es dir gut?“

„Siebzig Jahre sind vergangen und noch immer nennst du mich ,Junge’.“ Ich lächelte und drehte mich zu ihm um. „Es geht mir gut, mellon nin.“ Meine Stimme stak mir in der Kehle; ich konnte nicht verbergen, dass ich log.

„Man hat sie aufgebahrt.“ Seine Hand legte sich sanft um meinen Arm. „Möchtest du sie ein letztes Mal sehen?“

„Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig.“


ENDE


Brennil nin – meine Herrin

Malthenil – meine Goldene

Namárië – Lebt wohl

Mae govannen – Gehabt euch wohl

Mellon nin – mein Freund


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