Ein ganz besonderes Julfest
von Cúthalion

Juweline sah es nicht kommen, ganz und gar nicht.

Sie traf mit ihrer Familie an einem frostigen, dämmerigen Julnachmittag in den Groß-Smials ein, und alles, was sie von Pippin zu sehen bekam, war ein flüchtiger Blick auf sein Gesicht, das erstaunlich ernst war und angespannt. Aber seine Augen leuchteten auf und er schenkte ihr ein schwaches Lächeln, ehe er ihre Eltern mit vollkommener Höflichkeit begrüßte und wieder in einem der zahllosen Korridore verschwand.

Das Heim der Tuks war mit Gästen überfüllt, und zur Enttäuschung ihrer Mutter befand sich das Quartier ihrer Eltern in einem ganz anderen Teil der Groß-Smials. Juweline hörte sich geduldig ihren warnenden Vortrag an und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als Opal von Langcleeve endlich ging, um sich um ihr Festkleid zu kümmern (das von einem sehr geschickten Schneider in Hafergut speziell für diesen Anlass genäht worden war). Juwelines Kleid war ebenfalls brandneu, aber das war ihr nicht so wichtig; sie würde so viel Zeit mit Pippin verbringen wie möglich, und etwas Aufregenderes konnte es nicht geben. Als es Zeit war, sich für das große, abendliche Festessen fertig zu machen, stand sie trotzdem vor dem Spiegel und fand ihre eigene Erscheinung ziemlich erfreulich. Sie hatte ihr braunes Haar zu einer hübschen Krone aus Zöpfen aufgesteckt, ihre Augen leuchteten voller Vorfreude, der Ausschnitt ihrer Spitzenbluse bildete einen sehr befriedigenden Rahmen für ihren sanft schwellenden Busen und der lange, moosgrüne Rock umschmeichelte weich ihre Knöchel.

Eine halbe Stunde später saß sie an der riesigen Tafel, gemeinsam mit beinahe zweihundert Gästen. Die Köche hatten genügend Köstlichkeiten aufgefahren, um eine Armee hungriger Hobbits wenigstens einen Monat lang durchzufüttern; fünf Mastgänse hatten ihr Leben gelassen, um in den großen Öfen zu brutzeln, gefüllt mit Äpfeln, Kastanien und Trockenpflaumen. Ein gebratenes Spanferkel thronte auf einer Silberplatte, mit Honig glasiert und mit Petersilie und kandierten Walnüssen dekoriert. Es gab ein Dutzend Sorten Wintergemüse in schmackhaften Soßen, tiefe Schüsseln mit Fleischklößen und Hühnerbeinen, große Körbe mit Julgebäck und gewaltige Jultorten, mit eingemachten Früchten und gefärbtem Zuckerguss dekoriert. Paladin war großzügig genug gewesen, seinen Weinkeller zu plündern (obwohl er normalerweise sehr vorsichtig war im Umgang mit Alkohol), und die Frauen im Brauhaus der Groß-Smials hatten wochenlang gearbeitet, um das köstlich milde Bier zu liefern, das immer dafür sorgte, dass Paladins Gäste sich an sämtliche großartigen Trinklieder ihrer Jugend erinnerten – wenigstens sobald die Gevatterinnen und Jungfern die Große Halle verlassen hatten und zu Bett gegangen waren.

Juweline aß einen knusprigen Gänseflügel, Karotten und Lauch mit Butter und ein Stück Jultorte mit Immergrünblättern aus Minzzucker. Sie widmete dem Essen all die Aufmerksamkeit, die es verdiente, aber nachdem ihr erster, herzhafter Appetit gestillt war, hatte sie Zeit, ihre Umgebung mit scharfem Interesse zu beobachten. Ihr Blick streifte vertraute Gesichter und kam endlich auf dem Gesicht zur Ruhe, das zu betrachten sie sich bereits den ganzen Abend gewünscht hatte.

Er saß mit seiner engsten Familie zusammen, eingerahmt von seinem Vater und seinem Vetter Merry. Eine lebhafte Unterhaltung war da oben im Gange, und Juweline konnte sehen, wie er lachte, wenn auch nur kurz. Er wandte den Kopf und für einen langen Moment trafen sich ihre Augen. Er straffte den Rücken, und mit einem Mal veränderte sich sein Gesicht und zeigte einen Ausdruck, den sie nur ein einziges Mal zuvor gesehen hatte – in der endlosen Sekunde, ehe er sich niederbeugte, um sie zu küssen, an diesem heißen Herbstnachmittag vor fast drei Monaten. Sein Vetter sah es auch; seine Augenbrauen stiegen in die Höhe und er legte langsam seine Gabel hin, als wartete er auf etwas Außergewöhnliches.

Und dann stand Pippin auf und hob sein Glas. Der Wein fing das Licht der Flammen hinter ihm ein und leuchtete wie rotes Feuer.

„Vater... Mutter...“ Seine Stimme trug durch den gesamten Raum, und das allgemeine Geplauder und Geklapper von Geschirr und Besteck erstarb zu tiefem Schweigen.

„Ich würde gerne eine der wichtigsten Entscheidungen bekannt geben, die ich je getroffen habe; ich werde bald heiraten, und ich habe meine Braut gewählt.“

Ein vereinigtes Nach-Luft-Schnappen wehte um den Tisch wie eine plötzliche Brise. Paladin erhob sich halb von seinem Stuhl, sein Gesicht ein Bild der Verblüffung und Verwirrung. Eglantine Tuk öffnete den Mund, aber sie sagte nichts, sondern legte statt dessen eine Hand auf den Arm ihres Mannes und brachte ihn dazu, sich wieder hinzusetzen.

„Wir kennen einander seit unserer Kindheit“, fuhr Pippin fort, „aber jetzt ist sie mehr für mich als nur eine geschätzte Base. Ich möchte, dass sie meine Frau ist, dass mein Leben mit mir teilt und meine Kinder trägt.“ Er verbeugte sich vor seinem Vater, dann wandte er sich in ihre Richtung und verbeugte sich vor ihr und ihren Eltern.

„Opal und Odo... darf ich euch um die Hand eurer Tochter Juweline bitten?“

Die Stille schien sich nur noch mehr zu vertiefen, und jedes Augenpaar richtete sich auf Juwelines Tischende. Sie konnte spüren, wie der Körper ihrer Mutter zu ihrer Linken sich versteifte und hörte ein scharfes Keuchen. Dann legte sich die warme Hand ihres Vaters über ihre eisigen Finger, und sie blinzelte und ließ den Atem heraus, von dem sie nicht wusste, dass sie ihn anhielt. Sie wandte sich zu ihm und sah die Frage in seinem Blick... und das Verständnis. Eine Woge schierer, unendlicher Erleichterung brandete über sie hinweg. Sie hatte einen Verbündeten... und den besten, den sie sich nur wünschen konnte.

„Willst du ihn denn haben?“ fragte Odo mit gesenkter Stimme. Sie nickte unmerklich, aber die Antwort in ihrem erhitzten, entschlossenen Gesicht war mehr als offensichtlich. Odo drückte beruhigend ihre Hand und räusperte sich. Gemeinsam mit ihr stand er auf.

„Willst du ihn haben, Kind?“ fragte er wieder, diesmal laut und deutlich. Sie fand Pippins Augen, und was immer von ihrer Unsicherheit und Verlegenheit übrig war, verschwand ohne jede Spur.

Du bist viel, viel mehr als ich mir jemals vorgestellt habe.

Das Echo ihrer eigenen Stimme kam zu ihr zurück wie eine vertraute, beruhigende Melodie, und nie zuvor in ihrem ganzen Leben hatte sie etwas getan, das so unumgänglich war, und so absolut richtig.

„Ich fühle mich geehrt, Peregrin Tuk“, erwiderte sie; ihr strahlendes Lächeln spiegelte das Lächeln auf seinem Gesicht wieder. „Und ja, Vater... ja, ich will ihn haben.“

*****

„Ich verstehe nicht! Wie konnte das passieren – und wie konntest du diese ganze... Affäre... vor mir verbergen?“

Juweline saß in einem Sessel neben dem Kamin im Gästequartier ihrer Eltern. Ihr Vater war – zusammen mit Paladin Tuk – hinter der massiven Tür des Studierzimmers des Thain verschwunden, und sie war zurück geblieben, gewärmt von seiner Umarmung, um auf ihre Mutter zu warten. „Du kennst sie“, hatte Odo leise gesagt, bevor er ging, um ein langes Gespräch mit ihrem zukünftigen Schwiegervater zu führen, „sie meint es nicht böse. Deine Mutter mag einfach keine Überraschungen... und sobald sie sich von dem Schock erholt hat, wird sie unglaublich stolz sein und die Sache ansehen, als hätte sie das Ganze eingefädelt.“

Soweit Juweline das beurteilen konnte, war Opal von Langcleeve weit davon entfernt, stolz zu sein. Im Augenblick schäumte sie – und die Tatsache, dass sie sich nach dem plötzlichen Heiratsantrag einen Becher Apfelwein auf den Samtrock ihres brandneuen, rehbraunen Kleides gekippt hatte, trug nicht gerade dazu bei, sie zu besänftigen.

„Wie konntest du mir das antun?“

Ihre Stimme war ein dramatischer Klageschrei, und Juweline dachte, dass es an der Zeit sei, die Wogen zu glätten.

„Reg dich doch nicht so auf, Mama“, sagte sie so sanft sie konnte. „Es hat nie irgend eine Affäre gegeben. Ich kenne Peregrin fast so lange ich laufen kann. Pippin hat mich aus dem Weinkeller der Groß-Smials befreit, als Merry mich dort eingesperrt hatte, da war ich zehn. Er hat mir einen Ochsenfrosch unter das Kopfkissen gesteckt, da war ich fünfzehn. Als ich siebenundzwanzig war, hat er sich gemeinsam mit Merry Brandybock und Frodo Beutlin in Luft aufgelöst, und ich hätte nie geglaubt, das es je mehr zwischen uns geben würde als eine ein wenig... äh... misstrauische Freundschaft.“

Ihre Mutter holte tief Luft.

„Ich verstehe immer noch nicht, wie das passieren konnte“, sagte sie; die Gelassenheit ihrer Tochter trug dazu bei, dass sie sich unbewusst langsam beruhigte. „Wenn ihr bloß entfernte Verwandte seid und so eine Art... Freunde... wie um Himmels Willen konntest du dich da so plötzlich verlieben?“

Und so erzählte ihr Juweline von ihrer Begegnung mit Pippin während der Heuernte im letzten September. Sie beschränkte sich auf die bloßen Tatsachen; dass sie herumgegangen war und den Erntehelfern frisches Wasser gebracht hatte, dass Peregrin Tuk sie um einen Kuss gebeten und dass sie ihm gegeben hatte, was er sich wünschte. Da war noch viel mehr, das sie nicht erklären konnte... die überirdische Verzauberung, die von ihr Besitz ergriffen hatte, als sie seine Lippen auf ihrem Mund spürte, die blitzartige Freude und der Jubel, der von Kopf bis Fuß durch ihren Körper schoss und das plötzlicher Gefühl gesegneter Vollständigkeit, als er sie in seine Arme nahm.

Opal starrte ihre Tochter an.

„Willst du mir erzählen, dass es nie mehr gegeben hat als einen Kuss?“

Juweline beäugte sie mit milder Verwirrung, dann dämmerte ihr langsam, was ihre Mutter dachte, und sie spürte den ersten Vorboten des Zorns in ihrem Magen aufsteigen.

„Ehrlich, Mama“, sagte sie, nur einen winzigen Hauch von Schärfe in der Stimme, „glaubst du tatsächlich, ich habe mich monatelang heimlich mit dem Sohn des Thain im Heu herumgewälzt? Und dass er sich endlich durchgerungen hat, die Verantwortung für die ruchlose Verführung einer unschuldigen Jungfer zu übernehmen?“

„N... nein.“ Juweline hatte die stille Befriedigung zu sehen, wie ihre Mutter rot wurde. „Aber... aber was macht dich so sicher, dass er dich wirklich heiraten wird, und dass er nicht wieder davonläuft wie vor neun Jahren, als er auf diese... diese Fahrt ging? Mehr als ein Jahr lang wussten seine Eltern nicht, wo er abgeblieben war... und ich bin sicher, du erinnerst dich an die üblen Gerüchte, die so lange die Luft vergiftet haben!“

„Oh, das tue ich.“ gab Juweline kühl zurück; sie erinnerte sich, das einiges von dem schlimmsten Tratsch in Opals Küche zusammengebraut worden war. „Aber ich glaube nicht, dass du die Dinge aus dem richtigen Blickwinkel siehst. Abgesehen von der Tatsache, dass Pippin mir seinen Antrag in aller Öffentlichkeit gemacht hat, mit fast zweihundert Gästen als Zeugen – abgesehen von seinen Eltern – ist er nicht davongerannt, als er seinen Vettern in diese fremden Länder gefolgt ist. Er ist mit ihnen gegangen, um sie zu beschützen und ihnen zu helfen, und er ist als Held zurückgekommen, von Elben und Königen hoch geschätzt.“

Sie blickte ihre Mutter unverwandt und mit stillem Selbstvertrauen an, und es war Opal, die zuerst den Blick senkte.

„Also heiratest du ihn, egal was ich davon halte?“ fragte ihre Mutter endlich mit einer sehr leisen Stimme.

Plötzlich spürte Juweline, wie das Gelächter in ihrem Herzen hoch sprudelte.

„Ach, komm schon, Mama!“ Impulsiv beugte sie sich vor und küsste Opal auf die Wange. „Weißt du, ich würde Pippin gleich morgen heiraten, wenn er mich fragen würde. Und auch wenn er bloß einen kleinen Hof, eine Sau und ein halbes Dutzend Hennen hätte, würde ich freudig einwilligen, seine Frau zu werden. Aber da dies nicht der Fall ist... also, ich bin sicher, du wirst dich ziemlich schnell an den Gedanken gewöhnen, die Schwiegermutter des künftigen Thain zu sein!“

Sie schenkte ihrer Mutter ein warmes Lächeln, ging aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

*****

Es war weit nach Mitternacht, als die größte Aufregung sich endlich gelegt hatte. Juweline hatte den Rest des Abends in ihrem Gästezimmer verbracht und versucht, sich auf eines der Bücher zu konzentrieren, das sie sich in der Bibliothek der Groß-Smials geliehen hatte. Sie vermied es weise, der Flut aus saftigem Klatsch, die sich nach Pippins spektakulärem Auftritt erhoben hatte, ein sichtbares Ziel zu bieten. In allen vier Vierteln würden die Hobbits die Ereignisse dieses speziellen Abends noch monatelang durchhecheln, sie wusste es, und bei dem Gedanken daran, angestarrt zu werden, und an aufgeregte, gemurmelte Unterhaltungen hinter ihrem Rücken fühlte sie sich reichlich unwohl.

Ansonsten war sie nicht halb so aufgeregt, wie sie es erwartet hatte nach all jenen mädchenhaften Träumen von dem tapferen Hobbit, der einst kommen würde, um sie zu heiraten; ihr Eheversprechen war schon ohne ein einziges Wort gegeben worden, vor drei Monaten. Deshalb war sie tatsächlich imstande zu schlafen... wenigstens zwei oder drei Stunden, ehe sie von einem dumpfen, kaum erkennbaren Geräusch aufwachte.

Bums.

Sie schlüpfte unter den Decken hervor; der Raum war noch warm von der Glut im Kamin, aber die Fensterscheibe war zugefroren und weiß von Eisblumen.

Bums.

Da war es wieder, um es kam ganz eindeutig von draußen. Sie fummelte am Riegel herum, und endlich öffnete sich das Fenster mit einem schrillen, protestierenden Quietschen, das sie zusammenfahren ließ. Kalte Winterluft strömte herein und unter ihr Nachthemd wie ein Schwall Gletscherwasser. Und dann pfiff ein großer, fester Schneeball an ihr vorbei wie ein unerwartetes Geschoss und landete in den letzten glosenden Holzscheiten hinter dem Kamingitter. Er begann laut zischend zu schmelzen und erzeugte jede Menge Rauch. Juweline wandte sich zum Fenster zurück; sie rieb sich verzweifelt die Augen und entdeckte durch einen Schleier unfreiwilliger Tränen ihren Bräutigam, der über das Fensterbrett kletterte, im Gesicht mutwillige Freude und Verlegenheit.

„Ich weiß, ich sollte nicht hier sein“, sagte er und grinste kleinlaut.

„In der Tat“, erwiderte sie, „und du solltest deine Braut nicht mit Schneebällen bewerfen, schon gar nicht mitten in der Nacht. Meine Mutter hätte einen fürchterlichen Anfall, wenn sie das wüsste.“ Sie verdarb die Wirkung ihrer gestrengen, kleinen Ansprache auf der Stelle, weil sie in Gelächter ausbrach.

„Mach das Fenster zu“, sagte sie, immer noch kichernd. „Wir würden morgen ein bemerkenswertes Pärchen abgeben, mit roten Augen, heiseren Kehlen und Triefnasen!“

Während jetzt er an der Reihe war, sich mit dem störrischen Riegel abzumühen, säuberte sie den feuchten Rost, nahm einen Armvoll Apfelholzscheite aus einem großen Weidenkorb und fachte ein neues Feuer an. Dann drehte sie sich wieder zu ihm um und sah ihn mitten im Zimmer stehen. Er wirkte merkwürdig unbehaglich, senkte unter ihrem fragenden Blick den Kopf und kaute an seiner Oberlippe.

„Vielleicht sollte ich gehen, ehe ich dich in Schwierigkeiten bringe.“ murmelte er.

„Vielleicht solltest du“, sagte sie und trat dicht genug an ihn heran, um seinen Duft nach Würzwein, Kräutern und Winter wahrzunehmen. „Aber ich will gar nicht, dass du gehst.“

Er schaute auf sie herunter, ein geisterhaftes Lächeln in den hellen Augen.

„Liebste, lädst du mich in dein Bett ein, noch ehe wir verheiratet sind?“ fragte sie. Sein Tonfall war ernst, und für die Dauer der Frage waren seine Augen es auch.

„Natürlich tu ich das“, erwiderte sie, ihre Stimme ein Echo der seinen. „Und das weißt du auch ganz genau, oder du wärst nicht hier... Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nur für einen Gute-Nacht-Kuss mitten in der Nacht einen solchen Aufstand veranstalten würdest.“

Pippin schüttelte den Kopf und lachte leise.

„Ich nehme an, das habe ich verdient“, sagte er; seine Hände sanken auf ihre Schultern hinab und streichelten sie sachte, und Juweline spürte die Wärme seiner Handflächen durch das Gewebe ihres Nachthemdes. Aber sie war es, die ihn zuerst küsste. Sie stand auf den Zehenspitzen, die Finger in seinem schneefeuchten Haar vergraben. Sein Mund war weich und würzig unter ihren Lippen, und als ihre Zunge kühn tiefer hinein glitt und einen langsamen, suchenden, kreisenden Tanz um die seine vollführte, gab er einen gedämpfte, kehligen Laut von sich, halb Überraschung, halb Begierde.

„Juweline...“ flüsterte er. „Juweline, du...“

„Ja...“ Sie führte seine Hand zu der dünnen Kordel, die den Ausschnitt ihres langen Hemdes zusammenhielt. „Ja, Pippin, ja...“

Der Stoff raschelte leise und bildete einen Teich aus Falten um ihre Füße. Juweline stand nackt vor ihm, verwundbar unter seinem Blick und für einen kurzen Moment erschreckt von ihrer eigenen Kühnheit. Aber in seinen Augen fand sie nur Liebe, tiefe Bewunderung und wachsenden Hunger... Hunger nach ihr.

„Süßer Eru.“, wisperte er. „Du bist so schön.“

„Dankesehr.“ Ihre Augen leuchteten, erfüllt von brandneuem Stolz und Selbstgewissheit. „Und jetzt... bitte...“

Er entledigte sich so schnell wie möglich seiner Kleidung; er verstreute Hemd, Hosen und Wäsche überall im Zimmer und die Weste segelte durch die Luft wie ein seltsamer, bunter Vogel und baumelte endlich von der Sessellehne. Juweline öffnete die Arme und zog ihn dicht an sich; sie ging rückwärts, bis sie die Bettkante in den Kniekehlen fühlte. Alles, was sie jetzt tun musste, war, sich fallen zu lassen, wundersam zugedeckt und beschützt von seiner lebendigen Wärme und dem erregenden Gewicht seines Körpers.

Alles war so einfach... es hatte überhaupt nichts zu tun mit dem kichernden Geflüster, an das sie sich erinnerte, ganz und gar nichts mit den wilden Vermutungen all ihrer Freundinnen... es war viel weniger spektakulär und gleichzeitig so viel überwältigender und oh so wundervoll. Seine Fingerspitzen wanderten über ihre Haut, zärtlich wie Schmetterlingsflügel, und sie schnappte unter seinen Küssen nach Luft und wölbte ihren Körper unter seinen Händen, seufzend und lachend und plötzlich mit angehaltenem Atem, als er die winzige Barriere ihrer Jungfernschaft durchbrach. Und wieder war alles vollkommen anders und neu, und sie klammerte sich in tiefer Überraschung und ungläubiger Freude an ihn. Von nun an würde der Rhythmus ihres Lebens für immer vom wilden Hämmern seines Herzschlages bestimmt sein, und vom süßen, atemlosen Klang seiner Stimme.

Er setzte jede Fiber seines Körpers ein, um ihr Vergnügen zu bereiten und er führte sie auf einem endlos gewundenen Pfad der Zärtlichkeiten über den Rand des Entzückens. Sie erstickte den spitzen Schrei ihres allerersten Höhepunkts an seinem Hals, und ihre Augen liefen vor jubelnder Dankbarkeit über, als er erschauerte und in ihr Haar hinein stöhnte, und als er endlich seinen geduldig zurückgehaltenen Gipfel erreichte, während er ihren Namen rief.

Mein, dachte sie triumphierend und liebkoste seinen Rücken. Mein auf ewig.

*****

Seine Hände streichelten sie behutsam wach.

„Mein Edelstein, ich muss gehen... innerhalb der nächsten Stunde wird es dämmern.“

Juweline gab ein winziges, protestierendes Geräusch von sich. Sie war nicht bereit, seine neu gefundene Wärme zu verlieren. Aber sie öffnete die Augen, und er war ihr ganz nah... steil geschwungene Brauen über grünen Augen in diesem geliebten, jungen Gesicht mit der langen Nase und dem knabenhaften Mund. Sie seufzte tief.

„Ich weiß“, flüsterte sie; sie unterdrückte ein Gähnen und den heftigen Drang, Familie, Pflicht und Anstand zu vergessen und ihn zum Bleiben zu bewegen. Stattdessen setzte sie sich auf, zündete die Kerzen in dem Kerzenhalter auf dem Nachttisch an und sah zu, wie er auf die Jagd nach seinen Kleidungsstücken ging. Er fand seine Unterwäsche, seine Hosen und sein Hemd, und endlich schlossen seine Finger (und oh, wie geschickt sie gewesen waren, als sie sie hier berührt hatten, und da, und ganz besonders hier...) den letzten Knopf der vernachlässigten Weste.

Pippin kehrte zum Bett zurück, diesmal wirklich für einen Gute-Nacht-Kuss. Sie lächelte unter seinen Lippen und dachte, dass er nach süßen Versprechen und einer wundervollen Zukunft schmeckte.

Und das musste wahr sein, denn als er vor dem Fenster stand, bereit, hinauszuklettern, da drehte er sich noch einmal zu ihr um.

„Gib mir zwei Monate“, sagte er. „Noch zwei Monate, und du bist meine Frau.“

Sie lachte; in ihrem Kopf drehte sich alles vor Freude.

„Ich hoffe, meine Mutter überlebt dein unglaubliches Tempo!“

Er gluckste.

„Ich hoffe, meine Mutter auch. Gute Nacht, mein Juwel.“

Dann war er fort und sie stieg eilig aus ihrem Bett um zum letzten Mal in dieser Nacht den Riegel zu besiegen. Draußen erhellte sich der Himmel langsam von tiefer Schwärze zu einem dämmerigen Grau und sie konnte seine Fußspuren in der dünnen Schneeschicht auf dem gefrorenen Boden sehen. Es war sehr kalt, aber nichts konnte das lebendige Feuer eindämmen, das sie innerlich erwärmte. Sie ging zum Bett zurück, schlüpfte unter die Decken und hüllte sich in seinen Geruch.

Du bist viel, viel mehr als ich mir jemals vorgestellt habe.

„Pippin“, flüsterte sie. „Mein Pippin.“

Noch zwei Monate, und du bist meine Frau.

Sie schloss lächelnd die Augen.

Zwei Monate.


ENDE


Top          Stories ab 18          Stories bis 18          Home