Mit Schönheit gezeichnet (Beauty Mark)
von Ruby Nye, übersetzt von Cúthalion

„Botendienst!“ Die volle, junge Baritonstimme trug weiter als das höfliche Klopfen an der Tür. Elanor Gamdschie schaute auf und bemerkte, dass keines ihrer zwölf Geschwister in der Nähe war; sie seufzte, legte ihr Buch vorsichtig hin, (es war eine Gedichtsammlung auf Sindarin, die Frodo Beutlin ihnen hinterlassen hatte, und überaus wertvoll) ging die Tür öffnen --- und schnappte nach Luft.

Der Hobbit in den späten Zwanzigern, der auf der Türschwelle von Beutelsend stand, war nicht der übliche Bote. Er hatte dichtes, rotes Haar, roter als das ihrer Schwester Rubinie, eine Masse kleiner Locken, die das Sonnenlicht einfingen. Er hatte helle, mit Sommersprossen übersäte Haut, breite, starke Schultern und einen schockierten Ausdruck in seinem stupsnasigen Gesicht. Elanor machte ihren eigenen Mund rasch zu, schob den Gedanken beiseite, wie gut er aussah und versuchte, gelassen dreinzuschauen; sie war viel zu gewöhnt an diesen schockierten Blick, wenn Hobbits, die sie noch nie gesehen hatten, ihre belastende Schönheit in sich aufnahmen, das silbrig-goldene, seidige Haar, die blütenblattzarte Haut und die großen grauen Augen. Sie war immer noch ein Hobbit, immmer noch eine Gamdschie, aber jeder, der sie anblickte, sah eine kleine Elbenfrau oder die Erbin von Beutelsend oder beides; ihre Eltern sahen ihren verlorenen Herrn Frodo, die dahingegangenen Elben und eine geschwundene Welt. Niemand außer ihren Geschwistern sah Elanor.

Also schloss sie ihren Mund zu einer festen Linie und streckte die Hand aus, aber der rothaarige Bursche lächelte und es kam ihr vor, als ob die dunkelblauen Augen sie wirklich sahen. „Fräulein Gamdschie,“ sagte er und verbeugte sich höflich. „Ich bin euer neuer Hobbinger Bote; Bob ist ins Südviertel gezogen. Man nennt mich Rotschopf, und ich stehe dir zu Diensten.“

„Hallo, Meister Rotschopf. Ich bin Elanor.“ Warum hab ich das gerade gesagt? dachte sie. Versuchte sie nicht, gelassen auszusehen? „Danke für unsere Post.“ Was konnte sie sonst sagen? Warum wollte sie noch mehr sagen?

„Gern geschehen, Fräulein Elanor,“sagte der Rotschopf, und er lächelte nicht ihrer Schönheit, sondern ihretwegen; dann war er fort und Elanor wollte ihn zurückrufen, sogar noch während sie über sich selbst den Kopf schüttelte und sich fragte: Warum?

******

Beim nächsten Ruf des Boten war Elanor tief in der Geschichten von Rohan versunken, und sie kam zur Tür mit dem Buch in der einen und einem Apfel in der anderen Hand; Die Augen des Rotschopfs leuchteten auf, als er das Buch sah. „Was liest du da, Fräulein Elanor – wenn ich fragen darf?“

Elanor betrachtete ihn einen Augenblick, bevor sie antwortete. Allzu oft wurde sie gefragt, weshalb sie so viel las, und ob das denn eine passende Beschäftigung sei für ein junges Mädchen; erst letzte Woche hatte eine Gevatterin geraunzt: „Na, heiraten wirst du wohl können mit so einem Gesicht, aber pass auf; kein Hobbit will eine Frau, die mehr gelernt hat als er.“ Der Rotschopf allerdings wirkte nicht missbilligend, sondern ehrlich interessiert, also hielt sie das Buch hoch, damit er es sehen konnte, während sie es ihm erklärte.

„Rohan!“ Die blauen Augen des Rotschopfs wurden abwesend und verträumt, Elanor blinzelte vor Überraschung. „Ist der Herr von Bockland nicht ein Knappe von Rohan?“

„Onkel Merry.“ erwiderte Elanor ohne nachzudenken und hätte sich selbst treten können, als die Augen des Rotschopfs weit wurden. „Herr Meriadoc Brandybock. Ja, ist er.“

„Ich frage mich, wie die Länder der Menschen wohl sind, so weit weg...“ Seine Augen konzentrierten sich wieder auf ihr Gesicht.

Elanor atmete tief ein, überlegte und antwortete: „Wundervoll, wenn auch übergroß. Meine Eltern und ich haben ein Jahr in Gondor verbracht, in meinen frühen Zwanzigern.“

„Oh!“ Wie diese blauen Augen leuchteten. „Ich würde... würdest du... darf ich dich bitten, mir davon zu erzählen?“ Er sah aus, als wollte er es auch wirklich hören.

Elanor öffnete wieder den Mund, aber gerade in diesem Moment rief ihre Mutter. „Elanorelle, wer ist an der Tür?“

„Elanor verdrehte die Augen, als sie sich umdrehte. „Die Post, Mam. Unser neuer Bote, er heißt Rotschopf.“

„Und er hat noch mehr auszuliefern, Elanor.“ erwiderte ihre Mutter sanft, aber fest. Elanor biss sich auf die Lippen und wandte sich zu dem Rotschopf zurück, der reumütig lächelte.

„Sie hat Recht, Fräulein Elanor. Ich sollte gehen.“

„Ich...“ Aber er verbeugte sich bereits, dann machte er sich auf den Weg dem Pfad hinunter, mit leichterem Schritt als jeder andere, ausgenommen vielleicht Faramir Tuk. Elanor sah ihn gehen und wollte ihn zurückrufen.

******

Elanor lag im Bett und las die selbe Seite wieder und wieder, irgend etwas über Éoreds in Rohan. Sie war krank gewesen, und es regnete. Nicht sehr krank, und kein starker Regen, aber genug von beidem; es war das erste Mal in drei Tagen, dass sie sich wohl genug fühlte, um zu lesen, aber alles, woran sie denken konnte, war der Rote, und wie sein Gesicht sich erhellt hatte, als sie ihm erzählte, dass sie außerhalb des Auenlandes gewesen war. Er schaute nicht missbiligend, wie so viele ältere Hobbits es taten. Er schaute nicht verängstigt, wie so viele Hobbits in ihrem Alter. Er sah interessiert aus. An Rohan. An Gondor. An ihr.

Elanor machte das Buch zu und lauschte auf den Regen. Sie war achtundzwanzig, und sie war eine Närrin, an ihn zu denken. Natürlich war er interessiert; viele junge, unverheiratete Hobbits waren es, sie hatten ihr den Hof gemacht, seit sie jünger war als Margerite, seit sie zu jung war, um zu wissen, was „den Hof machen“ war. Sie waren interessiert an ihrem hübschen Gesicht, ihrem seidenglatten Haar, ihrer lächerlichen Schönheit, am Ruhm ihres Vaters und dem wohlbekannten Reichtum von Beutelsend. Sie waren daran interessiert, was sie davon hatten, wenn sie mit ihr zusammen waren.

Pansy war es ganz sicher gewesen; Elanor dachte an sie und zog ein Gesicht. Süße Worte, süße Küsse und bald genug: „Elanor, mein Honigkuchen, kauf mir das,“ und „Elanor, meine Beste, leihst du mir ein paar Pennies?“ bis Elanor sich in einer feurigen Auseinandersetzung von dem kleinen Blutegel befreit hatte. Rory war es ganz bestimmt gewesen; Elanor dachte an ihn und zuckte zusammen. Er hatte sie bezaubert, sie hatte gedacht, dass sie ihm tatsächlich etwas bedeutete... bis zu dem Tag, an dem er beim Spiel zuviel Geld verlor und sie ihn anschrie, dass er Geld verschwendete. Er schrie zurück, dass er, sobald sie verheiratet waren, all ihre Bücher verkaufen und Beutelsends Juwelen ausgraben würde.

Das war das Ende der Affäre, und soweit es Elanor anging, das Ende der Liebe und andere Zwanziger-Narrheiten überhaupt. Wenn Herr Frdo und Herr Bilbo Gelehrte sein konnten, dann konnte sie es auch; wenn sie unverheiratet leben konnten, dann sie ebenso. Sie konnte bereits vier Sprachen lesen und sprach gut Sindarin, und wenn sie jährig wurde, würde sie nach Gondor zurückgehen und in den großen Marmorsälen von Minas Tirith leben. Sie würde Worte und Ideen übersetzen und König Elessar auf ihre kleine Weise helfen, die Völker Mittelerdes zusammenzuhalten.

Selbst noch während sie dies dachte, streckte Elanor die Hand aus, um eine Apfelblüte in dem Krug voller Blumen zu liebkosen, die ihre Schwester Primelrose ihr gebracht hatte; sie schaute auf den Blumenkasten, der sogar im Regen noch leuchtete und erinnerte sich an das Gefühl üppiger Gartenerde zwischen ihren Zehen.

„Die Post ist da!“Rosie platzte ins Schlafzimmer und entkam knapp Merry und Goldi und Pippin und Margerite hinter sich. Elanor zuckte zusammen, als Rose die Tür zuknallte und eine Truhe davorschob; als Rose sich ihr zuwandte, hüpfte sie und ihre Augen strahlten, während sie ausrief: „Oh Elle! Er hat mir geschrieben!“ ,Er’ war Andi Gutkind, diesen Monat jedenfalls. Elanor lächelte ihre erfreute Schwester an; sie wandte sich ab, um Rose wenigstens soviel Privatsphäre zu ermöglichen, dass niemand zusah, während sie ihren Brief las. Streng sagte sie sich selbst, dass sie sich keinen eigenen Brief wünschen und nicht an den Boten denken sollte, der sie brachte. Es war närrisch. Sie hatte ihn erst zweimal getroffen!

„Oh Elle, der Bote hat nach dir gefragt.“sagte Rose abwesend, und Elanor setzte sich so schnell auf, dass ihr schwindelig wurde.

„Wirklich? Was hat er gesagt?“

Bei ihrem Tonfall drehte sich Rose um und lachte. „Was denn, Elanor, bist du...“

„Nein, ich bin nicht in ihn verschossen! Er hat einfach... er war interessiert an meinen Reisen mit Mam und Da. Was hat er gesagt?“

„Dass er hofft, es geht dir gut.“sagte Rose, gerade als die Tür unter den entschlossenen Anstrengungen von vier jungen Hobbits erzitterte. Rose versteckte ihren Brief unter dem geheimen Dielenbrett, lächelte Elanor verschwörerisch an und öffnete die Tür, bevor ihre Geschwister sie niederrissen. Elanor schloss die Augen, als sie in den Raum schwärmten; sie schloss ihren Lärm aus und bewegte die Worte des Rotschopfs in ihrem Geist hin und her.

******

Das Wetter war ziemlich heiß für Mai. Als Elanor Rotschopfs Stimme hörte, rannte sie den Gang hinunter, schlängelte sich zwischen drei Geschwistern hindurch, sprang über ein anderes und erreichte die Tür vor ihrer Mutter, die sie überrascht ansah und zurücktrat, um sie öffnen zu lassen. „Hallo, Meister Rotschopf.“ sagte Elanor so ruhig sie konnte.

„Hallo, Fräulein Elanor, Frau Gamdschie.“ Rotschopf verbeugte sich und ein Schweißtropfen fiel von seiner Nase.

„Dir muss heiß sein.“sagte Elanor. „Möchtest du gern hereinkommen? Ich meine... Mam... Mutter... können wir ihn hereinbitten?“

„Sicher, Elanor.“erwiderte ihre Mutter; Lachfältchen in den Augenwinkeln. Elanor zog ihr eine Grimasse, als Rotschopf es nicht sehen konnte. Würde ihre Familie es denn nie aufgeben, sie mit jedem Zwanziger zu verkuppeln, mit dem sie sprach? Als ihr mit ihrer Mutter in dem kleinen Wohnzimmer saß, flog Elanor in die Küche, um kühles Gerstenwasser zu holen, und süßes Gebäck, und ein paar Erdbeeren, und --- sie schaute auf das überladene Tablett, hielt sich davon ab, noch irgend etwas hinzuzufügen und brachte es ins Wohnzimmer, wobei sie auf dem Weg über ein weiteres kleines Geschwisterchen stieg.

„Ich bin in Grünholm auf den Fernen Höhen aufgewachsen.“ sagte Rotschopf gerade, und ihre Mutter nickte weise.

„Das erklärt deinen Westviertel-Akzent.“ meinte ihre Mutter weise. „Oh, lieb gedacht, Elanor! Die Erdbeeren sind dieses Jahr wunderbar gewesen, nicht?“

„Ja, Papa zieht die besten.“ sagte Elanor zustimmend; sie vibrierte wie eine gezupfte Bogensaite. Warum konnte sie bloß nicht still sitzen?

„Ist der gesamte Garten hier Meister Gamdschies Werk?“ fragte Rotschopf und nippte dankbar an seinem Gerstenwasser.

Er schaute Elanor an, aber es war ihre Mutter, die antwortete. „Seines, und das von Hamfast und Margerite, weil Jung-Frodo dieses Jahr in Tukland arbeitet, und Klein Bilbo und Robin fangen gerade erst an zu lernen, nicht, Elanor?“

„Wirklich.“ erwiderte Elanor abwesend, dann sprang sie von ihrem Stuhl auf. „Rotschopf, du möchtest vielleicht... ich meine... ich habe noch ein Buch gefunden.“ Und sie rannte den Korridor hinunter, als wären Hunde auf ihren Fersen. Was stimmte nicht mit ihr? Sie zwang sich, ruhig und gesetzt zurück zu gehen; im Geiste stellte sie sich die Art vor, wie Königin Arwen dahinglitt – wie Licht auf Wasser; sie holte tief Luft und schritt sorgsam in das Zimmer, um Rotschopf das Buch über die Verbindung zwischen Rohan und Gondor zu reichen, das sie gefunden hatte.

Als er seine Hand über den Einband gleiten ließ, bemerkte sie, wie lang seine Finger waren; sie öffneten das Buch vorsichtiig und mit Ehrfurcht. „Dankeschön, Fräulein Elanor. Ich wünschte, ich könnte es mir ausleihen.“

„Du musst einfach nur... ich meine, wann immer du wiederkommst, kannst du gerne hereinkommen und es anschauen und irgendetwas trinken... ich meine... darf er, Mutter?“

Elanors Mutter nickte mit einem Lächeln; Rotschopf schaute zu Elanor hoch, wurde plötzlich so rot wie sein Haar und sprang von seinem Stuhl auf. „Oh ja, danke sehr! Aber ich sollte, ich müsste...“

„Du musst gehen.“ sagte Frau Gamdschie sanft und scheuchte ihn hinaus. Elanor folgte – warum, konnte sie nicht sagen – aber an der Tür nahm Rotschopf die Hand ihrer Mutter und drückte sie, dann nahm er ihre und hielt sie für einen Moment einfach fest. Seine Hand war nicht so schwielig wie die ihres Vaters, aber auch nicht glatt, und sie war warm. Elanor musste ihre Finger zwingen, sich aus den seinen zu lösen.

Elanor stand an der Tür und sah ihm nach, bis ihre Mutter sagte: „Ich habe deinem Vater auch immer nachgeschaut, genau so.“

„Ich bin nicht in ihn verliebt!“ beharrte Elanor und floh in ihr Zimmer.

Spät in dieser Nacht saß Elanor im Studierzimmer, vor sich einen sorgsam freigeräumten Platz. Im Licht von zwei Kerzen entwarf sie eine Notiz auf einem kleinen Pergamentschnitzel; sie sah sie an, fluchte in sich hinein und entzündete die Notiz in der Kerzenflamme. Sie ließ sie in einen großen Tontopf fallen, um sie verbrennen zu lassen. Diese Prozedur wiederholte sich eine ganze Weile und während die Nacht voranschritt, wurden ihre Flüche immer einfallsreicher; immerhin konnte sie vier Sprachen lesen.

Ihre Mutter fand sie am nächsten Morgen, über dem Tisch zusammengesunken, die Kerzen neben ihr niedergebrannt, ihre Finger mit Tinte beschmiert. Frau Rose schlich in das Herrenschlafzimmer zurück, um ihren Mann zu holen, und Elanors Eltern standen beisammen und schauten sie an, wie sie schlief mit dem Gesicht auf den Armen, einen Federkiel lose in den Fingern... so, wie sie einen anderen Hobbit in genau der selben Haltung betrachtet hatten, viele Jahre zuvor.

Elanor schrak auf und hob den Kopf. Ihre Eltern lächelten sie an, aber nicht sie war es, die sich in ihren Augen spiegelte. Niemand sah sie. Sie war eine Närrin zu denken, dass Rotschopf es tat. Ohne auch nur ein „Guten Morgen“ rannte sie an ihnen vorbei den Gang hinunter in das Zimmer, das sie sich mit Rose und Goldlöckchen teilte und warf sich auf ihr Bett. Goldi, die gerade aufstand, starrte sie an, aber Elanor starrte zurück, bis sie ihre Augen abwandte.

Ihre Familie ließ sie während des ersten und auch des zweiten Frühstücks in Frieden. Um den Elf-Uhr-Imbiss herum sank die Heftigkeit von Elanors Wut unter die ihres Hungers; als sie gerade aus ihrem Bett kletterte, kam ein Klopfen an der Tür. „Ja?“

„Elanor?“ Es war die Stimme ihres Vaters; Elanor seufzte. „Komm rein, Da.“

Er hielt ein Stück Brot, um ein Stück Käse und zwei gebratene Eier herumgeklappt, und einen Becher Apfelwein in der anderen Hand. Elanor konnte nicht anders, sie musste lächeln. Er ließ sie essen und trinken und saß lange geduldig auf ihrer Bettkante, bis er nicht mehr tat, als sich einladend zu räuspern.

Elanor seufzte wieder und lächelte. „Ich muss mich entschuldigen, Da. Das war rüde von mir, an dir vorbeizustürmen ohne ,Guten Morgen’ zu sagen.“

„Sieht dir nicht ähnlich,“ stimmte er milde zu. „Macht es dir was aus, mir zu sagen, was du auf dem Herzen hast, Elanorelle?“

Elanor schüttelte den Kopf, aber sie sprach trotzdem. „Da, ich hab bloß... du und Mam, als ich heute Morgen aufgewacht bin.... ihr habt nicht mich angeschaut. Ihr habt eine Erinnerung angesehen, die einmal da gesessen hat, wo ich saß.“ Er legte seinen Arm um sie und nickte, und sie fuhr fort. „Ich... niemand sieht mich, Da. Erinnerst du dich, wie Goldi die Hälfte von ihrem Haar abgeschnitten und geschrien hat, dass sie es hasst und auch, dass ihr Name daher kommt?“

Sie lachten beide über die Erinnerung, aber Elanors Vater nickte wieder und ermutigte sie, fortzufahren.

„An manchen Tagen möchte ich beinahe dasselbe tun. Niemand sieht mich, Da, die sehen bloß mein Gesicht und mein Haar und meinen Namen und Herrn Frodo, der vor mir ein Gelehrter war, und der das Auenland mit dir und Onkel Merry und Onkel Pippin gerettet hat, Sogar du und Mama, ihr seht manchmal nicht mich.“

„Und du machst dir Sorgen, dass der neue Botenjunge dich nicht sieht?“ Elanor zuckte zusammen; ihr Vater lächelte. „Er wird Rotschopf genannt, nicht? --- Stand auf einem der Pergamentschnitzel.“ erklärte er. „Die sind nicht alle verbrannt.“

Ertappt verdrehte Elanor die Augen und lachte hilflos. „Da, das ist hinterhältig!“ protestierte sie, aber sie nickte doch. „Das tue ich. Ich meine nur... er scheint sich für die Welt zu interessieren, er liebt Bücher, das kann ich an seinen Händen sehen. Ich will ihn zum Freund haben. Ich will, dass jemand mich sieht. Ist das nicht albern?“

„Überhaupt nicht albern, Elanor.“ Ihr Vater küsste sie auf die Stirn. „Und jetzt bin ich dran, dich um Vergebung zu bitten. Du hast Recht...manchmal wenn ich dich und Jung-Frodo anschaue, dann seid es nicht ihr, die ich sehe. Alle meine Kinder, aber am allermeisten ihr zwei, haben etwas von Herrn Frodo, und ich liebe euch dafür: ich liebe euch aber auch, weil ihr meine Kinder seid, und weil ihr zu solch feinen Hobbits aufgewachsen seid. Deine Mam und ich, wir sehen dich, Elanor. Und wenn dieser Junge das ist, was deine Mam von ihm sagt, dann glaube ich, er sieht dich vielleicht auch.“

Elanor atmete langsam aus; sie hatte gar nicht bemerkt, das sie die Luft angehalten hatte. „Da. Da, ich danke dir.“ Sie warf die Arme um ihren Vater und er hielt sie einen langen Augenblick fest, bevor er sie losließ und sagte: „... und wenn wir hier fertig sind, das Geschirr müsste gespült werden.“, und als sie aufstöhnte, lachte er.

******

Das nächste Mal, als die Post kam, war ein Brief für Elanor dabei. Rotschopf lächelte sie an, aber er war blass unter seinen Sommersprossen; Elanor hätte beinahe gefragt, was ihn bekümmerte, aber er war schnell wieder fort. Dann öffnete sie ihren Brief und begriff.

Fräulein Elanor Gamdschie stand in einer großen, aber festen Handschrift darauf. Innen hieß es: Liebes Fräulein Elanor, ich hoffe, ich bin nicht anmaßend... ich möchte dich gern bitten, mich heute Abend um neun Uhr am Festbaum zu treffen. Wenn du das nicht möchtest, dann vergib mir bitte meine Frechheit und denk nicht schlecht von mir. Der Deine, Fastred von Grünholm.

Elanor merkte nicht, dass sie aufschrie, bis ihre Familie sich aus sämtlichen Räumen und Fenstern ergoss, um zu sehen, was los war, und dann musste sie den Brief rasch in ihrem Mieder verstecken und behaupten, sie sei über den Schirmständer gefallen.

Irgendwie schaffte sie es, den endlosen Tag zu überleben. Um halb acht nahm sie sich ein Buch mit in ihr Zimmer, wo sie sich umzog, ihr Haar flocht und es sich um den Kopf wand. Impulsiv befestigte sie den Zopfkranz mit einer Nadel aus Kristall und Silber. Rose kam herein, gerade als Elanor damit fertig war, sich anzukleiden; sie nahm Elanors Erscheinung in sich auf und grinste. „Viel Spaß.“ sagte Rose zu ihrer Schwester, die errötete, ein sorgfältig ausgewähltes Buch an sich nahm und aus dem Fenster kletterte.

Rotschopf – Fastred – saß unter dem glattrindigen Mallorn, die Hände um die Knie geschlungen; als er Elanor sah, sprang er auf die Füße und verbeugte sich. „Oh, du bist gekommen! Dankeschön!“

„Ja, bin ich.“ sagte Elanor und schaute zu ihm auf. Er war groß, dachte sie, mehr als vier Fuß. „Ich... also... ich bin froh, dass du mich gefragt hast. Ich habe eine Geschichte von Gondor mitgebracht. Möchtest du etwas von meiner Zeit dort hören?“Sie plapperte. Sie presste die Lippen zusammen, um den Strom der Worte aufzuhalten.

„Sehr gern.“sagte er zustimmend; seine Augen sahen aus wie Stücke vom Nachthimmel. „Ich fürchte, ich habe gar nichts mitgebracht. Ich konnte keine Blumen finden, die so hübsch sind wie du. Ich meine... oh, es war dumm, das zu sagen. Es tut mir leid, Elanor.“

„Mir nicht.“ Elanor drängte ein Kichern zurück, holte tief Luft und legte ihre Hand um seinen Arm. „Fastred. Ich mag den Namen. Wirst du immer ,Rotschopf’ genannt?“

„Bloß hier in Hobbingen. Daheim haben wir fast so viele Rotköpfe wie die Tuks.“Fastred lächelte; das gefiel Elanor auch. Sie hatten einen hell vom Mondlicht erleuchteten Grasflecken auf der Festwiese erreicht; sie ließen sich zusammen nieder und Elanor schlug ihr Buch bei der Karte auf, holte tief Luft und begann zu reden.

******

„Wie spät ist es?“ fragte Elanor verträumt. Sie und Fastred hatten so lange zusammen gesessen, dass es sich wie ein Zeitalter der Welt anfühlte, oder wie fünf Minuten. Sie hatte ihm alles über diese Reise nach Gondor erzählt, woran sie sie erinnern konnte, wie es gewesen war, Königin Arwens Ehrenhofdame zu sein, als sie sechzehn war und eine ganze Menge mehr. Er erzählte ihr von seinem Zuhause am Rande des Auenlandes, seinen Eltern, seiner Schwester und seinem Bruder, seinen Büchern und von der Verblüffung seiner Familie über seine Wanderlust; da er nicht die ganze Welt bereisen konnte, war er vor drei Jahren dem Botendienst beigetreten, um das Auenland zu sehen und reiste in den Vierteln von Ort zu Ort. Tukland war seine liebste Poststelle gewesen, hatte er gesagt, bevor er nach Hobbingen kam. Nach dieser Bemerkung war er rot geworden.

Eine Weile vor dieser Bemerkung hatten sich ihre Finger verschränkt. Und nun ruhte ihr Kopf auf seiner Schulter.

„Ich denke, es könnte Mitternacht sein.“sagte Fastred und schute zu den Sternen auf. „Vielleicht noch später. Ich sollte dich nach Hause bringen.“

„Willst du gehen?“ fragte Elanor und biss sich angesichts ihres traurigen Tones auf die Lippen. „Ich meine, wo schläfst du?“

„Ich wohne im Grünen Drachen, das ist nicht weit weg.“Fastred lächelte wieder, und tatsächlich schien es sehr weit weg zu sein.

„Du kannst nicht so spät zurückgehen, ganz allein.“ sagte Elanor entschlossen. „Komm schon, wir haben Gästezimmer.“

Fastred wurde so blass, dass die Sommersprossen zu schwimmen schienen. „Deine Eltern, deine Brüder...“

„Meinen Eltern sind Gäste nicht fremd, und meine Brüder sind viel klener als du, Frodo ausgenommen, und er ist ein paar Monate lang nicht hier. Nebenbei bist du mein Freund, Fastred, deshalb müssten meine Brüder mit mir klarkommen.“Damit zog Elanor ihn auf die Füße. „Komm mit.“

Fastred lächelte, drückte ihre Hand und folgte ihr.

*******

Elanor wachte im grauen Licht vor der Morgendämmerung auf; die letzten Sterne verließen den Himmel. Einen Augenblick wunderte sie sich, warum sie so früh munter geworden war, aber dann sprudelte die Freude in ihrem Inneren hoch wie eine Fontäne aus Licht und sie setzte sich auf und fühlte sich, als könnte sie sich darauf dahintreiben lassen. Sorgsam darauf bedacht, ihre Schwestern nicht zu stören, schlich sie sich aus dem Bett und hinunter in das Gästezimmer, wo sie Fastred untergebracht hatte. Er lag leise schnarchend auf der Seite zusammengerollt und wandte ihr den Rücken zu; die Decke war heruntergerutscht und zeigte eine bloße Schulter.

Na ja, natürlich, sagte sie zu sich selbst. Er muss diese Sachen ja noch zu Hause tragen, oder? Trotzdem schwebte ihre Hand über der nackten, sommersprossigen Schulter und wollte sich dort niederlassen; Elanor biss sich auf die Lippen, als eine Hitzwelle sie durchfuhr. Sie erinnerte sich an die Wärme dieser Schulter unter ihrem Kopf, fragte sich, wie sich wohl unter ihren Lippen anfühlen mochte und schnappte bei demn bloßen Gedanken daran nach Luft.

Fastred bewegte sich und Elanor schüttelte das Gefühl ab, dann schüttelte sie ihn, aber viel sanfter. „Es ist kurz vor der Dämmerung,“sagte sie ihm, als er sie schläfrig anblinzelte. „Willst du bleiben und meine Familie treffen, oder willst du lieber jetzt gehen?“

„Du bist wunderschön.“ erwiderte Fastred. Elanor blinzelte. Sie hatte diese Worte öfter gehört als es Sterne am Himmel gab; sie hatte gedacht, sie hätte sie gründlich satt. Aber jetzt, aus Fastreds Mund, waren sie anders.

Fastred errötete, als würde ihm jetzt erst klar, was er gerade gesagt hatte. „Ich meine...“

„Schsch.“ antwortete Elanor und legte einen Finger auf seine Lippen; dann küsste sie ihn.

Oh Elanor, was tust du da bloß! dachte sie mit dem letzten übriggebliebenen Rest ihres Verstandes; der Rest wurde mitgerissen von der Empfindung von Fastreds Mund unter dem ihren, dann über ihrem und darum herum, als seine Arme sich um ihre Taille schlangen, während er sie an sich und herüber in das Bett zog. Der Kuss ergriff sie beide wie ein Stück Kohle in trockenem Gras und wurde rasch zu Hitze; Elanor hörte ein Stöhnen, begriff, dass es ihres war und rang in den Kuss hinein nach Atem.

Fastred gab ihren Mund frei. „Oh! Elanor, ich bin...“

Sie schüttelte den Kopf und fing seine Hände mit den ihren ein, als sie drohten, ihre Taille zu verlassen. Sie konnte jeden Zentimeter von ihm fühlen, wie er sie gegen die Wand drückte. Ich sollte wirklich aus diesem Bett heraus, dachte sie, aber sie schaute auf und in dunkelblaue Augen hinein und brachte es noch nicht fertig. „Ich hab dich geküsst.“ sagte sie mit einem Lächeln, von dem sie wusste, wie unsinnig es wahrscheinlich aussah. Fastreds Lächeln war genauso entrückt.

„Das hast du, Elanor, das hast du. Ich... das... es ist wie ein Lied.“

Sie hätte darüber lächeln können, aber er meinte es so sehr... es war, als seien die Worte ganz neu gemacht, damit er sie zu ihr sagen konnte. Oder sie könnte ihn noch einmal küssen, aber dann würden ihre Eltern sie in einem Gästebett finden, gemeinsam mit einem unbekleideten, hübschen Hobbitburschen, und das war nicht der beste Weg, diesen Tag anzufangen. Also flüsterte Elanor „Ja... ja, das ist es...“ und kletterte so schnell sie sich dazu bringen konnte aus dem Bett; sie versuchte, den kräftigen Körper unter sich nicht wahrzunehmen. Als sie wieder auf den Füßen stand, hielt sie Fastred seine Kleider entgegen. „Du ziehst dich besser an.“ sagte sie, aber sie lächelte von Ohr zu Ohr, genau wie er.

******

An diesem Morgen entschied sich Fastred, sie durch das Fenster des hinteren Lagerraums zu verlassen, aber als er auf der anderen Seite stand, beugte er sich hinein, um Elanor noch einmal zu küssen. Sie ging zum Frühstück, ihr Gesicht ein einziges Lächeln; ihre Familie starrte sie an und sie lächelte süß zurück und wusch das Geschirr ab, ohne darum gebeten worden zu sein.

Von nun an erhielt Beutelsend beinahe jeden Tag Post, selbst wenn es nur ein Briefchen für Elanor war, adressiert in einer großen, festen Handschrift. Elanor litt zunehmend an Schlafmangel und Fastred gähnte während seiner Runden, und beide sahen sie strahlend glücklich aus. Hinter ihren Rücken beobachteten ihre Eltern sie und schmunzelten sich zu.

Des Nachts, im Licht von Kerzen, Laternen oder Mond – wenn er denn hell genug war – trafen sich Elanor und Fastred auf der Festwiese und suchten sich einen Winkel im schlafenden Ort; dort saßen sie bis spät beisammen, lesend, redend und küssend. Sie erzählte ihm alles über die Welt außerhalb des Auenlandes, was sie wusste –von der Höhe der Stufen in Minas Tirith bis dahin, wie großartig König Elessar auf die Knie sank, um ihr die Hand zu küssen; er erzählte ihr viele Dinge, die sie nie über das Auenland gewusst hatte, von verschiedenen Hopfensorten in den vier Vierteln bis zu verschiedenen Tänzen, die er gelernt hatte. Sie sprachen über sich selbst, ihr Leben, ihre Familien, das Gewicht der Vergangenheit und ihre Hoffnungen für die Zukunft... nur dass, wann immer Elanor über ihre Gedanken redete, das Auenland zu verlassen, diese Ideen neben dem Anblick von Fastreds Gesicht zu verblassen schienen.

Eine Nacht spät im Juni, so heiß, dass Elanor unter ihrem Mieder keine Bluse trug und das Hemd von Fastred ungeknöpft offenstand, saßen sie auf einer der Bänke, die die Festweise begrenzten und betrachteten die halb abgeschlossenen Mittsommervorbereitungen. Unerwartet fragte Fastred: „Elanor, wirst du an Lithe* tanzen?“

Elanor sah ihn an; das Sternenlicht glitzerte in seinem Haar. „Das habe ich ein paar Jahre nicht mehr getan.“ sagte sie. Im ersten Jahr hatte sie getanzt; der reizende Junge, zu dem sie Ja gesagt hatte, schien das Ganze als Verlöbnis aufzufassen und verwandelte sich zwei Tage später in eine vor Eifersucht brüllende Kreatur, als sie ihm sagte, dass sie nicht sein Eigentum sei. Danach hatte sie jedes Jahr ein bisschen getanzt und jedes Mal den Partner gewechselt; sie ging dann früh nach Hause zu einem Buch, schickte ihre Eltern ins Bett und wartete auf Frodo und Rose oder in letzter Zeit mehr aif Merry und Pippin, die ein paar Stunden später zerzaust, erhitzt und glücklich nach Hause kamen.

„Gehst du an Lithe nach Hause?“

„Ich würde gern bleiben und in Hobbingen tanzen, wenn du mit mir tanzt.“Fastred lief so rot an, dass er beinahe glühte, aber sein Blick war gerade auf sie gerichtet. „Ich weiß, es ist nicht üblich, vor der Zeit zu fragen, aber ich will wirklich nicht unverschämt sein.“

Elanor legte den Kopf schräg und betrachtete Fastred so gelassen sie es fertigbrachte, obwohl sie sicher war, dass er ihr Herzklopfen hören konnte. „Das würde mir sehr gefallen.“ sagte sie langsam, um Beherrschung bemüht.

Fastreds strahlendes Lächeln zerbrach diese Zurückhaltung, oder vielleicht waren es auch seine Hände, die sich hoben und um Elanors Gesicht legten, als er sie küsste. Sie wollte nichts mehr als ihre Arme um seinen Hals zu schlingen, aber jenes erste Lithe verfolgte sie; sie legte ihre Hände auf seine Brust, hielt sich davon ab, die Muskeln mit den Fingern nachzuzeichnen und schubste sanft, bis er ihren Mund freigab. „Fastred, warum willst du den Lithe-Tanz mit mir tanzen?“

Er sah aus, als sei er über die Frage schockiert. „Elanor, weißt du denn nicht, wie schön du bist?“

Das... immer war es das. Elanor lachte bitter und nahm ihre Hände von der breiten Brust. „Ich weiß sehr gut, wie schön ich bin.“ sagte sie und blickte auf ihre langen, blassen, tintenfleckigen Hände hinunter; Fastreds nächste Worte ließen sie aufschauen.

„Nein, tust du nicht, Elanor. Ich meine nicht dein Gesicht. Du bist so schön wie Lúthien in den Geschichten, dein Haar schimmert wie Mondlicht, aber das ist es nicht, was ich meine... dachtest du, ich hätte das gemeint?“ Elanor blinzelte erschrocken; Fastred sah wütend aus. „Du weißt, wer Lúthien ist, du hast mir eine Fassung ihres Liedes vorgesungen, die du selbst übersetzt hast. Du bist in Gondor gewesen, du hast mit Elben gesprochen, Du kannst auf Zwergisch fluchen! Du weißt so viel! Du denkst! Dachtest du, ich liebe dich wegen deinem Gesicht, Elanor? Es ist ein hübsches Gesicht, ich habe nie ein hübscheres gesehen, das werde ich auch nie, aber eines Tages wird es voller Falten sein. Ich liebe dich dafür, was hinter diesem Gesicht liegt.“

Elanor starrte ihn an. „Du liebst mich, Fastred?“ hörte sie sich selbst sagen. Er biss sich auf die Lippen und nickte; anstatt rot zu sein, war er jetzt blass. Elanor öffnete den Mund, aber es gab keine Worte; sie streckte die Hände aus und versenkte die Finger in sternbeglänzten, roten Locken. Jetzt war Fastred an der Reihe, erschrocken zu blinzeln, als sie sein Gesicht sanft zu dem ihren herunterzog und ihn küsste. Seine Arme legten sich um sie und er zog sie an sich und auf seinen Schoß, und Worte waren nicht mehr nötig.

******

Sie lagen im Gras, die Sterne über sich, und Elanor konnte nicht aufhören, vor Freude zu weinen. Ihr Haar hatte sich aus seinem Zopf gelöst und umgab sie und Fastred wie eine Wolke; ihr Kopf lag auf seiner glatten, breiten Brust und die Tränen liefen ihr aus den Augen. Es war lächerlich, und es schien Fastred überhaupt nichts auszumachen. Er wischte ihr einfach sanft das Gesicht mit der Hand, seine andere Hand warm auf ihrem Rücken. Eine Mondmotte flatterte über ihnen. Es war wie ein Lied.

Elanor schnaubte und lachte über sich selbst.

„Was ist so komisch?“ fragte Fastred sanft; sein Daumen streichelte sachte ihre Wange.

„Ich.“ erwiderte Elanor und drehte den Kopf, um seinen Handrücken zu küssen. „Ich kann nicht aufhören zu weinen, weil ich dich liebe.“

„Ich hätte es schon vor langer Zeit sagen sollen.“ meinte Fastred. Seine Hand glitt ihren Rücken hinauf. „Ich habe so viele Nächte damit verbracht, davon zu träumen, dass du mir vorliest, glaubst du mir das?“

„Nicht hiervon?“ fragte Elanor und lachte wieder; Fastred lachte auch.

„Also schön, ja, hiervon. Aber auch davon, dass du mir vorliest, dass du mir die Namen der Sterne sagst, alles. Du bist eine neue Welt, Elanor. Da ist so viel an dir.“

„Ich bin bloß ein Hobbitmädchen mit einem Elbengesicht.“ erwiderte sie. Fastred schnaubte missbilligend.

„Du bist wie niemand sonst im Auenland, und nicht wegen deinem Gesicht, so sehr ich dieses Gesicht auch liebe.“ antwortete er, als er ihr Gesicht mit seiner Hand umschloss. „Ich liebe dich, Elanor.“

„Und ich liebe dich, Fastred.“ Elanor hob den Kopf, um zu ihm aufzuschauen. „Ich liebe dich. Du siehst mich.“

„Was sollte ich sonst sehen?“ erwiderte er, lächelte verstehend und küsste sie.

*****

Elanor kam kurz nach der Morgendämmerung heim, Gras in den Haaren und Fastreds Hand in der ihren. Ihre Mutter öffnete die Tür, als sie sie erreichten, die Hände auf den Hüften, aber sie lächelte trotzdem. „ich habe Bitterwurztee** für dich gemacht.“sagte sie zu Elanor. „Guten Morgen, Meister Fastred.“

Elanor errötete und plötzlich war ihr sehr warm. Fastred errötete ebenfalls, sogar, als er sich verbeugte. „Guten Morgen, Frau Gamdschie.“

Elanors Mutter lachte darüber und klopfte ihm auf den Rücken, als sie ihn nach Beutelsend hineingeleitete. „Nenn mich Rosie, Junge. Nenn mich Rosie.“

Fastred wurde sogar noch roter, als Elanors Mutter ihn in eine Küche voll mit zwölf anderen Gamdschies führte, viele noch immer im Nachthemd, und alle mit offenem Mund gaffend... bis auf eine. „Also da bist du gewesen!“ rief Goldlöckchen, bevor Rosie ihr einen Rippenstoß versetzte.

Elanors Vater stand von seinem Platz auf; er schaute ein wenig streng drein, aber er streckte die Hand aus, um die von Fastred zu schütteln und sagte: „Guten Morgen, Junge.“ Fastred öffnete den Mund, aber dieses Mal kam nichts heraus; Elanors Vater lächelte ihn an, legte ihm eine Hand auf den Rücken und führte ihn aus dem Zimmer. Elanor beobachtete, wie sie hinausgingen, bis Margerite zu ihr herüberkam; sie hielt einen dampfenden, scharf riechenden Becher in der Hand.

Der Bitterwurztee schmeckte genauso scheußlich, wie Elanor sich erinnerte. Er schmeckte genauso scheußlich wie am Lithe-Mittag, aber Elanor trank ihn, als wäre es süßer Apfelwein. Und nachdem sie geredet hatten, worüber auch immer ein Hobbit mit einem anderen Hobbit redet, wenn dieser in der Morgendämmerung mit der zerzausten Tochter des anderen nach Hause kommt, war Elanors Vater mit Fastred zurückgekehrt; beide hatten sie gelächelt und Elanor konnte wieder atmen. Fastred glühte während des Frühstücks wie ein Stück Kohle; die einzigen, die ihn nicht anstarrten, waren Meister Samweis, Frau Rosie und Elanor, aber es brauchte mehr als einen roten Kopf, um einen Hobbit von seinem Frühstück abzuhalten. Danach war es Elanor und Fastred dank der Hilfe ihrer Eltern und dem fähigen Beistand von Rose tatsächlich gestattet, lang genug vor der Eingangstür von Beutelsend allein zu sein, um sich Auf Wiedersehen zu sagen... obwohl ihr Kuss allzu früh endete, als Merry seinen Griff um Pippins Knöchel löste und Pippin seitlich vom Dach herunterfiel und gerettet werden musste.

Drei Tage lang lebte Elanor dafür, dass die Post kam; wenn Fastred ihr die Briefe gab, gab er ihr auch einen Kuss. Sie trafen sich nicht mehr nachts; sie waren übereingekommen, den Schlaf für Lithe aufzusparen. Drei Tage lang kicherten ihre Geschwister und ihre Eltern lächelten sie an; sie sahen erfreut und erleichtert aus, und Elanors Füße berührten kaum den Boden. Dann war es Lithe, und Elanors Schwestern bis hinunter zu der kleinen Rubinie drängten sich in Elanors, Rosies und Goldis Schlafzimmer, um den beiden ältesten Mädchen beim Ankleiden für den Tanz zuzuschauen. Rose trug ein Kleid so rot wie ihr Name, das gut zu dem warmen Braun ihrer Haare passte, aber Elanor fand ein Kleid aus ihren Tagen in Gondor, ein Kleid in der Farbe von Mondlicht mit silberner Stickerei. Ihre Mutter kämmte ihr das Haar, so dass es ihren Rücken hinunterfloss und band ein goldweißes Band um ihre Stirn, von dem ein Kristall herunterhing, und alle ihre Schwestern schauten sie mit staunenden Augen an. „Du siehst wunderschön aus!“ schnaufte Primelrose und Elanor wurde rot und lächelte.

Als sie ins große Wohnzimmer kamen, saß Fastred von Merry, Pippin und Hamfast umgeben und wurde unter dem wohlwollend wachsamen Blick ihres Vaters gründlich gehänselt. Elanor ließ Rose vorgehen; sie hörte, wie die Jungen Rose hochleben ließen und ihr sagten, dass sie hübsch aussähe; dann trat sie ein und alle fünf verfielen in schockiertes Schweigen. Rose schüttelte den Kopf und lächelte hilflos.

„Elanor.“ Fastred erhob sich auf die Füße und streckte die Hand aus. „Oh Elanor, du siehst aus wie der Mond.“ Sie nahm seine Hand und schaute ihm in die Augen. Elanor sah sich selbst dort gespiegelt, wahrhaftig leuchtend; sie sah ihre Zukunft und lächelte von ganzem Herzen.


ENDE


*Lithe – Mittsommertag

**Bitterwurz – gelber Enzian; vermutlich hat der Wurzelextrakt daraus eine schwangerschaftsverhütende Wirkung


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