Primum non nocere (Zuerst bereite keine Leiden)
von Febobe, übersetzt von Cúthalion


Erster Teil: SAMWEIS

Es würd’ ins Bild passen, oder nich’? Eins von den Gesetzen der Welt, hat mein alter Ohm das daheim immer genannt. Der schlimmste Moment, das was passiert, ist ,wenn es passiert. So, wie wenn der Garten nass genug ist und du kriegst strömenden Regen, der drei Tage nich’ mehr aufhört, und deine Krokusse und deine Kohlköpfe werden glatt rausgewaschen... von den Tüften, die dir verfaulen, gar nich’ zu reden. Aller schlechten Dinge sind drei, wie, als Mama starb und Papas Gelenke benahmen sich wochenlang furchtbar daneben, und Ham fiel hin und tat sich das Handgelenk weh und konnte auch wochenlang nich’ arbeiten. Das war’n richtiger Fluch, war das. Läuft bei allen gleich, denk’ ich mal; Herr Frodo sagt, es war, wie seine Mama ertrank und sein Papa ertrank, und nicht viele Wochen danach kriegte er eine Lungenentzündung. Zwei Eltern, das zähl’ ich als zwei schlechte Dinge, dann sind das also wirklich drei, jawohl.

Und Strei – ich mein’ König Aragorn, oder Estel, oder wie sie ihn jetzt nennen – wird zum ersten Mal weg gerufen, und Herr Frodo wird krank. Krank genug, dass er mehr braucht als ein bisschen Ruhe im Bett, und dass ich mich um ihn kümmer’. Krank genug, dass er einen richtigen Heiler braucht, jemand, der diese Art von schlimmen Wunden kennt, wie er sie hatte. Ich weiß jede Menge darüber, was er durchgemacht hat, aber nich’, wie ich ihm helfen soll, außer, dass ich ihm warme Decken geb’ und dafür sorg’, dass er im Bett bleibt, und so versuch’, dass er sich besser fühlt. Ich versuch’ ihm warme Sachen zu Trinken zu geben – heiße Brühe, Grog, warme Milch – aber er will fast gar nichts haben, nich’ mal von mir.

Aber Faramir, der is’ nich mit dem König gegangen; er is’ hier, um sich um die Dinge zu kümmern, und so is’ er es, den ich ruf’, damit er weiß, dass Herr Frodo Hilfe braucht. Nicht, dass ich viel Hoffnung hab’, dass er von jemand weiß, der helfen kann, aber freundlich, das is’ er, also erzähl’ ich ihm, dass Herr Frodo übel friert und schreckliche Schmerzen hat, und Alpträume, und dass er weder was zu Beißen noch Suppe annimmt (das is’ immer eine schlechte Sache, aber so dünn, wie er jetz’ is’, hält er das nich’ mal einen Tag aus). Er nickt sachte und kommt in Herrn Frodos großes Schlafzimmer, das mal sein Kinderzimmer gewesen is’, als er noch ein Junge war (Herr Frodo hat dieses Riesenzeugs für Große Leute schrecklich satt, obwohl Herr Merry und Herr Pippin sich so über ihre neu gewachsenen Größe freu’n, dass sie es besser finden), und er setzt sich auf seine Bettkante und redet ganz ruhig mit meinem Herrn. Legt ihm die Hand auf die Stirn und packt ihn schön warm ein. ´S dauert ein paar Minuten, ehe er wieder zu mir kommt... nich’, dass es mir was ausmacht, wo ich doch seh, wie er Herrn Frodo beruhigt.

„Sam, du musst dir keine Sorgen machen. Ich verspreche dir, dass es jemanden gibt, von dem ich denke, dass er helfen kann... jemand, der für deinen Hern sorgen wird, der gut genug versteht, glaube ich, um ihm Trost und Frieden zu bringen, damit er sich ausruhen kann.“

Ich schau Herrn Frodo an, eng wie ein Ball zusammengekrümmt unter den Decken. Schlaf braucht er mehr wie irgendwas, Schlaf, der nich’ voller Alpträume is’. Wenn er sich anständig ausruhen könnte, und ein bisschen was essen und trinken, dass könnte er vielleicht lang genug aushalten, bis Streicher zurück kommt.

„Bitte.“

Als er weg is’, geh ich zu Herrn Frodo zurück und versuch ihn noch ein bisschen mehr zu beruhigen.

„Da, siehste, Herr. Faramir’ is gegangen, dass er jemand holt, der dir hilft, jemand der hilft, sich anständig um dich zu kümmern, bis Strei – bis König Aragorn zurück is’. Bald fühlst du dich mächtig viel besser.“

Aber selbst wie ich die Worte sag, frag ich mich, wie. Ich weiß, der Herr tut’s auch, weil, er lächelt blass und sagt nichts.

*****

Es scheint so gut wie gar keine Zeit vergangen zu sein, während ich Herrn Frodo den dünnen Rücken reibe, ehe ich’s höre.

Stimmen – Murmeln aus dem Korridor.

„Éowyn – Die Herrin Éowyn – Die Weiße Herrin - “

Ich stecke meinen Kopf aus dem Zimmer und winke einen von den Wachen heran, die vorbeigehen; ich halt meine Stimme gesenkt, damit ich die Ruhe des Herrn nich’ störe. „Was soll denn der ganze Aufstand? Is’ was passiert?“

Seine Augen werden ganz groß. „Nein, kleiner Herr, es ist nichts passiert – nur die Weiße Herrin selbst kommt her, die Herrin Éowyn! Sie wird bald da sein, und alle sind aufgeregt – die Leute versammeln sich in den Gängen, um die Gelegenheit zu haben, sie zu sehen.“ Er lächelt. „Ich bin sicher, du weißt, wie sich das anfühlt, Herr.“

Ich tu’s, und ich bin nich’ sicher, ob ich’s so recht mag. Ungemütliches Gefühl, wie wenn man draußen rumläuft ohne einen Faden am Leib. Selbst Herr Frodo scheint es nich’ allzu sehr zu lieben, und mehr als einmal hat er beim König Müdigkeit vorgeschützt, um es zu vermeiden, obwohl ich nicht dran zweifel’, dass er jedes einzelne Mal müde genug war. Plötzlich läuft mein Herz von Zuneigung über für sie, dass sie selbst durch diese vielen Gaffer hindurch muss.

Aber ich kann mir nich’ helfen, als mich zu fragen, wieso... und mir zu wünschen, ich könnte sie selbst mal anschauen.

Ich weiß, wer sie is’. Die Geschichten... Herr Merry hat uns auch alles über sie erzählt, deswegen haben wir mehr gehört als bloß die hübschen Sachen. Je mehr Herr Frodo hörte, desto größer wurden seine Augen. Wie ein kleiner Junge hat er ausgeseh’n, der sich Märchen anhört über eine große Prinzessin, so wie Lúthien Tinúviel. Bloß, dass die Herrin Éowyn ein Mensch ist, was sie für uns noch viel zauberhafter gemacht hat, denn irgendwie ist sie mehr wie wir. Herr Merry meint, sie sei richtig interessiert an unserem Volk, und als er das sagte, dachte ich, dass ich gern eine von den Großen Leuten treffen würde, die sich für Hobbits interessiert.

„Sam?“

Herr Frodo ruft nach mir; er klingt so schwach wie ein Kätzchen. Der Klang reicht, dass es mich wieder zu ihm herein zieht, ohne dass ich auch nur nachdenken muss. „Ich bin schon da, Herr. Sag deinem Sam einfach, was er für dich tun kann.“

Ein Kopfschütteln, dass seine dunklen Locken fliegen. „Wer... was... was passiert... da draußen?“

„Nichts, worüber du dir Sorgen machen musst, Herr.“ Ich stecke die Decken noch ein bisschen sicherer um ihn fest und achte drauf, dass sein Nacken auch warm gehalten wird. „Die Kriegerin aus diesen Geschichten, die, die Herr Merry gern hat, und mit der er in Rohan war... Frau... E’wyn. Sie kommt hierher, und die Leute wollen kucken, wie sie das immer tun, Herr.“

Er rollt sich so eng zusammen, wie er kann, in seine Decken gewickelt, und zittert dabei immer noch wie ein Blatt. „Kalt... so kalt...“

Ich beweg mich, um ihm noch eine Decke zu holen, aber bevor ich mich auch nur umdreh’n kann, ist da ein leises Klopfen, und jemand steckt den Kopf herein.

„Verzeihung... Faramir hat mich hier entlang geschickt; er sagte, ich könnte hier den Ringträger finden?“

Ich nicke, und sie kommt gleich näher; scheint's erkennt sie Frodo auf der Stelle, und ihre langen Beinen tragen sie mit langen Schritten, so wie die von Aragorn... aber sie riecht nach... nach frisch geschnittenem Heu, kein bisschen wie irgend so eine Hofdame. Frisches Gras und süßer Klee und Hopfen, und so ein Hauch Karotten und Äpfel und Zucker. Frische Luft. Ihre Hände seh’n wohl fein aus und sauber, aber keine Hände, die nie ein Tagewerk gekannt haben... und sie stellt einen Korb hin, als sie sich neben dem Bett auf die Knie niederlässt und sich lieb und sanft über Herrn Frodo beugt, und goldenes Haar ihr in Wellen rings um das Gesicht fällt.

Und für einen halben Moment vergess ich fast die Herrin Galadriel... oder Frau Arwen... oder Luthien Tinuviel aus den Geschichten.

Diese Dame is’ wirklich... so wirklich, wie meine Rosie wirklich is’, so wie gute Tüften und Karotten und gut bestellte Erde wirklich sind, so wirklich wie das Auenland. Elben sind schön und gut, und ich bin froh, dass ich sie kenne... aber diese Dame is’ so wirklich wie die Auenland-Erde.

Und ich bin froh, dass sie gekommen is’, weil ich irgendwie denk’, dass es das is’ , was Herr Frodo grad mehr braucht als irgendwas anderes.


Zweiter Teil: FRODO

Schmerz.

Alles schmerzt.

Meine Schulter pocht; mein Nacken schmerzt; mein Rücken und meine Seite fühlen sich an, als wäre ich ganz neu mit Peitschen geschlagen worden, während ich schlief. Und meine Hand... wo einst mein Finger war, prickelt und kitzelt es, und der Schmerz darunter ist der von gebrochenen Knochen. Aber da ist nichts zu machen; diese Verletzungen sind geheilt, oder so sieht es an der Oberfläche aus, und deshalb sehe ich keinen Wert darin, jemand aus den Häusern darum zu bitten, dass er kommt. Ich habe in den letzten Tagen genug davon gehabt, angegafft zu werden, und es gäbe zweifellos nur noch mehr davon.

Aber... plötzlich ist da eine Dame.

Eine Dame, keine Elbenmaid, sondern von Faramir’s Art... und doch nicht, denn sie sieht nicht aus wie er, nicht aus der Númenorischen Linie, von der diese Leute abstammen.

Die Rohirrim?

Sam sagte...

Sie beugt sich über mich und streicht mir das Haar zurück; ihre Hände riechen nach frischer Luft, nach Gras, das nachwächst, wo einst öder Boden war, nach Klee und Äpfeln; der Duft wärmt und ist der eisigen Kälte, die meine Knochen gefrieren lässt, so unähnlich, dass ich nicht anders kann, als mich in ihre Berührung hineinzuschmiegen und zu wünschen, sie würde ihre Hände nicht fort nehmen.

Und sie tut es nicht.

„Frodo... Faramir hatte den Wunsch, uns einander richtig vorzustellen, aber er hörte, dass ein Bote zum König unterwegs ist, und er wollte ihm vor allem eine Nachricht über deine Gesundheit schicken... und sehen, dass ich in der Zwischenzeit käme, da ich Zeremonien nicht gerade genieße.“ Sie lächelt... ein hübsches Lächeln, mit ebenmäßigen, weißen Zähnen. „Ich habe mir schon lange gewünscht, dir zu begegnen, immer, seit dein Vetter mir von dir erzählt hat... sogar von deinen Tagen als Pilzdieb. Mein Name ist Éowyn.“

Sie ist es. Irgendwie habe ich es gewusst. Ich wusste es. Wenn auch ihr Name keine Überraschung ist, ihre Taten sind es wohl: ich höre, wie sie Sam nach Decken fragt, und einen Augenblick später finde ich mich darin eingehüllt. Die Dame lässt ihren linken Arm vorsichtig unter mich gleiten und erlaubt ihm, mich zu stützen, während ihr rechter Arm die Decken um mich wickelt und mich festhält.

Ihre Rechte.

Schaudernd schmiege ich mich dichter an sie; ich will nichts mehr, als mich an sie zu klammern.

Er ist fort.

Fort.

Sie hat ihn fortgeschickt.

Ihn getötet.

„Schsch.“ Ihre Stimme ist ein Flüstern dicht an meinem Ohr, zärtlich und so leise, dass ich bezweifle, dass selbst Sam es hören kann. „Es ist schon gut. Du bist jetzt in Sicherheit. Nichts wird dir mehr geschehen. Ich werde es nicht zulassen.“

Ich bringe nur ein Nicken zustande; ich schlucke gegen den Kloß in meiner Kehle an.

„Wirst du ein bisschen etwas Warmes von mir annehmen? Ich habe dir ein paar Leckereien mitgebracht... Sam richtet sie gerade her.“

Ich zögere und gebe ihr noch keine Antwort; ich bin unsicher.

„Ingwertee mit Honig... etwas Glühwein... heiße Rinderbrühe und ein Keks mit Creme.“

Alles, was ich esse, während sie mich in den Armen hält, klingt anziehend. Ich nicke schwach

„Vielleicht...“

„Gut.“ Ihre Stimme ist gesenkt, so lindernd... und ich schmiege mich an sie und und sie ist das vollkommene Kissen, trotz ihrer schlanken, durchtrainierten Gestalt.

„Merry sagt, dass du sie magst, aber ich wusste nicht, ob du sie heute möchtest oder nicht. Es kann sehr unterschiedlich sein, wenn man sich schlecht fühlt.“

Ich nicke, noch immer an sie geklammert; plötzlich macht mich das verlegen und doch bin ich unwilig, es aufzugeben. Es fühlt sich sicher an, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit ist mir behaglich zumute und ich habe weniger Schmerzen. Sie ist keine Elbenmaid wie Frau Arwen, und doch bin ich mehr im Frieden... bei ihr, als würde irgend ein verwandter Teil in uns den anderen wiedererkennen.

„Faramir sagt mir, dass du große Schmerzen hast, und Alpträume... und dass du frierst.“

Ich versteife mich und nicke.

„Würdest du mich dir helfen lassen?“

„Keine Medizin. Diese Heilmittel sind immer furchtbar... sie schmecken widerlich und mir wird übel davon. Das, was sie mir für meine Hand gegeben haben, gab mir das Gefühl, als würde ich dahin treiben, und ich habe mich stundenlang übergeben. Es war schrecklich.“

„Natürlich.“ Sie zieht mich ein wenig dichter an sich, als wollte sie mich beruhigen; ich bin ihr sehr dankbar dafür. „Nein... nichts dergleichen. Was ich im Sinn habe, ist etwas sehr, sehr Einfaches, wenn du dazu bereit bist.“

„Vielleicht...“ Ich lausche neugierig und schaue zu ihr auf, so gut ich kann; dabei verfange ich mich ziemlich in ihren Haaren. „Was meinst du damit?“

*****

„Frodo...“

„Mmmm?“

„Frodo, Lieber, es ist Zeit für dein Abendessen. Versuch ein bisschen für mich... nur ein paar Mundvoll? Da ist ein schöner Bissen weißer Kuchen, und ein paar Blaubeeren – und ein bisschen Huhn mit Pilzen und Brühe; klingt das nicht gut? Sam hat dir Milch gebracht, versuch sie zu trinken... das wird gut für dich sein...“

Ich gähne und strecke mich genügend, dass sie einen Löffel an meine Lippen führt; ich koste langsam.

Manche Dinge sind sehr, sehr einfach... wie Éowyns Prinzip; sie hat scheinbar schon ein paar Jahre Erfahrung mit der Pflege, und sie tritt den Beweis an für das, was sie sagt. Ich finde es sehr praktisch, wie sie an die Sache herangeht, denn sie hat nicht mehr getan, als mich in warme Decken zu hüllen und festzuhalten, mich nachts hin- und her zu wiegen, um mir dabei zu helfen, ohne Alpträume zu schlafen und mich selbst zu füttern; sie flüstert mir von Nacht über Nacht zu, als sie in ihr Kissen weinte, als sie verzweifelte und nicht essen wollte, denn das hätte sie nur länger am Leben gehalten und ihre Qualen verlängert... obwohl sie jetzt froh ist, dass sie noch lebt, und sie drängt mich sanft, zu versuchen, was Sam mir bringt. Also tue ich es, und obwohl ich nicht sagen kann, dass es mir besser geht, fühle ich mich doch besser durch diese Behandlung.

Ich wundere mich nur, ob alle Frauen der Großen Leute so weise sind wie Éowyn. Irgendwie bezweifle ich das.

Sie spricht manchmal von... von ihm, in den dunklen Stunden der Nacht, wenn Sam ins Bett geschickt worden ist und sie alleine bei mir sitzt.

Sie spricht von ihm, und ich tue es auch.

Und in den Schatten des Herdfeuers reden wir über tausend dunkle Dinge, die die Leute, die entlang der Treppen Wache halten, niemals hören wollen: wie es sich anfühlte, als Klinge auf Knochen traf... der Beinhaus-Gestank seiner toten, schwarzen Gewänder... das eisig kalte Rieseln von Furcht, das dir das Rückgrat hinunter rann, als er sich in deine Richtung wandte, die Panik... das Wissen, dass du tot warst, oder bald sein würdest, und keine Kraft war übrig, dass es dich kümmerte... du hofftest nur, dass dir danach wieder warm wäre. Dass du warm wärst, heil und geliebt. Worte, die ich nicht einmal zu Sam sagen könnte.

Worte - sagt sie - die sie nicht einmal zu Éomer oder zu Faramir sagen könnte. In den Schatten reden wir miteinander, nur wir beide, und keine Alpdrücke überwältigen uns, wenn die Träume uns endlich mitnehmen.

Sie haben zuviel Angst vor ihr, der Schildmaid.

Sie sagt, sie hätten zuviel Angst vor dem tapferen Ringträger.

Ich weiß nur, das sie nicht kommen, in diesen Nächten wenn ich zusammengerollt in den Armen der Schildmaid schlafe... und alles ist in Frieden.


ENDE


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