Die Eine
von Ariel, übersetzt von Cúthalion

Er würde sie küssen. Er hatte den ganzen Tag hingeschaut und sie hatte au eine Art zurückgeschaut, die ihm Schauder der Erregung das Rückgrat hinunterlaufen ließ. Er würde einen Kuss von ihr bekommen, und wenn es das Letzte war, was er tat. Obwohl es vielleicht eine gute Idee wäre, überlegte er, erst einmal ihren Namen herauszufinden. Mädels pflegten es zu schätzen, wenn man sich noch für andere Dinge interessierte außer für das Aussehen. Aber dieses Aussehen! Unglaublichen Meerglas-Augen, dieses Haar, das wie ein Kupferschauer über Nacken und Schultern schimmerte, diese Lippen, üppig wie Kirschen und genauso rot. Wenn sie sich gerade so richtig vorbeugte und die Hand mit dem Krug ausstreckte, dann konnte er unter dem Schwung ihrer Röcke eine schlanke, gebräunte Wade sehen, die sich zu einem feingliedrigen Knöchel verjüngte, und den Pelz auf ihren Füßen...

Sterne noch mal, wenn sie endlich mit diesem Wasser bei ihm ankam, dann würde er es vorne über seine Hosen hinuntergießen müssen anstatt in seine Kehle.

Er lächelte und betrachtete sie unablässig, während sie zu ihm herüber kam, den Krug in der Hand.

„Durstig?“ fragte sie ihn, wie sie es heute schon viermal getan hatte. Und wie er es jedes dieser vier Male getan hatte, nickte er, lächelte noch breiter und versprach sich, dieses Mal wirklich etwas zu sagen, Aber als er die Heugabel in den Boden rammte und den Krug nahm, begriff er, dass er wieder bloß nickte und grinste wie ein Idiot.

Das Wasser war kalt, es kam geradewegs aus dem Brunnen, wie er wusste, und es schmeckte klar und scharf auf seiner Zunge. Er trank, bis nur noch ein Mundvoll oder zwei übrig waren, dann spritzte er sich den Rest ins Gesicht. Es war schwül heute, und die Luft war dick und schwer; aber so eine Ernte war noch nie da gewesen und jeder Hobbit, der dazu imstande war, wurde benötigt, um sie einzubringen. Es war eine würdige Sache, aber morgen würde er für seine Zeit in der Sonne mit geröteter Haut und Blasen auf den Händen bezahlen. Wenn er allerdings diesen Kuss bekam, würde er das wirklich als gerechten Ausgleich betrachten.

„Es gefällt dir wohl, was du siehst?“ fragte sie und er erschrak und begriff, dass er sie unverhohlen angestarrt hatte. Er wurde rot und schlug die Augen nieder, dann schaute er wieder auf und erwiderte kühn ihren Blick.

„Das tut es tatsächlich“, erwiderte er, überrascht darüber, dass seine Stimme gleichmäßig blieb. „Ich dachte, ich könnte dir vielleicht einen Kuss stehlen, aber dann hast du mich ertappt und meinen ruchlosen Plan vereitelt.“

Das hatte er nicht laut sagen wollen. Er wappnete sich gegen die Möglichkeit eines raschen Tritts gegen sein Schienenbein, aber sie grinste bloß, legte den Kopf schief und betrachtete ihn durch lange, kastanienbraune Wimpern.

„Du bist ja ganz schön frech!“

„Ich bin eine ganze Menge Dinge“, antwortete er, und sein Grinsen war ebenso unverschämt wie das ihre. Ihre Augen funkelten hell, voller Vergnügen und Nachmittagssonne. Sie nahm ihm den Krug aus der Hand, füllte ihn nach und gab ihn zurück. Ihr Grinsen wurde listig und ein wenig kokett.

„Was denn für Dinge?“wollte sie wissen.

„Nun“, antwortete er langsam, dann nahm er einen Schluck aus dem Krug, stellte einen Fuß auf die Krümmung der Gabelzinken und beugte sich vor. „Ich werde dir nicht alles verraten, weißt du, weil ich ziemlich bescheiden bin“, murmelte er verschwörerisch, dann hielt er inne und nickte mit einem nicht allzu aufrichtigen Grinsen, „aber Tatsache ist, ich bin unwahrscheinlich reich.“

„Ja, das sehe ich“, gab sie zurück, ihr Ton ein Echo seines eigenen, „So wie du die Heugabel schwingst, das schreit geradezu nach Reichtum.“

„Ich werde darauf achten müssen“, flüsterte er, dann spähte er in die Runde, als wollte er angebliche Lauscher ausmachen. „Ich würde nicht wollen, dass sich die Neuigkeit über meine Schätze verbreitet, oder die Mädels rennen mir scharenweise die Tür ein.“ Er lehnte sich noch dichter heran. „Du solltest vielleicht diesem Kuss gleich hier und jetzt zustimmen, bevor sich die Sache herumspricht und ich dich in der Volksmenge nicht wiederfinde.“

Sie hob eine vollkommen geschwungene Augenbraue.

„Du magst das letzte Jahr fort gewesen sein, Peregrin Tuk“, spottete sie, „und ein paar Zentimeter und merkwürdige Gewänder magst du dazu gewonnen haben, aber ich hab dich nicht vergessen, obwohl....“ sie schaute betont hinter ihn, „es scheint, die Volksmenge aus Damen hat das sehr wohl.“

Seine Farbe vertiefte sich, aber sein Lächeln ebenfalls. „Nun gut. Vielleicht haben sie ja ganz recht“, lachte er, „Mein Vetter Merry sagt, ich mache mehr Ärger als ich wert bin, und er sollte es ganz bestimmt wissen!“ Er verbeugte sich grüßend vor ihr. „Du bist im Vorteil, Mädel. Sind wir uns schon mal begegnet?“

Sie nahm ihm den Krug ab und füllte ihn nach; diesmal trat sie dichter an ihn heran. Sie schaute zu ihm auf, weil er regelrecht über ihr aufragte. „Ja“, sagte sie, „obwohl du dich scheinbar nicht dran erinnerst.“ Sie zuckte die Achseln. „Als ich jünger war, war ich kaum bemerkenswert, also kann man das wohl entschuldigen.“ Er konnte ihren sanften Duft riechen, wie sonnnengewärmte Blumen und frisch gemähtes Heu. Hitze strahlte aus von ihrem Körper; sie war ein sommerlicher Glutofen von den rötlich getönten Wangen bis zu den flammenden Haaren, aber ihre Augen waren wie das Wasser einer tiefen Bergquelle. Pippins Herz flatterte und fing dann an, so heftig in seiner Brust zu pochen, dass er das Gefühl hatte, sie müsse es sicherlich hören.

„Jetzt bist du ganz bestimmt bemerkenswert!“ wisperte er.

Pippin sah, wie sich ihre Wange bei dem Kompliment noch tiefer färbte und er fragte sich, ob ihre wunderbare Brust sich nicht ein wenig schneller hob und senkte als zuvor. „Ich sehe, du hast auf deinen Reisen das Schmeicheln gelernt.“ sagte sie.

„Ich habe während meiner Abenteuer viele Dinge gelernt“, antwortete er, seine Stimme von einem Hauch Ernsthaftigkeit berührt. „Aber ich hoffe doch, dass ich schon vorher gewusst habe, wie man einem schönen Fräulein Komplimente macht.“

Sie erwiderte seinen Blick gedankenvoll. „Ja, du bist wohl ein wenig gewachsen, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Und nicht nur, was die Größe angeht.“

Ihr prüfender Gesichtsausdruck schlug eine Saite in seinem Gedächtnis an. Ein schlankes, grünäugiges Mädchen in einem weißen Kleid, ein Buch fest an sich gedrückt, das fast so groß war wie sie selbst. Er blinzelte überrascht. Es war unmöglich gewesen, sie aus der Bibliothek in den Groß-Smials heraus zu bekommen, denn ihr nördliches Zuhause hatte eine solche Quelle des Wissens nicht zu bieten... obwohl sie hochmütig behauptete, einen Mangel an ungehobelten Bengeln gäbe es dort nicht, und von denen hätte sie schon die Nase voll.

„Das selbe könnte ich von dir sagen, Base Juweline“, sagte er und lächelte mit unverstelltem Entzücken. „Aber ich möchte doch um Unterscheidung bitten. Du sagst, du warst in deiner Jugend nicht bemerkenswert? Du warst es ganz sicher, aber so vielversprechend du auch damals gewesen sein magst, man hat kaum voraussehen können, wie reizend du dich...“ Seine Augen funkelten. „... entwickeln würdest...“ beendete er den Satz, scheinbar ohne im mindesten verlegen zu sein über seine eigene Freimütigkeit.

Ein Lächeln schlich sich in ihr widerstrebendes Gesicht. „Du bist gut, Meister Tuk. Wo immer du dir deine süße Zunge angeeignet hast, du bekommst dafür die volle Punktzahl.“

„Ich hätte lieber diesen Kuss dafür.“ Er grinste. „Du musst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich auf meinen Reisen nichts gesehen habe, das mich so begeistert hat wie du am heutigen Tag. Ehrlich! Du bist wunderschön geworden, kleine Base, was, wie ich glaube, der Grund dafür ist, dass du heute sowohl mit Getränken als auch mit Freude beschenkt hast. Du hast wahrhaftig mein Herz erobert! Aber ich fürchte, in deiner Obhut ist es in schrecklicher Gefahr.“

„In Gefahr?“ fragte sie.

„Dass es bricht."

„Alles nur, weil du einen Kuss willst?"

Er lächelte betrübt. „Herzen sind zerbrechlicher als den meisten Leuten klar ist.“ sagte er.

Sie stand sehr still und studierte ihn, Ihre Pupillen hatten sich geweitet und verdunkelten ihre leuchtenden Augen, und als sie in die seinen blickte, verspürte Pippin, wie ein Stich sein Herz traf. Es überraschte und erregte ihn ebenso sehr wie es ihn erschreckte, und er musste den Griff der Heugabel umklammern, um ruhig stehen bleiben zu können.

„Na gut“, sagte sie, „wir können dich nicht an gebrochenem Herzen sterben lassen, nachdem du den Alten Wald überlebt hast, oder?“ Sie biss sich auf die Unterlippe, zögerte und schloss dann den kleinen Zwischenraum, der noch zwischen ihnen blieb. Pippin hatte ein oder zweimal zuvor ein Mädchen geküsst, aber er wusste, dies würde nichts zu tun haben mit der hastigen Unbeholfenheit eines Heranwachsenden. Sie schaute ihn kühn an, aber er konnte sehen, dass ihr Selbstvertrauen nicht vollkommen war, als hätte sie gerade erst die Falle gewittert, aber der Stolz würde ihr verbieten, sich abzuwenden. Ihre Arme hingen gerade an beiden Seiten herunter und sie ballte die Fäuste, als würde sie sich stählen, aber sie zuckte nicht zurück, als Pippin sich zu ihren Lippen hinunter beugte, um den eifrig erwarteten Preis in Empfang zu nehmen.

Bei ihrer ersten Berührung kreiste etwas Unerwartetes durch seine Adern wie ein Blitz. Es erregte und entsetzte ihn gleichzeitig. Ihre Lippen bewegten sich gegen die seinen, auf eine Art gleitend und liebkosend, die sich schockierend vertraut anfühlte; wie ein geliebtes Lied, das man nach vielen stillen Jahren wieder hört. Sie fühlte sich so gut an! Er hatte in seinem ganzen Leben noch niemals etwas so Kostbares, so absolut Vollkommenes und Richtiges gekannt. Ein Verlangen, so tief wie seine Seele, packte und verschlang ihn wie ein verzweifelter Durst, und er legte die Arme um sie; der Stiel der Heugabel klemmte zwischen ihnen fest.

Sie passte in seine Umarmung, als wäre sie dafür geboren, und Pippin - von einem Gefühl bewegt, das so intensiv war wie Schmerz - drückte sie nur noch fester an sich. Mit einem hungrigen Aufstöhnen überließ sie sich seiner Heftigkeit und er erforschte ihren nachgiebigen Mund noch tiefer.

Sie schmeckte wie Feuer und kühles, grünes Wasser.

Spürte sie es? Verbrannte sein Verlangen sie so, wie ihre feurige Hitze ihn versengte? Er wusste, dass er dies hier abbrechen sollte, und zwar bald, aber er klammerte sich verzweifelt an den Augenblick, als fürchte er, dass sie verschwinden würde, wenn er sie losließ. Aber sie war so wirklich wie er. Ihre Arme schlangen sich um seine Taille, als wollte sie sich noch stärker an ihm festhalten, und ihre Zunge streichelte die seine und glitt kühn an der Innenseite seiner Wange entlang. Pippin erschauerte bis auf die Knochen und stöhnte, fast vollständig überwältigt.

Plötzlich öffneten sich ihre Augen weit vor Verblüffung. Sie erstarrte, zog sich aber nicht zurück. Seine Hände wanderten staunend ihren Rücken hinauf und vergruben sich in ihrem Kupferhaar. Sie spürte es!

Mit abgrundtiefer Zärtlichkeit und weichen, schmetterlingszarten Berührungen liebkoste er ihre Lippen. Er konnte sie jetzt noch nicht loslassen, er konnte es nicht ertragen. Sie hing beinahe kraftlos in seinen Armen, wie gelähmt von seinem Kuss, und er vermutete, dass die Heugabel, die zwischen ihnen in den Boden gerammt war, sie beide als Einziges auf den Füßen hielt. Ein weiterer Schauder, ganz ähnlich wie der seine, rieselte durch sie hindurch; er konnte es unter seinen Lippen fühlen, und endlich schien sie wieder zu sich zu kommen.

Sie atmete ebenso schwer wie er selbst; sie wich zurück und schaute in tiefem Staunen zu ihm auf. Ihr Bild, errötet und überrascht, brannte sich in seinen Sinn und plötzlich wusste Pippin...

Das ist sie. Das ist die Eine...

Juwelines Atem wurde unregelmäßiger und schneller, aber sie wandte die Augen nicht von seinem Gesicht. Sie wusste es auch. Sie zitterte wie vor Schreck, aber sie ließ ihn nicht los, und plötzlich begriff er ihr innerstes Wesen. Ein anderes Mädchen wäre jetzt vielleicht weggelaufen und hätte das, was sie beide spürten, mit einem nervösen Lachen abgetan, aber nicht sie. Nicht diese Eine. Sie hatte in ihr eigenes Herz gesehen und die Wahrheit gelesen, and das hatte Mut erfordert, vielleicht ebenso viel Mut wie es ihn gekostet hatte, einem Troll gegenüberzutreten.

Ihr Mund öffnete sich, aber kein Wort wollte herauskommen. Sie schluckte und Pippin bemerkte den Schimmer von Schweiß auf ihrem erblassenden Gesicht.

„Juweline?“ fragte er leise.

„Du...“ keuchte sie. „... du hast Recht.“

Ein Lächeln breitete sich über seinem Gesicht aus wie ein Sonnenaufgang. „Inwiefern, mein strahlender Edelstein?“

Sie war noch immer ganz eindeutig überwältigt, aber der Hauch eines erwidernden Lächelns umspielte ihre geröteten Lippen.

„Du bist viel, viel mehr als ich mir jemals vorgestellt habe.“


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