Auserwählt (Chosen)
von Rabidsamfan, übersetzt von Cúthalion

Sie hatten die ganze Woche damit verbracht, zu backen, zu brauen, zu kochen und zu schmoren, als gäbe es in Beutelsend ein Fest für fünfzig Hobbits anstatt nur für zwei, und Frodo fing an, sich Sorgen zu machen. „Ich wachse zwar noch,” erklärte er seinem Vetter-Onkel, während er den Teig für ein weiteres Blech Kuchen knetete, „aber doch nicht so schnell.”

Doch Bilbo lachte nur. „Du wirst schon sehen.“ sagte er und stopfte ein Plätzchen, das gerade mit einem schiefen Zuckergesicht aus dem Ofen gekommen war, in dem Mund von Jung-Sam Gamdschie, bevor der Bub des Gärtners irgend etwas sagen konnte. „Morgen kommt früh genug.“

Sam wurde rot und kicherte um seine Mundvoll Plätzchen herum, seine braunen Augen strahlend von dem geteilten Geheimnis, während er Mörser und Stößel gerade lange genug beiseite stellte, um der unerwarteten Leckerei die rechte Aufmerksamkeit zu schenken. Dafür, dass er so ein kleines Kerlchen war, hatte er sich als große Hilfe bei den Vorbereitungen erwiesen – wenigstens wenn es darum ging, Nüsse zu knacken oder Kräuter zu mahlen, die jemand anderes abgemessen hatte. Die anderen Gamdschie-Kinder waren mit ihren eigenen Julvorbereitungen beschäftigt, aber Sam war weiterhin jeden Morgen nach Beutelsend gekommen und hatte in der Küche geholfen, während sein Vater die Wasser- und Holzvorräte auffüllte und sich um die anderen, unvermeidlichen Arbeiten kümmerte. Bilbo schien die Anwesenheit des Kindes als selbstverständlich hinzunehmen; so sehr, dass Frodo sich zuweilen ein wenig ausgeschlossen fühlte. Sie kamen so mühelos miteinander zurecht! Nach zwei Monaten ständigen Wohnens in Beutelsend (statt nur einen Besuch zu machen) fand er immer noch Dinge über seinen neuen Vormund heraus, aber Sam schien sich mit dem alten Edelhobbit bereits auszukennen.

Er beugte sich über den Teig, konzentrierte sich darauf und versuchte, nicht eifersüchtig zu sein, als Bilbo und Sam die frisch geriebenen Gewürze gemeinsam in das Hackfleisch schütteten und Bilbo Sam dabei half, den Löffel in der schweren Schüssel herum zu manövrieren. Sein Vater hatte genauso hinter ihm gestanden und ihm beim Rühren geholfen, als er noch klein war. Er war zu groß dafür, dass Bilbo ihm auf diese Weise half. Zu groß, dafür, dass man ihm das Haar zerzauste oder ihm neckend eine Fingerspitze voll Mehl auf die Nase tupfte. Zu groß, um ohne jede Grund umarmt zu werden.

Nicht zu groß allerdings, um sich zum Heulen zu fühlen. „Entschuldigt mich,“ sagte er, „ich bin gleich wieder da,“ und er flüchtete sich in die Einsamkeit des Abtritts, bevor Bilbo irgendetwas merkte.

Endlich hatte er den Punkt erreicht, dass er sein Gesicht waschen und zurückgehen konnte, aber als er auf den Gang hinaustrat, entdeckte er, dass Sam an der gegenüber gelegenen Wand kauerte und auf ihn wartete. „Geht’s dir jetzt gut?“ fragte der Junge.

Frodo war überrascht, aber Sam schaute so feierlich drein, dass er nicht gemein zu ihm sein wollte. „Ja, ich denke schon.“ antwortete er. „Ich habe nur... über etwas nachgedacht.“

„Ich auch.“ Sam seufzte, das Kinn auf die Hände gestützt.

Er war nicht viel größer als Merry dah... im Schloss, jetzt, wo er darüber nachdachte. Und Merry hatte jeden Erwachsenen dort um den kleinen Finger gewickelt. So waren kleine Jungs wahrscheinlich einfach, und es war wirklich nicht Sams Fehler, falls Bilbo genauso weichherzig war wie die anderen Großen. Frodo setzte sich neben das Kind und fragte sich, worauf er sich wohl so heftig konzentrieren mochte. „Worüber denkst du nach, Sam?“

„Ich denke,“ sagte Sam sorgfältig, „dass Herr Bilbo Recht hat. Du solltest dieses Jahr an der Reihe sein. Du bist schon ganz groß und alles, und du lässt bestimmt keinen Kuchen fallen. Und ich war letztes Jahr an der Reihe. Und das Jahr davor.“ Er krauste die Nase und seufzte erneut. „Und das Jahr vorher auch.“ gestand er widerstrebend. „Dreimal hintereinander ist oft hintereinander, oder?“

Frodo begegnete den ernsthaften, braunen Augen und erinnerte sich selbst daran, nicht zu lächeln. „Dreimal hintereinander an der Reihe mit was?“

„Mit helfen.“ sagte Sam. „Ich wusste nicht, dass man damit an die Reihe kommt.“ erklärte er. „Ich dachte, es wär’, weil der Zauber mich außergewählt hat und dass ich es jedes Jahr bin, aber Herr Bilbo sagt, man muss an der Reihe sein, deshalb bin ich es wohl gewesen, weil niemand anders nach dem ersten Mal an der Reihe sein wollte. Aber jetzt, wo du Herrn Bilbos eigener Junge bist, da solltest du immer an der Reihe sein, bis du es irgendwann nicht mehr magst.“

„Der Zauber?“ wiederholte Frodo.

Sam nickte eifrig. „Du wachst auf und hast grüne Anziehsachen auf deinem Bett, und dann weißt du, du bist außergewählt... auserwahlen...“

„Auserwählt.“ warf Frodo ein, der anfing, klar zu sehen. Die Helfer des Julvaters trugen Grün, während sie kleine Geschenke und Essen an Kinder und arme Familien verteilten. In Bockland wurden diese Rollen stets von erwachsenen Hobbits übernommen, aber in Hobbingen machten sie ein paar seltsame Sachen. Und er hatte noch nie jemanden sagen hören, dass die Helfer mit Zauberei ausgesucht wurden. Aber er war sich nicht sicher, ob das Sams Erfindung war oder die von Bilbo.

„Ja, und dann gehst du und hilfst tragen und hältst den Ponys die Nase und das macht Spaß, weil du ihnen Leckereien geben und ihre Gesichter sehen darfst.“ Sams Enthusiasmus wurde plötzlich gedämpft, aber er zuckte mit einstudiertem Gleichmut die Achseln. „Herr Bilbo sagt, ich habe dieses Jahr schon ganz viel geholfen.“ Das schien kein großer Trost zu sein, so, wie Sams Schultern hinunter hingen, aber er versuchte, das Beste daraus zu machen.

Frodo drehte sich so, dass er einen Arm um Sam legen konnte. „Wenn es der Zauber ist, der wählt, dann weiß Onkel Bilbo es vielleicht noch gar nicht genau.“ meinte er entgegenkommend, obwohl er ziemlich sicher war, dass Bilbo es sehr wohl wusste. Er besaß nicht einmal eine grüne Garnitur Kleidung – noch nicht, jedenfalls, und plötzlich war er davon überzeugt, dass dies die Überraschung war, derentwegen Bilbo die ganze Woche vor sich hin gegluckst hatte.

„Aber Herr Bilbo wird jedes Jahr ausgesucht.“ widersprach Sam. „Immer und immer, so lang wie ich mich erinnern kann. Er hat die schönsten grünen Anziehsachen von allen.“ Er schlug eine Hand vor den Mund, die Augen weit vor Entsetzen. „Das hätte ich dir nicht sagen sollen!“ klagte er, den Tränen gefährlich nahe.

„Ist schon gut.“ sagte Frodo hastig. „Ehrlich. Bei all dem Essen hätte ich sowieso darauf kommen sollen.“ Er grub sein Taschentuch hervor und benutzte die am wenigsten feuchte Ecke davon bei Sam. „Wie viele Leute besucht Onkel Bilbo überhaupt dieses Julfest? Ich glaube, wir haben genug Kuchen für jedermann in Hobbingen gemacht.“

Sam schniefte und fing an, mit den Fingern zu rechnen. „Da sind die Zwiefußens, und die Eichlers, und die Sandbühls, und die Lochners...“ Während er Namen aufzählte, merkte Frodo, dass Bilbo in den Schatten am entgegengesetzten Ende des Korridors stand und sie mit besorgtem Gesichtsausdruck beobachtete.

Er weiß, dass er Sams Gefühle verletzt, wenn er statt seiner mich aussucht. begriff Frodo. Ich wette, er wollte uns beide nehmen, bis er gesehen hat, wie ich mich fühle. Es war eine schreckliche Versuchung, zu akzeptieren, was Bilbo ihm anbot – eine Gelegenheit, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein – eine Gelegenheit, seinem Onkel zu zeigen, dass er mit Frodo einen anständigen Erben gewählt hatte. Und dennoch---

„Du musst wirklich früh aufstehen.“ sagte Sam zustimmend. „Aber das ist der beste Teil vom Julfest... den Leuten zu geben, was sie wirklich nötig haben. Das ist, was Herr Bilbo sagt.“

Was sie wirklich nötig haben...

„Ich nehme an, er hat Recht damit.“ sagte Frodo, der es sorgfältig vermied, in die Richtung seines Onkels zu schauen. „Aber für mich klingt es immer noch nach genug Arbeit für drei Hobbits. Also bleib nicht zu lange auf, Sam. Wir könnten dich morgen früh brauchen.“

„Glaubst du?“ fragte Sam hoffnungsvoll.

Frodo nickte und zwang sich zu einem Grinsen. „Ja. Und ich weiß, wir brauchen dich jetzt, oder diese Kuchen werden nie und nimmer rechtzeitig fertig.“ Er zog den kleineren Jungen auf die Füße und schubste ihn mit einem leichten Klaps auf den Allerwertesten in Richtung Küche.

Bilbo begegnete Sam an der Küchentür und schickte ihn in den Keller, um einen Korb Kartoffeln zu holen, so dass, als Frodo ihn erreichte, niemand mehr da war, der sehen konnte, wie er ihn in eine plötzliche Umarmung zog.

„Ein rechter Beutlin bist du.“ sagte der alte Hobbit grummelig, und Frodo spürte, wie eine Woge der Freude von seinen Zehen aufstieg.

„Wirklich?“ fragte er und zog sich auf Armeslänge zurück.

„Wirklich.“ bestätigte Bilbo und streckte die Hand aus, um ihm liebevoll das Haar zu zerzausen. Er gab ein überraschtes, erfreutes Geräusch von sich, als Frodo die Umarmung so kräftig erwiderte wie er konnte, dann hielt er ihn fest an sich gedrückt.

„Ist es das, was du für Jul nötig hattest, Onkel Bilbo?“ fragte Frodo, während er den Duft nach Mehl, Tabak und Pfefferminze, der von der Weste seines Onkels aufstieg, tief einatmete.

„Ich habe, was ich wirklich brauche.“ sagte Bilbo, hob ihn von den Füßen und wirbelte ihn einmal herum, als wäre er ein viel kleinerer Hobbit.

„Ein fröhliches Julfest, Frodo, mein Junge. Ein fröhliches Julfest.“


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