Der Ork der Königin (The Queen's Orc) Kapitel Sechsundzwanzig Die Nacht der Wölfe hatte ihm Selbsterkenntnis gebracht, und er stritt mich sich selbst, bis er sich wie ein Schlachtfeld fühlte, grimmig und verwüstet. Malawen war sein Entzücken geworden; die Zärtlichkeit, die er für sie empfand, war eine süße Qual. Er wollte für sie einen Troll bekämpfen, sie aufheben und sie an einen Ort tragen, wo niemand ihr jemals wieder weh tun konnte. Er wollte sie für sich behalten, eins mit ihr werden, bis Arda in Stücke fiel und in die See hinein schmolz... Er richtete seine Aufmerksamkeit mühselig wieder auf die Gegenwart. Sie kamen jetzt in eine Marschregion, mit sich windenden, träge fließenden Strömen und kleinen Inselchen festen Bodens; er musste Acht geben, wohin er ging, oder sie würden beide hüfftief im Schlamm landen. Sie ist nichts für dich, Blutiges Messer, Todbringer. Sie hat von den Orks genug erlitten! Er belegte sich selbst mit jedem verächtlichen Schimpfnamen, der ihm einfiel; manchmal streckte er den Arm aus und stellte das Grau seiner groben Haut dem perligen Weiß der ihren gegenüber. Aber die Geißelung tat nichts dazu, die Sehnsucht schwinden zu lassen. Als seine Fingernägel zu lang wurden, holte er sein Messer heraus, um sie zu stutzen; er folgte einem plötzlichen Impuls und feilte sie bis zu den Fingerkuppen hinunter ab, anstatt sie zu den scharfen Orkklauen zu schneiden, die er sein Leben lang getragen hatte. Oft streckte Malawen die Hand nach Halt aus, wenn sie von einem Grasflecken zum anderen stieg und versuchte, nicht in den Morast abzurutschen; das nächste Mal, als sie sich an ihm festhielt, fühlte sie die glatten Fingerspitzen und lächelte ihn an, ohne etwas zu sagen. Ihm wurde warm vor Verlegenheit, und doch freute er sich darüber, dass sie es bemerkt hatte und er war zornig auf sich selbst, dass er sich darüber freute. Wenn sie dir in die Seele schauen könnte, Schwarzherz - Aber er brachte den Gedanken nicht zu Ende; die Frage, was das Elbenmädchen wirklich über ihn dachte, lenkte ihn ab. Sie reist mit mir aus freiem Willen, erinnerte er sich. Auf eigenen Wunsch ist sie in meine Hängematte geklettert. Doch er hatte nicht zugelassen, dass es ein zweites Mal geschah. Zu süß hatte es sich angefühlt, ihre Weichheit, die sich die Nacht hindurch an ihn drückte. Er hatte wach gelegen und sie bis zum Morgen fest gehalten, hin- und her gerissen zwischen Verzückung und Qual. Er schämte sich dafür, wie sein Körper auf sie reagierte. All seine Erfahrungen mit Sexualität waren mit Gewalt und Erniedrigung verbunden; er hatte missbraucht und war selbst missbraucht worden, in den alten Tagen, die er zu vergessen suchte, und jetzt verfolgten die Erinnerungen ihn bis in seine Träume. So tief er sich auch nach einem Sohn sehnte, er schreckte zurück vor den Akt, der neues Leben zeugte; er wusste nicht, wie er Vereinigung von Brutalität trennen sollte. Und sein Elbchen - „Vorsicht!“ rief er aus und zog sie zurück. Sie fiel halb gegen ihn und er warf einen Arm um sie und drückte sie an sich. Dicht vor ihren Füßen öffnete eine Wasserschlange ihr Maul in stiller Drohung, bevor sie unter der Oberfläche des Tümpels verschwand. „Danke.“ Sie lehnte sich an ihn, und er brachte nicht die Willenskraft auf, sie zurück zu stoßen. „Oh, die hasse ich! Ich habe in Lothlórien nie Schlangen gesehen, während Galadriel herrschte, aber später haben sie sich manchmal eingeschlichen.“ Sie schauderte. „Halt mich fest, Canohando, bitte. Ich will nicht in dieses Wasser fallen; es ist so schlammig, dass man nicht sehen kann, was dort unten ist.“ Er konnte es ihr nicht abschlagen. Sie gingen Hand in Hand weiter, ihre Finger vertrauensvoll um seine geschlungen, und sein Herz sang, obwohl gleichzeitig die Selbstverachtung in seinem Geist tobte. Er dachte, sie wäre sich seiner Erschütterung nicht bewusst, bis zu dem Morgen, als er aufwachte und sah, dass sie durch das Geflecht ihrer Hängematte auf ihn herunter starrte. Sie war im Baum ein klein wenig über ihm, und ihre Augen hielten ihn fest, als wäre er gebunden mit dem leichten, dünnen Seil, das der Braune vor so vielen Jahren bei sich getragen hatte, weich, aber trotzdem stark. Ihre Augen sind wie die Blätter, dachte er. Grün... nein, golden... haselnussbraun? Ich kann es nicht sagen. Er schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen. „Du würdest mir nie weh tun, Canohando,“ sagte sie, und die vollkommene Gewissheit in ihrem Tonfall war ansteckend. Er streckte die Hand nach ihr aus; sie fasste danach und fiel fast aus der Hängematte. „Vorsichtig!“ Er ließ sie hastig los und sie richtete sich lachend auf. „Nein, Elbchen, ich würde dir niemals weh tun. Ich würde mir lieber vorher beide Arme abhacken.“ Er blickte auf in das bleiche, kleine Gesicht mit den verblüffenden Augen, und Freude durchzitterte ihn. Er spürte, wie sich ein gewaltiger Schrei in seiner Kehle aufbaute... einer, der die Vögel in ihren Nestern aufschrecken und die neuen Blätter an den Zweigen zum Tanzen bringen würde, und er biss die Zähne zusammen, um ihn zurück zu halten. Schließlich hielten sie sich verborgen. Man konnte nicht sagen, wer oder was ihn hören konnte. Doch als sein Gedächtnis das nächste Mal Szenen lang vergangener Gemetzel vor seinen Augen abspulte, da schaute er nicht hin. Lieber vorher meine beiden Arme, murmelte er und war getröstet. Malawen war noch nie aus Lothlórien heraus gekommen und wusste nicht mehr als er, wo sie sich befanden. Canohando holte die Karte heraus, die Arwen ihm gegeben hatte,und gemeinsam beugten sie sich darüber. Die sumpfige Gegend wurde als Loeg Ningloron bezeichnet, und der Fluss, der sich aus dem Westen in die Sümpfe ergoss, als Sir Ninglor. „Das bedeutet Goldwasser,“ sagte Malawen. „Ich frage mich, wieso; es ist überhaupt nichts Goldenes daran. Wenn ich ihm einen Namen gegeben hätte, es würde Schlammwasser heißen.“* Canohando gluckste. „Elben haben Musik im Blut, denke ich, und sie sprechen lieber in der Sprache der Dichter als mit einfachen Worten. Vielleicht dachte der, der ihm seinen Namen gab, das gelbe Wasser würde aussehen wie Gold.“ „Dann muss er blind gewesen sein.“ Sie drehte die Karte um und las, was auf der Rückseite stand. „Was ist das? Arwen Undómiel erteilt Canohando, dem Ork die Erlaubnis, das Auenland zu betreten. Wo ist das Auenland? Ich dachte, du gehst nach Bruchtal.“ Er nahm ihr hastig die Karte ab und rollte sie wieder zusammen; es widerstrebte ihm, dass sie sie berührte, auch wenn er nicht hätte sagen können, wieso. „Zuerst nach Bruchtal, aber dann zum Land meines Bruders.“ Plötzlich ging ihm auf, dass er ihr nie mehr mitgeteilt hatte als die bloße Tatsache, dass er Neunfinger gekannt hatte. Er steckte die Karte weg, und während sie weiter wanderten, erzählte er ihr von seiner Freundschaft mit Frodo, von von seiner Sehnsucht, das Land des Halblings zu sehen. „Aber ich komme zu spät, um ihn wiederzufinden,“ schloss er. „Ich vermisse ihn, Elbchen.“ „Was für eine merkwürdige Geschichte,“ staunte sie. „Ein Ork und ein Halbling und nun sind wir Freunde. Ein Ork und ein Elb. Wie kommt es, das du so viel unterschiedliches Volk anziehst? Die Königin und ihr Bruder die Männer deiner Kompanie...“ Er zuckte die Achseln. „Vielleicht war es der Braune. Er war ein Mann der Macht; ich habe es in seinen Händen gefühlt, als er meine Wunde heilte. Sind wir denn Freunde, Elbchen?“ „Mellon-lithui, das ist es, was du bist. Mein Freund, grau wie Asche.“ Er zog eine Grimasse, Sie neckte ihn, aber er hatte angefangen, seine graue Haut zu hassen, das äußere Zeichen seiner Verworfenheit, der Orknatur, der er nicht entrinnen konnte. Und du bist Mellon-bain,“ sagte er, und passte sich mühsam ihrem unbekümmerten Tonfall an. „Habe ich das richtig hin bekommen? Meine wunderschöne Freundin.“ „Du kannst Sindarin?“ Die Bewunderung in ihrer Stimme nahm den Stich des Namens, den sie ihm gegeben hatte, mit sich fort, und er lächelte. „Die Herrin hat mich unterrichtet, aber ich bin nicht sicher, wieviel ich noch weiß.“ „Wirklich? Lass es uns herausfinden. Was ist das?“ Sie streckte ihren Arm aus. „Ranc,“ erwiderte er, und sie nickte. „Gut. Und das hier?“ Sie hob eine ihrer Haarsträhnen hoch. „Finnel." Sie lachte. „Nein, das ist dein Haar, zu Zöpfen geflochten. Meins ist laws, lose und lockig.“ Es machte ihnen beiden Freude, dass Malawen ihm die Elbensprache beibrachte, und es vertrieb ihnen die Zeit, während sie wanderten. Zu ihrem Glück war das Land, das sie durchreisten, beinahe leer, denn sie vergaßen vollkommen, vorsichtig zu sein. Sie verließen die Sümpfe von Loeg Ningloron und kamen hinauf in höher gelegene Wälder; noch immer folgten sie dem Fluss, und sie schlenderten Hand in Hand dahin, so entspannt, als suchten sie sich nicht den Weg durch eine Wildnis ohne Pfade, wo nie zuvor jemand gewesen war. Der Wald glühte im Frühlingssonnenschein, wo später in dieser Jahreszeit alles voll tiefgrüner Schatten sein würde. Veilchen und Leberblümchen blühten unter ihren Füßen und Vögel flitzten von Ast zu Ast, eifrig mit dem Nestbau beschäftigt. Es gab kein Geräusch außer dem Wind in den Baumwipfeln, und dem Gelächter einer Elbin und eines Orks, die Freunde waren.
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