Ein anderer Abschied (Another Way of Leaving)
von jodancingtree, übersetzt von Cúthalion


Epilog

Er kam nach Beutelsend, als die Sonne aufging und wanderte durch einen Chor aus Vogelstimmen den Bühl hinauf. Der Sommerfliederbusch neben der Küchentür war eine weiße Wolke, und er atmete den Duft tief ein, während er mit dem Riegel hantierte und eintrat.

Die Küche war still; im Herd brannte kein Feuer. Er hatte gedacht, dass Rosie bis jetzt auf sein würde, dass er Kessel dampfen und das Frühstück auf dem Weg wäre. Nun ja, sie und Sam waren alt – er war selbst alt – vielleicht schliefen sie dieser Tage einfach länger. Er würde sie überraschen und das Frühstück fertig haben, wenn sie hereinkam.

Er arbeitete leise, weil er die beiden nicht aufwecken wollte. Ein Pfanne mit Bratkartoffeln, Speck und Zwiebeln erfüllte die Küche mit einem verlockenden Aroma, als er Schritte im Gang hörte.

Er drehte sich um, um Rosie zu begrüßen; er freute sich auf ihre Verblüffung, ihre Fragen und ihre Ausrufe des Willkommens, aber es war nicht Rose, es war Sam. Ein Sam, den er kaum wiedererkannte, weißhaarig, das Gesicht voller Falten und von Kummer verzerrt.

„Hallo?“ Selbst die Stimme war zittrig – Alter oder Trauer? „Hallo? Wer ist da? Bist du das, Frodo, mein Junge?“

„Ja, ich bin’s, Frodo.“ sagte er, aber er wunderte sich. Es war wenigstens fünfzig Jahre her, dass ihn jemand ,Junge’ genannt hatte, und Sam hatte es nie getan.

„Frodo? Was machst du denn hier schon so früh, sie sind nicht vor dem Mittag hier – Herr Frodo!“

Die zögernden Schritte hielten an, der gesenkte Kopf hob sich, die Augen vor Schreck geweitet.

„Herr Frodo! Oh, Herr Frodo, du bist gekommen, woher hast du’s gewusst – du kommst gerade zurecht für die Beerdigung, ich bin so dankbar, dass du heute gekommen bist – oh, Herr Frodo!“

Er fing Sam auf, bevor er fiel und half ihm auf einen Stuhl.

„Rosie?“ fragte er, obwohl er es schon wusste.

„Sie ist vorgestern von uns gegangen, Herr Frodo. Einfach mitten in der Nacht – eingeschlafen, irgendwie. Ganz friedlich. Meine Rosie, meine süße Rosie...“

Er weinte leise vor sich hin, aus Hinnahme ebenso sehr wie aus Kummer. Er war sehr alt.

Frodo machte den Tee und drückte ihm den Becher in die Hand. „Trink, Sam.“

„Ich bin so froh, dass du gekommen bist, Herr Frodo. Gestern – ich war so alleine, gestern. Sogar mit all den Kindern...“

„Jetzt bin ich da, Sam.“

Er saß neben ihm und griff nach seiner Hand. Nach einem Weilchen stand er auf und füllte ihre Teller; er brachte Sam dazu, etwas zu essen. Wie viele Male auf ihrer Fahrt war Sam an seiner Seite gewesen und hatte sicher gestellt, dass er etwas zu sich nahm, wenn er selbst nicht darauf geachtet hätte. Jetzt war er an der Reihe.

„Komm schon, Sam – schön aufessen. Du willst doch nicht meine Gefühle verletzen, indem du mich denken lässt, dass du meine Küche nicht magst!“

„Die Kinder werden bald hier sein, Herr Frodo. Komisch ist das, wenn man dran denkt, dass du keinem davon je begegnet bist, außer Elanor! Insgesamt sind es dreizehn, weißt du. Als ich dich in der Küche gehört hab, dachte ich, es wäre Jung-Frodo – er ist wie meine rechte Hand, das ist er. Er wird stolz sein, Herrn Frodo zu treffen, von dem er schon sein ganzes Leben gehört hat!“

Frodo schauderte dramatisch. „Was für ein Gedanke!“ neckte er. „Muss ich deiner Familie als Figur aus irgendeiner Legende gegenüber treten? Kannst du mich nicht als lang verlorenen Vetter aus Bree durchgehen lassen?“

Sam gluckste. „Hättest halt früher zurückkommen sollen, ehe die Legenden die Gelegenheit zum Wachsen hatten.“ Sein Lächeln verblasste. „Ich wünschte, du hättest es ein paar Tage früher her geschafft, damit Rosie dich sehen kann. Sie hat immer eine Schwäche für dich gehabt.“

Frodos Augen füllten sich mit Tränen, und er drückte Sams Schulter. „Das wünschte ich mir auch, Sam.“

In seinem Herzen trauerte er um Rosie. Einmal mehr war er zu spät gekommen, um Lebwohl zu sagen, und sie war ihm eine gute Freundin gewesen, ein Mädchen mit liebevollem Herzen und raschem Mundwerk. Die Jahre, die er nach der Fahrt mit ihnen zusammen gelebt hatte – es waren harte Jahre gewesen, erfüllt von seiner persönlichen Qual – aber Rosies fröhliche Gegenwart war ihm ein Trost gewesen, ebenso wie Sams unbeirrte Liebe. Es war nicht ihr Fehler gewesen, das es nicht ausgereicht hatte.

Wenigstens war er jetzt hier, um Sam in seiner Trauer beizustehen. Er würde sich nicht den Luxus der Selbstanklage gestatten, dass er nicht früher gekommen war. Er würde dafür dankbar sein, dass er nicht später gekommen war.

„Dann bist du also nach Mordor gegangen, Herr Frodo?“

„Das bin ich.“ Er riss sich von der Trauer los. Dafür war später genügend Zeit. Wenn es ihm jetzt gelang, Sams Gedanken eine glücklichere Wendung zu geben ---

„Er blüht jetzt, Sam – der Morgai. Kleine, stachelige Pflanzen, aber sie blühen – und die Dornbüsche wandern nach Gorgoroth hinein, jedes Jahr ein wenig tiefer – und da sind Vögel! Tausende davon, und Tiere – kleine, dahinflitzende Eidechsen, die sich so schnell bewegen, dass sie fast schon verschwunden sind, bevor du sie siehst, und Kaninchen und Füchse---“

„Und Schlangen, nehm' ich an.“ unterbrach Sam ihn trocken.

„Ja, die auch!“ Frodo lachte, und Sam betrachtete ihn voller Staunen. Frodos Haar war grau, sein Gesicht so von Falten durchzogen wie Sams eigenes, aber seine Augen funkelten und seine Stimme war kraftvoll.

Er ist älter als ich, dachte Sam und spürte ein Reißen in seinem rheumatischen Knie. Aber er ist glücklich und voller Leben – er ist so wie früher -

„Du bist geheilt, Herr Frodo.“

Frodo beugte sich zu Sam hinunter, der noch immer am Tisch saß, und umarmte ihn.

„Ich bin geheilt, Sam, und ich bin zu Hause. Und zu Hause werde ich bleiben.“


ENDE


Top           Stories          Home