Von Bienen. Blumen und Gehirnwäsche
von Aratlithiel, übersetzt von Cúthalion

„Frodo?”

„… Hm?”

„Ich sagte: Frodo.”

„Ja, Herr?”*

„Was machst du da, Junge?”

„Äh… Bloß… ähm… lesen, Onkel.”

„Also gut, ja, ich kann sehen, dass du liest. Welches Buch hast du denn da?”

„Es ist... äh... weißt du, bloß ein... ähm... nichts Besonderes.“

„Ich kann den Titel nicht sehen, wenn du das Buch so hinter dem Rücken hältst. Was liest du da?“

„Es ist... ähm... soll ich mit dem Elf-Uhr-Imbiss anfangen, Bilbo? Du musst doch langsam Hunger haben.“

„Nein, nein, noch nicht jetzt. Ich brauche – He, komm zurück!“

„Aber---“

„Jetzt noch keinen Elf-Uhr-Imbiss, Frodo; weißt du, es ist erst halb zehn.“

„...Zweites Frühstück?“

„Komm mal einen Augenblick her, bitte.“

„Ja, Herr.“

„Danke sehr. Nun, es ist mir zu Ohren gekommen --- Musst du auf das stille Örtchen, Junge?“

„Ähm... Nein, Herr.“

„Dann hör auf, so hin und her zu tänzeln. Ehrlich, du zappelst herum, als hätte jemand deine Zehen ins Feuer gehalten.“

„Tut mir Leid, Herr.“

„Und hör auf, mich ,Herr’ zu nennen!“

„Tur mir Leid, Onkel.“

„Danke sehr. Setzt du dich jetzt bitte hin?“

„Ich... ähm... würde es dir etwas ausmachen, wenn ich stehen bleibe, Onkel?“

„Ja, das würde es tatsächlich. Ich muss mich setzen, und ich habe keine Lust, mit den Hals zu verrenken.“

„... Also gut. Ich habe nur... ähm...“

„Frodo, du weißt, dass du die Erlaubnis hast, alles aus der Bibliothek zu lesen... also, was immer das auch für ein Buch ist, das du da zu verstecken versuchst---“

„Ich versuch doch gar nicht---“

„Ich kann es sehen, da, hinter deinem linken Ellbogen... Jetzt hinter deinem rechten Ellbogen – ehrlich, Junge, hör auf mit der Zappelei!“

„Tut mir Leid, H—Onkel.“

„Jetzt lass mich mal sehen, was du da hast.“

„... Das würde ich wirklich lieber nicht.“

„Ja, soviel habe ich schon mitgekriegt.“

„Aber---“

„Jetzt komm schon, Junge, wie schlimm kann es denn sein? Hast du eines der Kinderbücher gelesen und bist jetzt verlegen, weil du meinst, du wärst zu alt dafür?“

„Ähm...“

„Frodo, wie alt bist du jetzt?“

„Einundzwanzig, Herr. Ich meine Onkel.“

„Richtig. Und wie lange lebst du schon hier?“

„Etwas mehr als zwei Monate.“

„Jawohl, und du kennst mich seit Jahren, also solltest du mittlerweile wissen, dass ich das Lesen in jeglicher Form unterstütze, und dass ich niemals die Nase rümpfen würde über die Wahl an Lesestoff von irgend jemandem.“

„…“

„Ich sollte doch hoffen, dass du das weißt.“

„Ähm...“

„Also gut, das reicht jetzt – gib mir das Buch.“

*würgendes Geräusch*

„Beruhige dich, Junge! Du kriegst noch einen Anfall und ruinierst dir die Kleider.“

„Onkel, ich würde wirklich lieber---“

„Und ich hätte wirklich lieber keine Geheimnisse zwischen uns beiden, Frodo.“

„Aber ich glaube nicht---“

„Das Buch, bitte. So ist’s gut, Junge, war das denn jetzt so – Süße Mutter, wo hast du das gefunden?“

„Du hast gesagt, jedes Buch! Jedes Buch, das hast du gesagt, welches Buch auch immer, gesagt hast du das... Geht’s dir gut, Onkel?“

„Ja, ich bin... Ach du Schande.“

„Hier, lass mich dir ein Glas Wasser holen---“

„Du setzt dich sofort wieder da hin und rührst dich nicht!“

„Aber ich wollte bloß---“

„... aus dem nächsten Fenster klettern und hoffen, dass ich die ganze Sache vergessen habe, bis du früh am nächsten Morgen wieder hinein kletterst.“

„...“

"Setz dich.“

„Dann willst du also kein Wasser?“

„Kein Wasser.“

„Aber du siehst schrecklich rot im Gesicht aus.“

„Setz dich.“

„Eine Tasse Tee vielleicht?“

„Setz dich!“

„Apfelwein! Da ist ein neuer Schwung Fässer aus Buckelstadt auf dem Markt; ich hab sie erst gestern gesehen. Ich geh schnell auf einen Sprung hinunter und hole welchen, ja? Dauert bloß einen---“

„Hinsetzen!“

„... Ja, Onkel.“

„Und wisch dir dieses Schmollen aus dem Gesicht, Frodo. Wenn du anfangen willst, Erwachsenenzeugs zu lesen, dann wirst du dich hinsetzen und darüber reden müssen wie ein Erwachsener.“

„...R-reden...? Über... über das hier?“

„Steck den Kopf zwischen deine Knie, Junge – du bist so blass geworden wie ein Bettlaken.“

„Nein, ich bin... äh... mir geht’s gut, bloß...“

„Frodo, hat denn niemand im Schloss sich jemals mit dir hingesetzt, um über diese Sachen zu reden?“

„Sachen?“

„Ähm... ja... Sachen.“

„Was denn für Sachen, Onkel?“

„Na, die Art Sachen in diesem Buch!“

„Aber ich habe gar keine Gelegenheit gehabt, das Buch zu lesen, Bilbo – ich hatte es gerade erst aufgeschlagen, als du herein gekommen bist.“

„Aha. *hüstel* Na dann---“

„Was für Sachen sind denn da drin, Onkel?“

„Also... weißt du... erwachsene Sachen.“

„Erwachsene Sachen? Wie man Kräuter anbaut und so was?“

„Wenn du nicht weißt, was da drinsteht, wieso hast du es dann hinter deinem Rücken versteckt?“

„…“

„Oh nein. Dieser unschuldige Blick mag bei Esmeralda verfangen, aber du solltest ihn dir besser für die Mütter der Mädels aufheben; an mich ist er verschwendet.“

„Ich weiß ganz bestimmt nicht, was du meinst, Bilbo.“

„Hmmm. Frodo, kennst du zufällig Päonie Breitlochner?“

„Päonie. Päonie... Meinst du die mit den...?“

„Ahem. Die mit der Gicht in den Händen... ja, genau die.“

„Nein, Herr... ich glaube nicht, dass ich die kenne.“

„Schön. Dann weißt du wohl auch nichts über einen dunkelhaarigen Jungen, der am letzten Hemelstag Fräulein Breitlochner hinter den Schnitterschuppen geleitet hat?“

„Ähm...“

„Und du weißt auch nichts über den selben Jungen, der in halb bekleideten Zustand gesichtet wurde, wie er von der Rückseite des selben Schuppens flüchtete, mit dem spitzen Ende von Meister Breitlochners Heugabel hinter sich?“

„…“

„Ich verstehe. Und dann weißt du natürlich auch ganz und gar nichts über die grün-goldene Weste – ganz ähnlich wie die, die du am letzten – oh ich glaube wohl dass es am letzten Hemelstag war – die der Junge in seiner Hast zurück gelassen hat?“

„Also, ich bin sicher, dass es viele grün-goldene---“

„Und auf die Hosenträger waren die Initialen ,F.B.’ eingestickt.“

„...*hüstel* Ähm...“

„Genau.“

„Onkel, es war nicht so, wie es---“

„Bitte glaub mir, wenn ich dir sage, dass es nichts gibt, was ich mehr will als dass du mir nicht erzählst, wie es war.“

„Wirklich, Bilbo, ich... Oh? Also möchtest du lieber nichts darüber hören, wie---“

„Was auch immer!“

„Nicht einmal darüber, wie ihr Mieder---“

„Nicht, wenn du nicht möchtest, dass ich dir alles über die Gelegenheit erzähle, wie ich deinen Onkel Saradoc und Tante Esmeralda während des Erntefestes bei einer Rangelei hinter den Weinfässern ertappt habe, und wie er seine Hand in---“

„Aaaaaautsch! HörschonaufschongutestutmirLeid!“

„Oder von dem Tag Ende letzten Jahres, als ich die Witwe Kleinfuß auf dem Weg nach Kleinbinge auf der Straße getroffen habe, und wie wir einen schönen Nachmittag damit verbracht haben, zu---“

„Lalalalalalalalala…“

„Ha! Und du versuchst also, den alten Bilbo zu übertreffen, wie?“

„Was?“

„Ich sagte – jetzt nimm aber die Finger aus den Ohren, Bursche.“

„Was?“

„Nimm die Finger aus den Ohren!“

„Kann ich nicht. Jetzt hast du mir Bilder in den Kopf gesetzt, und ich glaube, die haben mich gelähmt.“

„Bilder, wie? Also, ich gebe zu, dass es nichts gibt, was der Witwe Kleinfuß in Unterwäsche gleichkommt, also kann ich bestimmt---“

„IGITT! Und jetzt bin ich blind! Ich hoffe, du bist sehr mit dir zufrieden.“

„Also gut, Junge, ich denke, du hast deine Lektion gelernt. Ich werde die Sache mit Frau Kleinfuß für mich behalten, wenn du die Einzelheiten deiner... äh... Begegnung mit Fräulein Päonie für dich behältst.“

„Darf ich mich entschuldigen, bitte?“

„Wir sind hier noch nicht fertig, Frodo.“

„Aber ich muss gehen und mir das Gehirn waschen!“

„Du bist noch nicht zu alt, dass man dir den Mund auswäscht, weißt du?“

„... Tut mir Leid, Onkel.“

„Frodo, hat Onkel Rory denn nicht mit dir geredet, als du angefangen hast, dich zu... äh... verändern?“

„Onkel Rory? Iiiih! Nein!“

„Onkel Saradoc?“

„Nein!“

„Also gut, was ist mit---“

„Wenn du jetzt ,Tante Esmeralda’ sagst, dann gehe ich wirklich und wasch mir das Hirn!“

„Also hat niemand mit dir über diese... Sachen... geredet?“

„Über was für ,Sachen’ sprichst du, Bilbo?“

„Ich glaube, wir haben bereits festgestellt, wer bei diesen Spielchen gewinnt, junger Hobbit. Sollen wir noch mal damit anfangen?“

„... Nein, Herr.“

„Na schön. Jetzt hör mal, Junge, da gibt es bestimmte Dinge, die du wissen musst.“

„Nein nein, muss ich wirklich nicht.“

„Doch, Frodo, ich fürchte, du musst.“

„Nein, Bilbo, wirklich nicht. Ich habe den fürchterlichen Verdacht, dass ich nie wieder irgendwelche intimeren Kenntnisse über diese ,Sachen’ nötig habe. Tatsächlich glaube ich eher, dass ich genau vorhersagen kann, dass diese ,Sachen’ jetzt immer Bilder von Onkel Rory und der Witwe Kleinfuß hervorrufen werden, und dass diese ,Sachen’ deshalb nie wieder die selbe Anziehungskraft haben, die sie noch vor fünf Minuten hatten... oder die selbe... äh... Wirkung. Ich hoffe, jetzt bist du glücklich.“

„Je nun... ich glaube, ich habe wahrscheinlich ein wenig mehr Zutrauen in den Liebeshunger eines Zwanzigers als du. Derohalben und desterwegen gibt es Dinge, die du wissen musst, und als dein Vormund habe ich die Absicht, sicher zu stellen, dass du das auch tust.“

„... Ist die Adoption schon endgültig?“

„Ich fürchte ja.“

„...“

„Also gut, dann wollen wir mal mit dem weiblichen Fortpflanzungssystem anfangen, was meinst du?“

*Wimmern*

„Nun, jeden Monat hat ein Mädchen---“

„Die Tür! Die Tür!“ Ich hab die Türglocke gehört, die Glocke läutet, da ist jemand an der Tür, ichgehundmachaufbingleichwiederdawartnichtaufmich!“

„Heda! Frodo, komm wieder her, du verflixter Kerl, viel zu schnell, sag ich, der braucht jemanden, der ihm Ziegelsteine an die Knöchel bindet, und einen Riemen an den---“

„WAAAAAAAAAH!“

„Frodo! Frodo, mein Junge, was ist denn los, was ist – Oh! Hallo, Frau Kleinfuß, was für eine unerwartete Überraschung.“

„Das dachte ich mir. War das dein neues Mündel, das mir die Tür aufgemacht hat?“

„Ich fürchte ja. Darf ich... ähm... fragen, worum es bei dem... äh... Geschrei ging?“

„Ich habe ganz bestimmt keine Ahnung. Alles, was ich getan habe, war, mich vorzustellen, als er mir die Tür aufgemacht hat... und er kreischte wie ein Mädchen und raste in einem Nebel der Geschwindigkeit den Bühl hinunter.“

„Ahem. Ich verstehe. Ich bitte um Verzeihung, Frau Kleinfuß.“

„Dein Junge ist ganz schön schnell.“

„Hmm.“

„Hat drei andere Jungs auf dem Weg umgerannt, als wären sie Figuren beim Wiesenkegeln.“

*Seufzer*

„Kräftig. Muss der Brandybock sein, der in ihm steckt.“

„Na, da siehst du’s.“

„Seltsamer Junge.“

„Ziemlich.“

„Ich muss schon sagen, Herr Beutlin, du siehst ganz gewiss ein bisschen angeschlagen aus.“

„Nein, Frau Kleinfuß. Ich bin nur... oh... kümmer dich nicht darum.“

„Schwieriger Morgen?“

„Könnte man sagen.“

„Nun, ich denke, dass ich die Medizin habe für das, was dich plagt, Herr Beutlin.“

„Daran habe ich keinen Zweifel, Frau Kleinfuß. Beeilst du dich bitte mit diesen Knöpfen, ja?“


ENDE

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*höchst unzulängliche Übersetzung des im Englischen üblichen „sir“. Diese Höflichkeitsformel zwischen Kindern und Eltern gibt es bei uns einfach nicht, aber ich konnte sie schlecht weg lassen.


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